Kaum jemand ist vor Reiseübelkeit gefeit: Etwa fünf bis zehn Prozent der Bundesbürger reagieren sogar recht schnell mit Übelkeit und Erbrechen, wenn sie mit dem Schiff oder Auto fahren. Foto: Joerg_Seiler-z

Vor der Reisekrankheit ist kaum jemand gefeit – Wie empfindlich Menschen reagieren, ist aber ganz unterschiedlich. Experten geben Tipps was dagegen helfen kann.

Düsseldorf - Alles reine Kopfsache – ganz egal, ob es das flaue Gefühl im Magen bei der Autofahrt ist oder der Schwindel bei der Schiffsfahrt. Wenn es nach Reisemedizinern geht, ist die Kinetose ein einfaches Kommunikationsproblem zwischen Sinnesorganen und Realität. So erklärt es zumindest der wissenschaftliche Leiter des CRM Centrum für Reisemedizin Düsseldorf, Tomas Jelinek. „Die Sinnesorgane, die zur Orientierung im Raum laufend Signale an das Gehirn leiten, senden widersprüchliche Botschaften.“

Zum Beispiel melden das Gleichgewichtsorgan im Innenohr sowie die Druckrezeptoren am Körper bei einer kurvigen Strecke rasche Richtungs- und Geschwindigkeitsänderungen. Schaut man währenddessen in ein Buch oder auf einen Bildschirm, registriert das Auge einen Stillstand und gibt diese Nachricht weiter. „Einen solchen Widerspruch ist das Gehirn nicht gewohnt. Es kriegt die Krise und zieht sozusagen die Notbremse“, erklärt Jelinek. Die Folgen sind Blässe, kalter Schweiß, Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen.

Reisekrank werden nur die Passagiere, nie die Piloten oder Fahrer

Es gibt viele unterschiedliche Situationen, die Kinetosen auslösen können: zum Beispiel eine rasante Karussellfahrt, eine Schifffahrt bei hohem Seegang, eine kurvenreiche Autofahrt, ein Segelflug oder ein Aufenthalt in der Schwerelosigkeit. Selbst längeres Liegen in Wasserbetten und Kamelritte bekommen empfindlichen Personen nicht gut. Reisekrank werden in der Regel nur die Passagiere: Fahrer oder Piloten, die ein Gefährt steuern, bleiben meistens verschont, und zwar deshalb,weil sie die gefühlten Bewegungen optisch auch registrieren.

Die Reisekrankheit gilt – auch wenn sie so genannt wird – nicht als Erkrankung, sondern als ein meist harmloser Fehlalarm des Körpers, der seit Jahrtausenden bekannt ist. Auch Cicero, Lord Nelson und Heinrich Heine litten bereits an dem Phänomen. Und auch heute ist kaum jemand vor Kinetosen ganz gefeit: Nach Meinung von Frank Schmäl, Leiter der Schwindelambulanz des Zentrums für Hals-Nasen-Ohren-Medizin in Greven bei Münster sind nur 5 bis 15 Prozent der Menschen immun dagegen.

Kleinkinde runter zwei Jahren spüren meist noch nichts

Umgekehrt sind es etwa fünf bis zehn Prozent, die sehr schnell reagieren. „Das liegt daran, dass das Gleichgewichtssystem der Menschen unterschiedlich empfindlich ist“, erklärt Schmäl. Wer leicht reisekrank wird, sagt er, dem wird auch nach einer Narkose schneller übel. Und dass Kleinkinder unter zwei Jahren noch gar nichts spüren, liege daran, dass sich der Gleichgewichtssinn bei ihnen noch entwickeln müsse. Im Alter lässt die Empfindlichkeit wieder stark nach: „Bei hohem Wellengang sieht man bei Kreuzfahrten, dass sich jüngere Leute in die Kabinen verziehen, während sich Senioren mit ihren Rollatoren an Deck vergnügen“, so Schmäl.

Frauen werden schneller reisekrank als Männer – insbesondere dann, wenn sie ihre Periode haben oder schwanger sind. „Auf jeden Fall tragen die Hormone dazu bei, ihre Empfindlichkeit zu erhöhen“, sagt Schmäl. Auch Menschen, die zu Migräne neigen, sind anfälliger für das Phänomen. Daneben erhöhen Alkohol, muffige Luft, fettreiche Speisen ebenso wie ein leerer Magen das Risiko, der Reiseübelkeit zu erliegen.

