Die Zahl der Foto: dpa-tmn

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe und der Präsident des Deutschen Pflegerats, Andreas Westerfellhaus, begründen die Reform der Pflege-Ausbildung mit den geänderten Anforderungen in Klinik und Heim.

Berlin - Die Reform der Pflegeberufe soll auch auf den großen Bedarf an Pflegekräften reagieren. Wie groß ist der Bedarf?
Westerfellhaus: Bis 2030 kann eine Versorgungslücke von bis zu 500 000 Vollzeitkräften, die beruflich an der Versorgung Pflegebedürftiger beteiligt sind, entstehen. Diese Lücke geht zu 80 Prozent auf den gestiegenen Bedarf und zu 20 Prozent auf das gesunkene Erwerbspersonenpotenzial zurück. Diese Entwicklungen zusammen erzeugen insbesondere einen Mangel an Kräften in den Pflegeberufen – nicht nur in der Altenpflege, auch in der Kinderkrankenpflege und in den Krankenhäusern. Deshalb müssen wir die Attraktivität des Pflegeberufs steigern.
Gröhe: Und in den nächsten 15 Jahren wird die Zahl der Pflegebedürftigen von 2,6 Millionen auf 3,3 Millionen ansteigen. Die gute Nachricht: Es gibt einen Ausbildungsrekord in der Pflege. Aber es gibt noch immer zu viele Berufsabbrecher.
. . . weil der Beruf aus mehreren Gründen nicht attraktiv ist – von der Bezahlung bis zum psychischen Stress.
Gröhe: Genau deshalb setzen wir an unterschiedlichen Punkten an: Wir haben die Betreuungskräfte, die die Pflegekräfte unterstützen, um 20 000 erhöht. Wir treiben den Bürokratieabbau in der Pflege voran. Wir haben festgeschrieben, dass die Zahlung von Tariflöhnen in der Pflege bei den Pflegesätzen berücksichtigt werden muss. Und wir haben gesetzlich festgelegt, dass bis Herbst neue Pflegesätze für die Pflegeheime vereinbart und damit auch die Personalschlüssel angepasst werden.
Sie wollen aus drei Pflegeberufen, Alten-, Kranken-, Kinderkrankenpflege, einen machen. Einwand: Wenn aus drei Ausbildungen eine wird, bleibt viel auf der Strecke, und es entsteht eine verflachte Basisausbildung.
Gröhe: Das ist falsch. Es gibt schon heute viele Überschneidungen: Alle müssen gut Bescheid wissen über Anatomie, Wundbehandlung, Hygiene, ethische und rechtliche Fragen. Diese gemeinsamen Ausbildungsteile führen wir zusammen. Darüber hinaus kann jeweils ein Schwerpunkt in der Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege gewählt werden.
Wenn alles so vergleichbar ist, warum gibt es dann überhaupt Änderungsbedarf?
Gröhe: Weil sich die Anforderungen verändert haben: In den Krankenhäusern steigt die Zahl älterer und demenzkranker Menschen. Krankenpfleger brauchen deshalb auch altenpflegerische Kenntnisse. Und in den Altenpflege-Einrichtungen steigt die Zahl chronisch und mehrfach erkrankter Pflegebedürftiger, die gut versorgt werden müssen. Das heißt, im Pflegeheim brauchen wir zunehmend krankenpflegerisches Wissen. Dafür müssen wir unsere Pflegekräfte fit machen.
Westerfellhaus: Die Reform entspricht aber auch dem Wunsch der Auszubildenden, einen Berufsgang zu wählen, der attraktive Möglichkeiten zur Weiterentwicklung eröffnet. Uns ist vollkommen klar, dass mit der Vereinheitlichung keine Absenkung der Qualität eintreten darf. Das wird nicht geschehen. Aber die Forderung nach einer Reform kommt ja aus der Profession selbst.
Macht es Sie da nicht stutzig, dass mindestens aus einer Sparte der Pflege, der Altenpflege, ziemlich vehementer Widerstand kommt?
Westerfellhaus: Da macht mich eher stutzig, aus welcher Richtung der Gegenwind kommt . . .
. . . vor allem von den privaten Anbietern der Altenpflege.
Westerfellhaus: Wer öffentlich als Pflegevertreter auftritt, sollte eigentlich auch die Profession ausüben. Das Vertreten von Arbeitgeberinteressen ist eine ganz andere Sache. Ich empfehle, das ganz sauber auseinanderzuhalten. Die Berufsgruppe selbst steht voll hinter der Reform. Sie hat sie seit langem gefordert. Auch alle Wohlfahrtsverbände stehen dahinter. Aber natürlich stehen wir in der Begründungspflicht.
Die Altenpflege hat Angst, dass ihr Hauptschüler verloren gehen, weil sie sich von gesteigerten Anforderungen abschrecken lassen.
