Franktionschef der Landtags-Grünen Winfried Kretschmann Foto: dpa

Winfried Kretschmann, Fraktionschef der Grünen, hat die StN-Redaktion besucht.

Stuttgart - Der Mann hat Großes vor, "Epochales", wie er sagt. Winfried Kretschmann, der Fraktionschef der Landtags-Grünen, will Baden-Württemberg regieren. Welche Parteien ihm dabei helfen sollen? "Alles ist möglich." Doch vorher verteilt er noch kräftig Seitenhiebe gegen die politische Konkurrenz.

Als es zur Sache geht, zieht Winfried Kretschmann sein Jackett aus, legt es über die Stuhllehne und beugt sich nach vorne. Er trägt ein Kurzarmhemd, es sieht verknittert aus. Für Nebensächlichkeiten wie morgendliches Bügeln hat Kretschmann wohl keine Zeit. Es gibt Wichtigeres zu tun, vor allem an diesem Morgen beim Besuch in unserer Redaktion. "Ich bin ein alter Kämpfer", sagt er. Und Kämpfer bügeln nicht. Sie diskutieren, analysieren, versuchen, die Menschen auf ihre Seite zu ziehen, sie von sich zu überzeugen. Manchmal stört ein Jackett dabei nur. "Ich muss es jetzt ausziehen", sagt er in die Runde, "ich echauffier' mich schon wieder so." Es geht um das Großprojekt Stuttgart 21.

"Die Drexler'sche Knute wirkt nicht mehr"

"Das sind tiefgreifende Veränderungen für dieses Land", ruft er, und seine Stimme überschlägt sich, so wie sie das immer tut, wenn er in Rage gerät. Ob die Grünen denn nur Trittbrettfahrer seien, die den vielen Demonstranten nach dem Mund redeten? Kretschmann hält kurz inne, überlegt, und man befürchtet schon Schlimmes für seine armen Stimmbänder. Doch dann antwortet er ganz ruhig, in entspannter Tonlage. "Diesen Schuh lass' ich mir nicht anziehen." Von Anfang an hätten die Grünen davor gewarnt, hätten Auskunft verlangt über Kosten, Bauzeit und andere Unsicherheitsfaktoren. "Wir haben dieses Thema nicht erst jetzt entdeckt."

Kretschmann ist ein Mann der Gesten. Wenn er seinen Worten Nachdruck verleihen will, stößt er beide Handkanten auf die Tischplatte. Spricht er über ein Thema wie Stuttgart 21, fuchtelt er mit den Händen, wie wenn er ein riesiges Wollknäuel entwirren will.

Kretschmann kennt die Macht der Worte. Deshalb wirbt er auch mit Vehemenz für das jüngste Moratorium der Stuttgart-21-Gegner, den sogenannten Stuttgarter Appell, dem bis Anfang dieser Woche rund 12.000 Menschen im Internet zugestimmt haben. "So ein Moratorium bedeutet, man hält noch mal inne und führt eine offene Diskussion." Denn die sei dringend notwendig, schließlich würden immer mehr Befürworter ins Lager der Gegner wechseln. Sagt Kretschmann und nennt als Beispiel die SPD im Stuttgarter Landtag. "Da bröckelt die Zustimmung gewaltig." Und das trotz eines Stuttgart-21-Sprechers namens Wolfgang Drexler, Vizepräsident im Landtag mit SPD-Parteibuch? "Die Drexler'sche Knute wirkt nicht mehr bei der SPD", sagt Kretschmann. Immer nur den Deckel obendrauf zu halten - "das nützt nichts mehr".