Glücklicherweise gewöhnt sich das Gehirn mit der Zeit an die schwankenden Bewegungen. Nach spätestens vier Tagen an Bord eines Schiffes ist kaum noch jemand seekrank.

Meist helfen Placebos, es gibt aber auch Pflaster für schwere Fälle

Dennoch speichert das Gedächtnis die Erfahrungen, die man an Bord gemacht hat. „So lässt es sich erklären, dass Menschen auch dann reisekrank werden, wenn sie in einem Erlebniskino einen Film schauen, der ihnen vortäuscht, in einer Achterbahn zu fahren“, sagt Schmäl. Auch Ängste und schlimme Empfindungen in Zusammenhang mit der Reisekrankheit prägen sich ein: Eine negative Erwartungshaltung erhöht das Risiko dafür, dass man sich wieder schlecht fühlt, ganz entscheidend. Wer ein Schiff also bereits mit der Angst betritt, dass ihm bestimmt gleich übel wird, der wird wahrscheinlich auch recht behalten. Das erklärt umgekehrt, warum bei Kinetose Placebos besonders gut wirken.

Für schwere Fälle gibt es verschreibungspflichtige Pflaster mit dem Stoff Scopolamin, der in natürlicher Form unter anderem im Stechapfel vorkommt. „Die Pflaster sind wirksam, haben aber große Nebenwirkungen. Daher sollte man Nutzen und Risiken genau abwägen“, gibt Jelinek zu bedenken. Ohne Rezept erhältlich sind Antihistaminika wie Dimenhydrinat und Diphenhydramin, die in Form von Dragees, Tabletten, Kapseln oder Kaugummis angeboten werden. Sie haben eine insgesamt dämpfende Wirkung, die auch in unangenehme Müdigkeit umschlagen kann. Weitgehend frei von Nebenwirkungen sind dagegen Ingwer-Kapseln, die in leichteren Fällen erwiesenermaßen helfen können: „Sie sind zwar nicht sehr potent, sind aber auf jeden Fall ein sinnvolles Basismedikament“, sagt Jelinek.

Auch Tiere können seekrank werden

Auch Hunde- , Pferde- oder Katzenbesitzer sollten achtsam sein: Denn Kinetose erwischt nicht nur Menschen. Tieren geht es aber oft nicht besser: Auch ihnen kann es beim Transport schlecht werden. Und sogar Fische müssen mitunter spucken, wenn ihre Aquarien bewegt werden.

Tipps gegen Reiseübelkeit

Schlafen: Wer die gefürchtete Anreise von vornherein in die Nacht legt, kann die Übelkeit einfach verschlafen. Das funktioniert vor allem bei Kindern gut.

Essen: Weder zu viel noch zu wenig. Auf fettreiche, schwer verdauliche Speisen sollte man vor Reisebeginn verzichten, ebenso auf Alkohol. Leichte Kost wie Zwieback, Obst, Kekse ist empfehlenswert. Ein leerer Magen verhindert die Übelkeit nicht, sondern macht nur noch anfälliger.

Sitzplatz: In Bussen und Autos sollten sich Menschen, die zur Reisekrankheit neigen, nach vorne setzen und freie Sicht durch das Frontfenster haben. Im Flugzeug sind Plätze im Bereich der Tragflächen geeignet. Bei Schiffsreisen empfiehlt es sich, eine Kabine in der Mitte direkt über dem Wasserspiegel zu buchen. Dort ist es am ruhigsten. Wichtig ist, möglichst viel Zeit an Deck zu sein.

Blickrichtung: Wer während der Fahrt liest, schreibt oder auf einen Bildschirm schaut, fördert die Reisekrankheit. Statt auf Objekte an Bord des Fahrzeugs zu schauen, sollte man den Blick in die Ferne richten. Frischluftzufuhr und regelmäßige Pausen sind hilfreich.

Vitamin C: Hochdosiertes Vitamin C kann, etwa eine Stunde vor Reisebeginn eingenommen, das Risiko für Reiseübelkeit reduzieren. Bei einer Studie erzielte eine Gruppe, die zwei Gramm Vitamin C genommen hatte, etwas bessere Ergebnisse als diejenigen, die nur ein Placebo geschluckt hatten.

Ablenkung: Auch Entspannungstechniken und Musikhören können dazu beitragen, der Übelkeit vorzubeugen. Angst und Anspannung wirken dagegen kontraproduktiv. Ansonsten sind auch Akupressur-Bänder und Spezial-Brillen gegen Reiseübelkeit auf dem Markt. Wie wirksam sie sind, ist unklar.