Priti Patel verlässt Downing Street 10 am Mittwochabend als Exministerin. Foto: AFP

Ob durch Sexaffären, eigenwilliges Regierungshandeln oder unbedachte Äußerungen: Die Ministerriege der britischen Regierungschefin Theresa May droht auseinanderzufallen. Am Mittwochabend tritt die Entwicklungshilfeministerin zurück.

London - Infolge der Veröffentlichungswelle von sexuellen Belästigungen, die zuletzt über hochrangige britische Politiker hinweggerollt ist, kommt Premierministerin Theresa May immer mehr ins Wanken. Erst verlor sie mit Michael Fallon ihren Verteidigungsminister. Dann musste sie das Kabinettsamt anweisen, den als Vizepremier fungierenden Damian Green wegen des Verdachts sexueller Fehltritte und des angeblichen Besitzes pornografischen Materials unter die Lupe zu nehmen.

Am Mittwochabend musste Entwicklungshilfeministerin Priti Patel abtreten – womit sie offenkundig einer Entlassung zuvorkam. Sie hatte auf eigene Faust mit Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sowie israelischen Ministern verhandelt und finanzielle Hilfe für Israels Militär auf den Golanhöhen vorbereitet – ohne May oder Johnson vorab in Kenntnis zu setzen.

Sodann fordern viele Tories und alle Oppositionsparteien die Entlassung von Außenminister Boris Johnson. Dieser hatte einer im Iran wegen angeblicher Spionage zu fünf Jahren Haft verurteilten Britin fälschlicherweise nachgesagt, sie habe den Iranern Unterricht in Journalismus erteilen wollen. Die Betreffende wurde am Tag nach dieser Äußerung erneut von Behörden vernommen. Ihre Familie befürchtet nun, dass sich die Strafe verdoppeln kann. Johnson verweigert eine Entschuldigung.

Auf eigene Faust in Israel verhandelt

Ausgerechnet jetzt, da May an der Brexit-Front gebraucht würde, scheint ihr Kabinett auseinanderzufallen. Die „Financial Times“ sprach am Mittwoch davon, dass Mays Regierungsriege „in Anarchie zu versinken“ drohe, da einzelne Minister „sich über ihre Autorität hinwegsetzen, auf eigene Faust Politik machen und sich gegenseitig bitter bekriegen“. Der frühere Generalsekretär der Konservativen, Lord Patten, findet die Lage schockierend: Wenn niemand mehr sie noch respektiere, habe die Premierministerin ein echtes Problem.

Die Krise um Patel hatte am Mittwoch geradezu bizarre Formen angenommen. Die Entwicklungshilfeministerin war von May angewiesen worden, eine Afrikareise abzubrechen und unverzüglich nach London zurückzukehren. Patel hatte im August bei einem privaten Israelurlaub zwölf Treffen mit Repräsentanten der israelischen Regierung absolviert. Organisiert worden war die Tour vom dortigen Außenministerium. Unter anderem besuchte sie offenbar ein Militärkrankenhaus auf den Golanhöhen, dem sie Geld zur Betreuung syrischer Flüchtlinge zukommen lassen wollte. Die Golanhöhen sind tabu für westliche Politiker: Auch Großbritannien betrachtet sie als syrisches Territorium.

Ein verwirrter Staatssekretär

Während Patel ihre Privatgespräche führte, hielt sich ihr Staatssekretär Alistair Burt in offizieller Mission ebenfalls in Israel auf – angeblich ohne zu wissen, dass seine Ressortleiterin gleichzeitig inoffiziell aktiv war. Nach Bekanntwerden der zwölf Gespräche mit den Israelis Ende voriger Woche versuchte die Ministerin den Eindruck zu erwecken, das Außenministerium habe von Anfang an von dem Trip gewusst. Diese Behauptung nahm sie am Montag zurück. May versuchte zunächst, die Entwicklungsministerin im Amt zu halten. Dann wurden zwei weitere nicht deklarierte Termine Patels im September bekannt: ein Treffen mit dem israelischen Minister für öffentliche Sicherheit in London und eines mit einem hohen Beamten des israelischen Außenministeriums in New York. Diese neuen Enthüllungen führten zur Rückbeorderung – und zum Rücktritt.

Wann wusste May was?

Ein Bericht im „Jewish Chronicle“ gab der Geschichte noch eine Dimension. Demnach hatte man im Außenministerium und in der Regierungszentrale seit Wochen Kenntnis von einzelnen Patel-Aktionen und versuchte sie zu vertuschen. May dementierte. Sie will von Patels Treffen mit Netanjahu erst am vorigen Freitag erfahren haben – einen Tag, nachdem der israelische Ministerpräsident ihr selbst seine Aufwartung in Downing Street 10 gemacht hatte.