Am Grab von Hafes, dem größten Dichter des Iran, in Shiraz Foto: Meynard

Unser Autor erzählt von seinem Besuch bei der unbekannten Familie in einem verteufelten Land.  

Lang hat es auf mein Leben kaum einen Einfluss gehabt, mit einer im Iran geborenen Frau verheiratet zu sein. Dann kam die Einladung des Schwiegervaters zum Verwandtenbesuch - und eine abenteuerliche Reise folgte.

 Irgendwann geht der Überblick verloren. Ich stehe in einem rosengeschmückten Garten am Rande der Millionenstadt Isfahan, etwa 500 Kilometer südlich von Teheran. Im Minutentakt hält ein Auto vor dem Tor des mauerbewehrten Grundstücks und spuckt Besucher aus. Alte Frauen mit knorrigen Gesichtern und zu großen Brillen, schwarz verschleiert. Junge Männer mit kräftigen Augenbrauen und kurzen Hemden, dazwischen geschminkte Frauen mit Sonnenbrillen in lässigen Jeans.

"Salam", murmle ich, während sich der Festplatz unter Bäumen immer mehr füllt. Wer war noch mal der Typ, der japanische Gabelstapler verticken wollte und umgerechnet eine halbe Million Dollar versenkt hat? Und wo ist der Lieblingsonkel meiner Frau? Es ist heiß, die Gedanken schwirren. Mein Schwiegervater Reza* (70) hat das Treffen einberufen. Vier ältere Brüder und die beiden Schwestern samt Kindern und Enkeln wollen den Besuch aus Deutschland sehen, vor allem den zweijährigen blonden Knirps. Am Ende drängen sich 120 Menschen auf dem kleinen Grundstück. Reza lächelt milde. "Das ist nur der engste Kreis der Familie."

Die Lage im Iran scheint ruhig

Die Einreise in das oft verteufelte Land zwischen Irak und Afghanistan ist einfacher als gedacht, das Visum schnell genehmigt. Die Bedenken der Freunde und der eigenen Familie sind groß angesichts der revolutionären Umstürze in Tunesien, Ägypten und Libyen. In den Iran, dazu noch mit einem Zweijährigen? Doch die Lage im Iran scheint ruhig - und wer weiß, ob es später besser wird. Es war ein Herzenswunsch von Reza, endlich Enkel und Schwiegersohn seiner Familie zu präsentieren.

Über Istanbul geht es nach Teheran - und noch ehe der Flieger spät in der Nacht auf dem Flughafen Imam Khomenei aufsetzt, greifen die Regeln des islamischen Staats. Meine Frau und die Schwiegermutter, die schon öfter zu Besuch waren, setzen die verhasste Kopfbedeckung auf, die auch von weiblichen Touristen eingefordert wird.

Wie viele junge Iraner ist Reza Ende der 60er Jahre nach Deutschland gekommen. Er studiert an der Fachhochschule in Reutlingen Textilchemie, lernt auf dem Faschingsball seine spätere Frau kennen. Nach dem Studium kehrt er mit ihr zurück, arbeitet für einen deutschen Chemiekonzern in Teheran. Erst kommt eine Tochter zur Welt, vier Jahre später ein Sohn. Sie besuchen den deutschen Kindergarten.

Es sind gute Zeiten für Ausländer unter dem Regime des Schahs. Dann kommt 1979 die Revolution, die Familie flieht und lebt in Deutschland. Doch die Verbundenheit mit der Familie im Heimatland ist groß. Der Vater verbringt jeweils ein halbes Jahr im Iran und betreibt von Teheran aus seine Geschäfte in der Textilbranche.

Todesangst im Stadtverkehr

 Todesangst im Stadtverkehr

Reza erwartet uns bereits am Flughafen, wir laden Kinderwagen und Gepäck ins Auto, dann geht es auf einer gebührenpflichtigen, sechsspurigen Autobahn durch die Wüste nach Isfahan, Wohnort des Clans. Als wir in den Stadtverkehr eintauchen, erfasst mich Todesangst. Reza bleibt entspannt. "Ja, der Verkehr ist verrückt", murmelt er. Aus drei Spuren machen die Perser fünf. Vorfahrt hat, wer möglichst ohne Augenkontakt zu anderen Autofahrern in die Kreuzung schießt.

Wenn es gar zu eng wird, drückt Reza kurz auf die Hupe, um den Vordermann auf Distanz zu halten. Auf dem Standstreifen fahren kleine Motorräder mit bis zu drei jungen Männern besetzt - in die entgegengesetzte Richtung. "Wenn niemand die Regeln einhält, wie wird dann bei einem Unfall die Schuldfrage geklärt?", frage ich. "Nun ja, da fliegen schon mal die Fäuste", sagt Reza und lacht.

Erste Station der Reise ist das Haus der älteren Schwester, in dem wir eine Etage beziehen. Shadi trägt auch drinnen Kopftuch und gibt nach islamischer Sitte Männern nicht die Hand. Die Fenster zur Straßenseite sind klein und auf Kopfhöhe angebracht, was beklemmend wirkt. "Die Provinzregierung in Isfahan schreibt dies vor, um Blicke von außen zu unterbinden", erklärt Reza und zuckt mit den Schultern.