Gröhe: Da sieht man doch schon: Manche sagen, die Ausbildung verflache – es werde zu wenig vermittelt. Nun ist das Argument, die Ausbildung wird zu schwer – es werde zu viel vermittelt. Im März legen wir Eckpunkte einer Verordnung mit den Ausbildungsinhalten vor. Dann kann man sich über die Einzelheiten unterhalten. Ich will eine starke Berufsausbildung. Und zwar auch deshalb, weil ich von Rufen aus Europa nichts halte, man müsse alle Pflegerinnen und Pfleger in der Hochschule ausbilden. Wir eröffnen jungen Menschen mit zehnjährigem Hauptschulabschluss auch weiterhin den Weg in die Fachkraft-Ausbildung. Wer neun Jahre Hauptschule hat, kann eine Pflegehelfer-Ausbildung machen. Die wird dann auf die Pflegefachkraftausbildung angerechnet.
Etwa ein Drittel der Azubis in der Altenpflege sind Hauptschüler. Wenn die den Stoff für die klinische Pflege mitlernen müssen, wird die Ausbildung schwerer.
Westerfellhaus: Wir sollten ehrlich sagen: Ja, es ist ein anspruchsvoller Beruf. Wir können nicht, um Quantität zu bedienen, die Qualität herunterschrauben. Aber man muss in beide Richtungen den Blick weiten: Wir schaffen über die Pflege-Assistentenausbildung einen Einstieg für Hauptschüler mit neunjähriger Schulzeit, auf der anderen Seite gibt es für diejenigen, die es können, einen akademischen Anschluss. Das System muss dabei durchlässig sein.
Aber wer als Pflegefachkraft mit Schwerpunkt Altenpflege in die Klinik geht, wird eine Weiterbildung brauchen.
Gröhe: Das gibt es doch in vielen Berufen. Wer als Jurist im Studium wenig Strafrecht gemacht hat, aber dann in eine Strafrechtskanzlei geht, wird sich weiterbilden müssen. Das ist normal. Wer für die Altenpflege brennt, wird diesen Schwerpunkt wählen. Aber anders als heute eröffnet der gemeinsame Abschluss neue Berufs- und Aufstiegschancen. Weiterbildung spielt zudem schon heute eine große Rolle: Krankenschwestern und -pfleger bilden sich weiter, um etwa in der Intensiv- oder Palliativmedizin zu arbeiten. Das wird so bleiben.
Westerfellhaus: Wir müssen übrigens erkennen, dass sich die Struktur unserer stationären Altenpflege-Einrichtungen in den letzten 20 Jahren massiv geändert hat. Im Grunde sind das ja kleine Krankenhäuser, denn die Menschen dort sind ja nicht nur pflegebedürftig. Sie sind deshalb pflegebedürftig, weil sie krank sind: Wir haben dort beatmete Patienten, multimorbide Patienten am Ende des Lebens. Andererseits ist die Situation in einer klinischen Geronto-Psychiatrie, wo Menschen sich mehrere Wochen aufhalten, einem modernen Pflegeheim ähnlicher als einer Akutklinik. Das heißt: Das Wissen des pflegenden Personals muss dafür ausreichen. Durchlässigkeit der Sektoren ist deshalb so wichtig. Die Tätigkeitsfelder bewegen sich aufeinander zu.
Eine Studie aus dem Bildungsministerium zeigt, dass im Ausland dort besonderer Mangel in der Altenpflege herrscht, wo es eine generalisierte Ausbildung gibt
Gröhe: Ich warne davor, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. In vielen dieser Länder gibt es nur eine hochschulische Pflegeausbildung. Dort kennt man nicht unsere starke Berufsausbildung, die wir jetzt fortentwickeln.
Wenn das Berufsbild attraktiver werden soll, muss man in der Altenpflege besser bezahlen.
Gröhe: Genau deshalb haben wir gesetzlich geregelt, dass die Zahlung von Tariflöhnen bei den Pflegesätzen berücksichtigt werden muss. Jetzt stehen die Tarifpartner in der Pflicht. Wir haben auch noch zu große regionale Unterschiede in der Bezahlung. Allerdings wird der Fachkräftemangel den Lohnforderungen Wind unter die Flügel bringen. Insofern rechne ich mit einer Angleichung nach oben. Übrigens stärkt es Arbeitnehmer im Hinblick auf ihre Lohnwünsche, wenn sie zwischen den Pflegeberufen wechseln können.
Westerfellhaus: Man muss mir erst mal erklären, warum die gleich wertvolle Tätigkeit eines Altenpflegers mit über 500 Euro brutto weniger bezahlt wird als die einer Krankenschwester. In der Altenpflege muss man in der Ausbildung oft noch Schulgeld mitbringen. Künftig reden wir von einer Profession Pflege. Das wird auch auf die Bezahlung gute Auswirkungen haben.
Braucht es eine längere politische Beratung?
Gröhe: Es wurde viele Jahre über die Reform geredet. Hier weiter mit einem Moratorium zu verzögern, wie die Grünen das wollen, ist verantwortungslos. Wir werden mehr Pflegekräfte brauchen, deshalb brauchen wir auch eine moderne Ausbildung. Anfang März legen wir die Eckpunkte der Ausbildungsverordnung vor. Im März wird die erste Lesung im Bundestag stattfinden, dann sind die Abgeordneten Herr des Verfahrens.