Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles hat das Leiharbeitsgesetz jüngst mit einem neuen Plakat angekündigt. Doch könnte das Vorhaben neuen Unmut bescheren. Foto: dpa

Exklusiv: Arbeitsministerin Nahles droht neuer Ärger: Die Bundesrechtsanwaltskammer sieht in ihrem Gesetzentwurf zur Leiharbeit erhebliche Widersprüche zum Grundgesetz.

Stuttgart - Das Gesetzesvorhaben von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) gegen den Missbrauch von Leiharbeit kommt nicht aus der Schusslinie. In einer Stellungnahme für den Bundestagsausschuss Arbeit und Soziales äußert die Bundesrechtsanwaltskammer „erhebliche Bedenken zur Verfassungsmäßigkeit“ des Entwurfs. In dem sechsseitigen Schreiben werden diverse Gründe angeführt.

So wird die Begrenzung der Überlassungsdauer auf grundsätzlich höchstens 18 Monate als Verstoß gegen das Grundgesetz erachtet, weil sie gemessen an den gesetzgeberischen Zielen, dem Schutz von Leiharbeitern und Stammbelegschaft, unverhältnismäßig sei und „verfassungswidrig in die Grundrechte der unternehmerischen Freiheiten eingreift“. Auch die Öffnungsklausel bei der Höchstüberlassungsdauer an den gleichen Betrieb erscheine verfassungswidrig – unter anderem weil sie die Tarifpartner der Zeitarbeit von der Tariföffnung ausschließe und die verschiedenen Gruppen der Kundenbetriebe ungleich behandle. Kritisiert wird zudem die „strikte und ausnahmslose Vorgabe von Equal Pay“ (gleicher Lohn wie Stammbeschäftigte bei gleicher Arbeit) in der Regel nach neun Monaten und – sofern Zuschlagstarifverträge eine stufenweise Heranführung des Entgelts festgelegen – spätestens nach 15 Monaten Überlassung an den Entleiher. Auch dies wird als unverhältnismäßig und nicht erforderlich bezeichnet.

Verbot des Streikbrechereinsatzes gerügt

„Erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“ werden ferner mit Blick auf die Sanktionen geltend gemacht – insbesondere wenn ein einmaliger Verstoß gegen die Höchstüberlassungsdauer oder den Equal-Pay-Grundsatz zwingend zum Entzug der Überlassungserlaubnis führe. Dies komme für den Personaldienstleister einem Berufsverbot gleich. Darüber hinaus sei das Verbot des Streikbrechereinsatzes verfassungswidrig, weil der Staat damit unter Verletzung seiner Neutralitätspflicht Leiharbeitnehmer und deren Verleiher-Arbeitgeber „zur faktischen Unterstützung eines Streiks im Kundenunternehmen zwingt“. Laut dem Gesetzentwurf dürfen bestreikte Betriebe Leiharbeiter nur einsetzen, wenn die jeweilige Tätigkeit sonst nicht von einer streikenden Stammkraft ausgeübt wird. Diese Regelungen müssten ganz gestrichen werden, rät die Bundesrechtsanwaltskammer.

Das Bundeskabinett hatte die Neuregelungen Anfang Juni erst nach langem Koalitionskonflikt beschlossen. Vorausgegangen waren Kompromisse, wonach Arbeitgeber und Gewerkschaften in Tarifverträgen von den Vorschriften abweichen können. Die Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion für Arbeitnehmerrechte, Beate Müller-Gemmeke, sieht sich in ihrer Kritik bestätigt: „Arbeitsministerin Nahles verfehlt ihre Zielsetzung komplett“, sagte sie unserer Zeitung. „Mit der Höchstüberlassungsdauer wird Missbrauch nicht verhindert, sondern gesetzlich legitimiert.“ Leiharbeitskräfte dürfen nur noch vorübergehend bei einem Entleihbetrieb beschäftigt werden. Die Betriebe aber könnten künftig dauerhaft Leiharbeit einsetzen – mit immer neuen Leiharbeitskräften. „Damit entstehe ein Personalkarussell, das sich endlos drehen kann“, so die Reutlinger Abgeordnete.

Nur jeder zehnte Leiharbeiter profitiert vom Gesetz

In Deutschland gibt es derzeit knapp eine Million Leiharbeitnehmer in etwa 11 000 Leiharbeitsfirmen. Da mehr als die Hälfte der Beschäftigungsverhältnisse in der Zeitarbeit weniger als neun Monate andauern, fallen sie weder unter die Equal Pay-Regelung noch unter die Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten. „Durch den Ansatz, dass tarifvertragliche Regelungen sowohl die Fristen für Equal Pay als auch die Überlassungshöchstdauer verlängern, haben diese Regelungen de facto Auswirkungen auf etwa zehn Prozent aller Beschäftigungsverhältnisse in der Leiharbeit“, hat der Nationale Normenkontrollrat in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf festgestellt.

„Das Gesetz hält nicht das, was es verspricht“, bekräftigte die Grüne Müller-Gemmeke. Gleichen Lohn für gleiche Arbeit gebe es erst frühestens nach neun Monaten. „Es ist dreist, dann noch von Equal Pay zu reden.“ Flexibilität müsse ihren Preis haben. Eine bürokratische Höchstüberlassungsdauer brauche da niemand. Stattdessen sollte gleicher Lohn für gleiche Arbeit ab dem ersten Tag plus Flexibilitätsbonus gezahlt werden. „Das wäre gerecht, und Leiharbeit würde betriebswirtschaftlich dann auch nur vorübergehend Sinn machen.“