Präsident Ahmadinedschad ruiniert das Land

Dann serviert er ein kühles Bier. Dänisches Tuborg, abgefüllt in der Türkei, mit neun Prozent Alkohol. "Man muss jemand kennen, der jemand kennt", nickt er. Angeblich organisieren die gefürchteten Revolutionswächter, die streng über die islamischen Vorschriften wachen, selbst den Nachschub über die Grenze im Norden des Landes.

Es folgt ein Besuchsmarathon bei Verwandten und Freunden, der schließlich im Gartenfest gipfelt. Alle sind da. Bruder Mohammed, der an Mundkrebs erkrankte und seit seiner Operation ständig in die Moschee rennt. Parisa, die Nichte aus Chicago, die mit ihren beiden Kindern für ein Jahr in die Heimat zurückgekehrt ist und auch hier einen amerikanischen Lebensstil pflegt. Neffe Mesud, der einem Freund eine Bürgschaft gab und jetzt verschuldet ist. In der Männerrunde am Grill wird es laut. Es geht um Politik.

Präsident Ahmadinedschad, den sie für einen Bauerntölpel halten, ruiniere das Land. Die Preise für Lebensmittel und Wohnen steigen ins Bodenlose, wegen des internationalen Boykotts muss der Iran sogar Benzin einführen, weil Raffinerien fehlen. Es ist Freitag, und von der nahe gelegenen Moschee dringt das getragene Rufen des Imam. "Hör dir den Idioten an, der kann ja nicht mal richtig singen", empört sich Reza.

Nur einmal bekommen wir es mit der Staatsmacht zu tun. Wir sind auf dem Weg nach Shiraz, und Reza hält es nicht mehr aus. "110 auf der Autobahn, das ist doch ein Witz", poltert er. Wenig später winkt ihn ein Polizist mit dunkler Sonnenbrille auf den Randstreifen. Die Verhandlungen dauern lang. Sehr lang. Schließlich kommt Reza zurück. 160 Kilometer je Stunde habe die Polizei gemessen. Ganz aus der Luft gegriffen ist der Vorwurf nicht.

Polizei kassiert mehrmals ab

Polizei kassiert mehrmals ab

 Eigentlich hätte dies die Stilllegung des Autos für zwei Tage und zwei Millionen Rial, etwa 200 Dollar, Strafe bedeutet. "Ich konnte ihn auf 50 Dollar runterhandeln", sagt Reza und startet den Motor. Keine zehn Minuten später winkt ein Polizist erneut mit der Kelle. Über Funk informiert, möchte auch er seinen Anteil haben und kassiert für das gleiche Vergehen noch mal 50 Dollar. "Es ist ein Graus mit der Korruption in diesem Land", schimpft Reza. Ich denke: In Deutschland wäre die Fahrt längst beendet gewesen.

Am Abend zuvor hat mich Ali, der Großneffe meines Schwiegervaters, mit seinem Auto abgeholt. Der junge Mann, der einen Master-Abschluss hat und für einen deutschen Heizungsbauer arbeitet, will mir die Stadt zeigen. Nicht die berühmten Moscheen und Paläste, wegen derer Isfahan zum Weltkulturerbe gehört, sondern die Treffpunkte für junge Leute. Etwa den Boulevard, auf dem sich Frauen und Männer durch die Autofenster Telefonnummern zustecken, weil sie sich anders nicht kennenlernen können.

Schönheits-OPs sind im Trend

"Ist doch eine schnelle und unkomplizierte Art", sage ich. "Ja", lacht er, "aber nur wenn du ein dickes Auto hast." Im Armenierviertel stehen die Studenten vor den Schnellimbissen und Coffeeshops Schlange. Die Frauen haben ihren Hedschab, das Kopftuch, weit nach hinten geschoben. Vorn thront eine Designersonnenbrille, viele haben ein Pflaster auf der Nase. Schönheits-OPs sind im Trend. Kosmetische Produkte auch.

"Meist schauen sich die Revolutionswächter das eine Weile an, dann starten sie eine Verhaftungswelle", sagt Ali und blickt einer zierlichen Frau mit blondierten Haaren hinterher. Er selbst glaubt nicht mehr an die Chance eines Wandels von innen, seit die grüne Revolution vor zwei Jahren brutal niedergeschlagen wurde. Seine Schwester ist nach Kanada abgehauen. Ihm fehlt der Mut, Land und Familie hinter sich zu lassen.

Alkoholverbot bei Gartenparty

Die Gartenparty ist jetzt in vollem Gang. Nach dem Essen kommt der Tee, die Stimmung steigt. Irgendwann holen die Frauen die Männer in die Mitte. Ich ahne schon, dass dieser Kelch nicht an mir vorübergehen wird. Jetzt wird das Alkoholverbot zum echten Problem. Ohne Bier auf die Tanzfläche - daheim in Stuttgart unvorstellbar. Doch Hamid und Ali lassen mir keine Wahl, schieben mich in die Mitte.

Das Gejohle der Frauen wird lauter, während ich, wie verlangt, meine Arme in die Höhe recke und mit der Hüfte wackle. "Dieser Brauch ist dazu da, damit sich die Frauen über die Männer lustig machen können", hat mir Parisa, die Nichte meines Schwiegervaters, erklärt. Nun weiß ich, was sie damit gemeint hat. Als die Party vorbei ist, erhalte ich anerkennendes Schulterklopfen für meinen Mut. Eine schrecklich nette Familie, denke ich. Es wird wohl nicht der letzte Besuch im Iran gewesen sein.

*Um die Familie nicht zu gefährden, wurden alle Namen geändert, auch der des Autors.