Martin Dengler aus Göppingen hat derzeit 120 Kühe im Stall. Ob er als Milchbauer eine Zukunft hat, ist ungewiss Foto: Horst Rudel

Im Regierungsbezirk Stuttgart wird ein Viertel der Milch im Land produziert – von immer weniger Bauern. Sie bekommen zurzeit extrem wenig Geld für ihr Produkt. Es geht um ihre Existenz, doch wie man das Problem löst, darüber sind sie sich uneinig.

Stuttgart - Nachmittags um drei muss Martin Dengler erst mal frühstücken. Wie jeden Tag ist der Faurndauer Landwirt an diesem Morgen zuerst um sechs, halb sieben zum Melken in den Kuhstall gegangen. Doch an diesem Tag lagen gleich zwei trächtige Kühe auf dem Boden und kalbten – und beide plagten sich nach Kräften. Dengler musste schließlich den Tierarzt rufen. Zu fünft haben sie die Kälber gesund zur Welt gebracht. „Heute morgen war der Teufel los“, sagt Dengler.

Dabei ist er sonst nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. Nicht einmal dadurch, dass der Milchpreis zurzeit extrem niedrig ist. Und das, obwohl der 39-jährige Bauer 120 Kühe im Stall stehen hat, von denen jede 8000 bis 8600 Kilogramm Milch pro Jahr produziert. Im Herbst, Winter und Frühjahr kommen 170 Kälber zur Welt. Außerdem betreiben Denglers eine Rinderzucht. Zweieinhalb Jahre dauert es, bis eine Kuh Milch gibt. Etwa 1500 Euro bekomme man für so ein Jungtier. „Verdient ist da nichts“, sagt Dengler, weil der Betrag etwa den Aufzuchtkosten entspreche. Den Hof betreibt er mit seinem Vater Helmut. Schon die Großeltern waren Bauern. In dem mit 7300 Einwohnern größten Göppinger Stadtbezirk sind die Denglers die letzten ihrer Zunft. 1982, als die Familie mit ihrem Hof von der Ortsmitte in den Außenbereich umzog, waren es noch fast 30 Milchbauern.

Arbeitstag hat 15 Stunden

Martin Denglers Arbeitstag hat 15 Stunden, manchmal mehr. Sonntags schafft er weniger, acht Stunden braucht er aber trotzdem. Abends und morgens werden die Tiere gemolken, allein dafür braucht er jeweils zweieinhalb, drei Stunden. Dazwischen werden hundert Hektar Land bewirtschaftet. Das Futter für das Vieh – ras, Getreide, Mais – produziert der Hof im Wesentlichen selbst, nur die Eiweißträger Soja- und Rapsschrot werden zugekauft. Er jammert trotzdem nicht, weil er mag, was er macht: „Wenn man etwas gerne tut, dann darf es auch etwas mehr sein.“

Überhaupt will er nicht klagen. Ja, der Milchpreis sei mit 30 Cent niedrig. Ja, das decke auch bei ihm gerade mal so die Kosten. Und ja, lange sollte die Niedrigpreisphase nicht anhalten. Andererseits: „Im letzten Jahr haben wir 40 Cent bekommen.“ Außerdem „hat man gewusst, dass die Preise sinken werden. Mich hat eher gewundert, dass es so lange gedauert hat“. Zwar habe man nicht mit dem Russland-Embargo oder der sinkenden Nachfrage aus Asien rechnen können. Aber schließlich sei zu erwarten gewesen, dass mit dem Auslaufen der Milchquote die Produktionsmengen wieder steigen.

Verlust von 30 000 Euro im Jahr

„Mir war klar: wenn es am 1. April Feuer frei heißt, dann kommt die Milch“, sagt auch Karl-Eugen Kühnle. Der Landesvorsitzende des Bundes deutscher Milchviehhalter (BDM) aus Ulm sieht die Krise nicht so gelassen wie sein Göppinger Kollege. „Der durchschnittliche Betrieb in Baden-Württemberg verliert 30 000 Euro im Jahr“, sagt er. „Da werden Lebensversicherungen aufgelöst und Äcker verkauft, um die laufenden Kosten zu finanzieren.“ Investiert werde nicht mehr. „Irgendwann sind die Betriebe ausgelutscht“ und für die nächste Generation nicht mehr rentabel. Das Höfesterben, befürchtet Kühnle, werde weitergehen: „Und die Erfolgreichen müssen schaffen wie die Hunde.“

Der BDM fordert deshalb wenigstens vorübergehend Eingriffe in den Milchmarkt, um die Menge zu regulieren. „Als einzelner Landwirt kann ich mich nicht marktkonform verhalten“, sagt Kühnle. Der Landesbauernverband als weitere landwirtschaftliche Interessenvertretung setzt dagegen eher auf die Erschließung neuer Märkte und die Schaffung einer Risikoausgleichsrücklage, die es den Bauern erlaubt, in guten Zeiten für die schlechten vorzusorgen.

Hitzige Diskussion

Die Diskussion über die richtige Lösung der Probleme, zu denen die Abschaffung der Milchquote geführt hat, wird hitzig geführt und spaltet die Bauern untereinander. „Da sind richtige Lager entstanden“, sagt Martin Dengler bedauernd. Er selbst glaubt, dass sich der Markt von selbst reguliert. Auch die Milchquote habe in der Vergangenheit schwankende Milchpreise nicht verhindern können. Außerdem ist er davon überzeugt, seine Arbeit gut zu machen. „Wenn es dann trotzdem irgendwann nicht mehr reicht, dann geht es anderen genauso“, sagt er. „Dann ändert sich auch was.“

Denglers haben in den vergangenen Jahren investiert. Für 300 000 Euro haben sie einen Jungviehstall gebaut. Ein Fünftel der Summe haben sie vom Land als Zuschuss bekommen. Zurzeit planen Vater und Sohn den Umbau des alten Stalls, etwa 150 000 Euro wollen sie investieren. Unter anderem soll der Melkstand erweitert werden. Martin Dengler liebäugelt mit einem Doppelzehner. Dann könnten 20 Kühe gleichzeitig gemolken werden. Im Moment sind es zehn. Die Melkerei wäre in der halben Zeit erledigt. Wachsen soll der Hof aber nicht mehr. Mit zwölf Kühen hat Helmut Dengler angefangen. „Ich selbst hätte noch vor 15 Jahren nie gedacht, dass wir mal 120 Tiere haben“, sagt Dengler. In den vergangenen 20 Jahren ist der Viehbestand jedes Jahr um drei Kühe gewachsen. Mehr sei als Familienbetrieb nicht zu stemmen.