Eine Fahne auf dem Grundstück des Reichsbürgers, der in Mittelfranken einen Polizisten erschoss und drei weitere verletzte. Jetzt soll hart gegen die Reichsbürger vorgegangen werden. Foto: dpa

Nach den tödlichen Schüssen auf einen Polizisten soll jetzt hart gegen die so genannten Reichsbürger vorgegangen werden, die alle staatlichen Institutionen sabotieren. Dabei gab es schon seit längerem Anzeichen dafür, dass da was aus dem Ruder läuft.

Berlin - Bisher hatten Regierung und Verfassungsschutz die so genannten Reichsbürger gern als Spinner abgetan, von denen nur wenige extremistische oder rechtsextremistische Tendenzen verfolgen würden. Jetzt, nach den tödlichen Schüssen eines Reichsbürgers auf einen 32-Jährigen Polizeibeamten in Georgensgmünd, soll das Bundesamt für Verfassungsschutz auf Weisung des Bundesinnenministeriums prüfen, ob die bisherige Einschätzung noch angemessen ist. Ein Sprecher sagte: „Der extremistische Anteil ist nicht groß, aber vorhanden“ und „natürlich müsse man da sehr genau hinschauen“. Man werde noch einmal „überprüfen, ob die bisherigen Bewertungen dazu weiter Bestand haben oder nicht.“ Am härtesten will CSU zuschlagen, in deren bayerischen Herrschaftsbereich sich die Tat ereignete, bei der drei weitere SEK-Beamte verletzt worden sind. Innenminister Joachim Herrmann und sein Parteifreund, der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag Stephan Mayer, wollen allen Reichsbürgern die Waffen abnehmen. Die Opposition fragt nun, wieso schaut man jetzt erst genauer hin?

Eine schillernde Szene

Denn ernstzunehmende Hinweise, wonach sich die schillernde Szene der Reichsbürger zunehmend radikalisiert, gab es schon vor diesem Polizeieinsatz, bei dem das Waffenarsenal des 49-Jährigen eingezogen werden sollte. Der Brandenburger Verfassungsschutz, der die Anhänger dieser sehr heterogenen Gruppierung intensiver als andere Landesdienste im Blick hat, warnte bereits im Sommer vor bedenklichen Entwicklungen. Man beobachte, dass sich Reichsbürger zunehmend bewaffnen, hieß es. Bei Hausdurchsuchungen seien demnach wiederholt Waffen und große Mengen Munition gefunden worden und man könne nicht ausschließen, dass diese auch eingesetzt werden.

Die Linksfraktion griff diese Einschätzung im Juli auf und befragte das Bundesinnenministerium, ob darauf zu reagieren sei. Die Antwort des Ministeriums entsprach der Einschätzung, die es schon 2012 veröffentlicht hatte. Die Szene derer, die Deutschland als „Verwaltungskonstrukt der Alliierten“ oder als geheim agierende „BRD GmbH“ bezeichnen und damit als völkerrechtlich illegal und juristisch nicht existent, sei „zersplittert und vielschichtig“. Es fehle deshalb „eine bundesweite Relevanz“ jener Gruppe, die davon ausgeht, dass Deutschland weiterhin in den Grenzen von 1937 existiere. Außerdem stelle sich „immer wieder die Frage der Ernsthaftigkeit der politischen Bestrebung“. Bei einigen Protagonisten werde die Schuldfähigkeit „in psychiatrischen Gutachten angezweifelt“.

Gewalttaten bis zu Tötungsdelikte

Es ist nicht so, dass deshalb die Gefahr gänzlich unter den Teppich gekehrt oder die Schnittmengen zu Rechtsextremisten negiert worden wären. Erst vor wenigen Wochen führte das Bundesinnenministerium in einer Antwort auf eine Grünen-Anfrage aus: „Das aggressive Verhalten von als Reichsbürger bekannter Personen gegen Vollzugsbeamte belegt, dass zumindest in Teilen der Bewegung anlassbezogen auch vor schwersten Gewalttaten bis hin zu Tötungsdelikten nicht zurückgeschreckt“ werde. Eine Passage in diesem Schreiben liest sich gar wie die Vorwegnahme dessen, was jetzt in Mittelfranken geschah: Die „Nichtanerkennung hoheitlicher Maßnahmen dürfte dabei die Hemmschwelle zur Begehung von Gewaltdelikten insbesondere im Rahmen von Vollzugsmaßnahmen gegen eingesetzte Beamte herabsetzen.“ Aber stets war bisher von Einzelpersonen die Rede. Das Problem: zu allen konkreten Fragen über Struktur, Gesamtzahl oder gemeinsame Aktionen mit Rechtsextremisten konnte das Innenministerium in dieser und anderen Antworten der Opposition wenig oder gar nichts sagen. Linke und Grüne fragten sich deshalb schon seit längerem, woher denn die These herrühre, wonach es sich um einen versprengten Haufen von Verrückten handle, von dem nur ein paar gefährlich seien. Wo man doch anderseits einräume, nicht sonderlich viel über sie zu wissen.

Dass die Reichsbürger nicht nur Behörden sabotieren sondern auch eine Vorliebe für Waffen haben, ist ohnehin schon lange kein Geheimnis. Von 2012 bis 2013 trieb das so genannte „Deutsche Polizei Hilfswerk“ in Sachsen sein Unwesen, dem rund 100 aktive Mitglieder angehörten. Es verstand sich als ausführendes Sicherheitsorgan der Reichsbürger, eine Bürgerwehr, die vor Gewalttaten nicht zurückschreckte und die sich 2013 selbst auflöste.

Kritik von Grünen, Linken und SPD

Grüne und Linke prangern wegen dieser Vorgeschichte die Sicherheitsbehörden und das Bundesinnenministerium an. „Die Bundesregierung und das Bundesamt für Verfassungsschutz haben bisher in fahrlässiger Weise darauf verzichtet, das Gefahrenpotenzial der Reichsbürger zu analysieren“, sagte deren innenpolitische Sprecherin Irene Mihalic dieser Zeitung: „Wir haben das immer wieder angemahnt und dafür Gleichgültigkeit geerntet.“ Es müsse bei den Reichsbürgern intensiv der Frage nachgegangen werden, „ob es Planungen gibt, ihre Ideologie mit Gewalt durchzusetzen“. Dafür gebe es „bereits heute viele Anhaltspunkte.“ Linken-Vorsitzende Katja Kipping ließ wissen: „Die Strategie der Politik und Behörden - wegschauen, kleinreden, nichts tun - ist dramatisch gescheitert.“ Und auch die SPD-Bundestagsfraktion will, dass jetzt genauer hingesehen wird. Dies sei „leider nicht der erste Fall, in dem Reichsbürger Gewalt anwenden“, sagte SPD-Innenexperte Burkhard Lischka dieser Zeitung . Deshalb handle es sich „bei den Reichsbürgern nicht – wie häufig behauptet – nur um irgendwelche Spinner.“