Nachdenklich und meinungsstark: Reinhold Messner zeigt gern Kante. Foto: Archiv Messner

Reinhold Messner ist nicht nur Bergsteiger und Abenteurer. Ein Gespräch mit einem Menschen, der zugleich fasziniert und polarisiert.

Herr Messner, in Ihrer aktuellen Tour erzählen Sie unter dem Titel „Leben am Limit“ aus Ihrer Vergangenheit. Erleben die Besucher da schon Ihre Memoiren?
Nein, darum geht es nicht. Ich greife ein paar Beispiele aus meinem Leben heraus, mit denen ich meine Haltung, meine grundsätzliche Philosophie erkläre. Ich bin kein Prediger und habe auch die Wahrheit nicht gefressen. Ich erzähle auf der Bühne Geschichten. Ich habe weit über 100 Expeditionen unternommen und möchte die Leute mitnehmen an die Ränder der Welt.

Warum sind Sie immer wieder ans Limit gegangen?
Ich habe hohe Ansprüche an mich selbst. Ich habe früh erkannt, dass ich viel mehr vom Leben habe, wenn ich alles gut und konsequent mache. Deshalb habe ich alle Dinge immer jeweils für etwa zehn Jahre betrieben, wie einen Beruf, und mich dann wieder etwas anderem zugewandt. Dabei habe ich mich aber auch stets darum bemüht, am Leben zu bleiben. Deshalb sind mir einige außergewöhnliche Dinge gelungen. Diese Konsequenz bestimmt seit jeher auch Ihre Aussagen und Ihr Auftreten. Sie provozieren und polarisieren.

Macht Ihnen diese Rolle Spaß?
Ich habe das nicht gewollt, verstehe aber, dass es so kommen musste. Nur langweilige Leute polarisieren nicht. Ich sage vieles überspitzt, damit eine Diskussion entsteht. Ich bin stolz darauf, dass ich nicht von allen Leuten angenommen werde. Ich habe mich nie mit der breiten Masse, mit den Medien oder der Politik gemein gemacht, auch wenn ich dann ein paar Bücher mehr verkauft hätte.

Und doch sind Sie selbst in die Rolle des Politikers geschlüpft, saßen einige Jahre für die Südtiroler Grünen im Europäischen Parlament. Sie engagieren sich mit Vehemenz für Umweltschutz, Kultur und gesellschaftliche Themen. Müsste Sie da nicht ein neuerliches Engagement in der Politik reizen?
Sicher nicht, weil ich zu alt dafür werde. Politiker sollten noch selbst die Folgen dessen, was sie tun und entscheiden, spüren. Ins Europäische Parlament bin ich damals als Quereinsteiger gekommen, weil ich ein begeisterter Europäer bin. Ich bin sehr dankbar, dass ich sehen konnte, wie Politik wirklich funktioniert. Als Außenstehender ist es sehr leicht, die Parlamentarier zu kritisieren. Aber das Ganze wird viel schwieriger, wenn man selbst am Entscheidungstisch sitzt. Ich habe das aber nach fünf Jahren auch deswegen wieder gelassen, weil ich gemerkt habe, dass ich andere Dinge besser kann. In der Politik braucht es Kompromisse, man kann nicht alle seine Überzeugungen durchsetzen. Wenn ich meine eigenen Projekte habe, ist das anders. Nehmen Sie mein Museumsprojekt mit inzwischen fünf verschiedenen Häusern in Südtirol: Da diskutieren wir auch viel über dies und jenes, aber am Ende treffe ich die Entscheidung.

In Ihren Museen wie in Ihren Vorträgen ist Ihnen eines ganz wichtig: Sie wollen den Bergen ihre Stille und Erhabenheit lassen. Sie kämpfen deshalb seit Jahren gegen den Massentourismus. Gleichzeitig haben Sie fast 80 Bücher veröffentlicht. Sie faszinieren die Menschen und bringen Sie dazu, in die Berge zu gehen. Ist das kein Widerspruch?
Nein, das ist es nicht. In den Bergen gilt der Grundsatz: Das Können ist des Dürfens Maß. Wenn das jeder berücksichtigen würde, bräuchte man die Berge nicht zu verbauen und auch nicht zu schützen. Ich habe immer unterschieden zwischen Gebieten, in denen der Mensch seit Jahrtausenden lebt und eine Kulturlandschaft geschaffen hat, und solchen, die darüber liegen. In den Alpen ist der Mensch seit jeher bis in Höhen von etwa 2400 Meter präsent. Dort hat man auch das Recht, Tourismus zu betreiben, natürlich auf vernünftige Weise. Darüber sollte man die Natur in Ruhe lassen. Davon kommt ja auch die Ausstrahlung, die die Berge haben.

Kritiker werfen Ihnen vor, Sie wollten die Berge zum Privileg für eine kleine, geschlossene Gesellschaft machen.
Das stimmt nicht. Ich habe die zwei unterschiedlichen Gebiete in meinen Büchern immer auseinandergehalten. Manche haben sie nur nicht richtig gelesen. Sehen Sie, in der Wildnis übernimmt jeder selbst die Verantwortung. Die kann ihm kein Tourismusmanager abnehmen. Heute aber baut man Pisten auf den Mount Everest und betreibt dort Tourismus bis auf den Gipfel. Alpinismus aber kann nicht stattfinden, wenn es eine Piste gibt. Der hat früher nur in der Wildnis seinen Platz gehabt.

Nicht zuletzt wegen solcher Fragen liegen Sie auch seit Jahren im Dauerclinch mit dem Deutschen Alpenverein.
Der Alpenverein führt aus meiner Sicht eine verlogene Diskussion: Einerseits bläst man die Naturschutzfanfare, andererseits ist es sein größtes Anliegen, die Mitgliederzahlen zu steigern. Ich habe deshalb schon vor 25 Jahren gesagt: Wenn der Alpenverein so weitermacht, ist er der Totengräber des Alpinismus. Darüber würde ich wirklich gerne eine Debatte mit den Verantwortlichen führen, aber ich werde dort nicht mehr eingeladen.

Bei solchen Themen haben Sie sich wie bei Ihren Expeditionen immer am Limit bewegt. Sie waren auf den höchsten Bergen, haben Wüsten und Eislandschaften durchquert. Gibt es für Reinhold Messner noch ein Abenteuer, oder ist dieser Planet inzwischen zu klein für Sie geworden?
Das ist ganz einfach. Ich werde älter, die Berge damit höher und steiler. Deshalb liegen die Abenteuer inzwischen vor der Haustür. Die Herausforderung hängt immer von den Fähigkeiten ab. Ich brauche jetzt nur auf kleinere Berge zu steigen und erlebe Abenteuer wie zu meinen besten Zeiten. Wenn ich mit 80 noch auf einen schönen Hügel im Schwarzwald kommen sollte, dann wird das ein großartiges Abenteuer sein.