Wo werden die Kreuzchen am Sonntag gesetzt? Am heimischen Küchentisch oder doch im Wahllokal? Foto: dpa

Immer mehr Bürger in Deutschland entscheiden sich für die Briefwahl – und damit gegen den Gang ins Wahllokal. Renommierte Staatsrechtler halten die Entwicklung für problematisch.

Stuttgart - In Baden-Württemberg zeichnet sich ein Rekord bei den Briefwählern ab. Viele Staatsrechtler und Politologen kritisieren den Trend zur Abstimmung auf dem Postweg. Sie halten die unterschiedlichen Zeitpunkte der Wahl für problematisch und sehen vor allem das Wahlgeheimnis bei der Briefwahl nicht in gleicher Weise gewährleistet wie bei der Urnenwahl. Sie fürchten Missbrauch – zum Beispiel, dass Angehörige oder Betreuer für alte oder kranke Menschen beide Kreuzchen setzen.

Seit 2008 kann die Briefwahl ohne Angaben von Gründen beantragt werden. Zuvor war eine Teilnahme nur möglich gewesen, wenn ein Bürger am Wahltag verreist, krank oder aus einem anderen wichtigen Grund verhindert war. Doch seit es die Hürde nicht mehr gibt, geben immer mehr Wähler ihre Stimmen mit der Post ab – weil’s bequem ist.

Bundesweiter Feiertag als Lösung?

Um wieder mehr Bürger an die Wahlurne zu bewegen, regte der Göttinger Staatsrechtler Alexander Thiele zuletzt einen bundesweiten Feiertag unter der Woche an: „Das Argument, dass die Wahlzeit vom Wochenende abgeht, wäre hinfällig“, sagte er.

Landeswahlleiterin Christiane Friedrich wollte den Boom der Briefwahl auf Anfrage unserer Zeitung nicht bewerten. Sie betonte allerdings, dass es „gute demokratische Tradition“ sei, am Wahlsonntag in einem Wahllokal wählen zu gehen. Bei der Bundestagswahl 2013 hatten ihren Angaben zufolge rund 1,27 Millionen der insgesamt 7,69 Millionen Wahlberechtigten in Baden-Württemberg per Post gewählt. Das entspricht einem Anteil von 16 Prozent aller Wahlberechtigten und 22 Prozent derer, die tatsächlich ihre Stimme abgegeben haben.

In Stuttgart haben so viele Bürger wie nie zuvor die Wahlunterlagen vorab beantragt, wie eine Sprecherin der Stadt unserer Zeitung sagte. Ihr zufolge waren es 107 223 der knapp 376 000 wahlberechtigten Frauen und Männer (Stand 19. September). Für die Bundestagswahl 2013 waren 93 169 Wahlscheine vorzeitig ausgestellt worden.