Da ist er wieder, der Kämpfer

Mit Fragen zur SPD muss sich Kretschmann in diesen Tagen besonders oft auseinandersetzen. Einer Umfrage zufolge läge Rot-Grün derzeit vor Schwarz-Gelb. Die CDU käme auf 37, die FDP auf sieben Prozent. Die Sozialdemokraten erhielten 25 Prozent der Stimmen, die Grünen 20 Prozent - so viele wie noch nie. Bei den Landtagswahlen im Jahr 2006 erreichten sie 11,7 Prozent. Kommen die Grünen also mit den Roten zusammen nach der Landtagswahl?, lautet die Frage aus der Redaktionsrunde. Oder wie es SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel kürzlich ausdrückte: "Wenn es für Rot-Grün am 27. März reicht, dann machen wir auch Rot-Grün." Was meint Kretschmann dazu? "Sehe ich auch so." Kurz und trocken. Ohne Handkantenschlag.

"Nein, jetzt mal wirklich", sagt er, das sei doch klar: "Wenn wir die CDU nicht auf die Oppositionsbänke schicken und beobachten würden, ob sie auch Kleine Anfragen schreiben kann, wer würde das verstehen?" Gut, also für Rot-Grün wäre Kretschmann offen. Mehr Annäherung ist aber erst mal nicht. Die Sozialdemokraten müssten sich noch ziemlich weiterentwickeln. Genauer gesagt: ihre Rolle als Volkspartei schärfer fassen. Und Antworten finden auf die Frage, "eine schwierige Frage": Was ist heute sozial? "Klassisch sind das Fragen nach der Verteilungsgerechtigkeit, aber auch nach Chancengerechtigkeit." In dieser Hinsicht befinde sich die SPD derzeit in einem "Findungsprozess". Nein, er, Kretschmann, wolle ihr keinen Rat geben, tut es dann aber doch: "Die SPD muss sich mehr um solche Fragen kümmern."

Hoffnungsvoll blicke er in Richtung des neuen SPD-Landesvorsitzenden Nils Schmid, dem er diesen Findungsprozess zutraue. Im Gegensatz zu SPD-Fraktionschef Claus Schmiedel, "der auf Mäkel-Opposition spezialisiert ist und nicht in sehr langen Linien denkt". Den jungen Schmid bezeichnet Kretschmann als Denker - aus seinem Mund klingt es wie ein Lob. Es sei wichtig, dass so einer an der Spitze der Südwest-SPD stehe - "und nicht irgendein Aktionist". Ein Seitenhieb gegen Schmiedel.

Da ist er wieder, der Kämpfer

Doch noch einmal zurück zu den möglichen Regierungskoalitionen nach der Landtagswahl. Wer Rot-Grün ins Spiel bringt, muss sich auch mit möglichen anderen Kombinationen auseinandersetzen. Also, Herr Kretschmann, wenn es nach der Landtagswahl sowohl für Rot-Grün als auch für Schwarz-Grün reichen würde? Was dann? "Es wird immer verhandelt", sagt er, ohne zu zögern. Was dann dabei herauskommt? "Solche Vorhersagen halte ich für höchst spekulativ." Nur eines sei sicher: "Ich kann mir schlecht vorstellen, dass etwas anderes herauskäme als ein Regierungswechsel" - wenn es zu einer Mehrheit jenseits von Schwarz-Gelb reiche. Ansonsten: keine Koalitionsaussagen. So steht es im Parteiprogramm. So haben es die Mitglieder verinnerlicht. Und jeder, egal ob Landes- oder Kreisvorsitzender, Bundestagabgeordneter oder Fraktionschef im Gemeinderat, jeder würde dieselbe Antwort wie Kretschmann geben: "Keine definitive Koalitionsaussage."

So viel Unklarheit können sich die Grünen erlauben. Selbstbewusst sind sie geworden über die Jahre, Kretschmann hat das Gefühl, "mit unseren Themen in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein". Die da wären: Schulpolitik ("Schulen müssen selbstständiger werden") oder Wirtschaft ("Mehr Arbeit durch grüne Technologien"). Um nur ein Paar zu nennen. Die Grünen unter Kretschmann nutzen die Schwächen der Landesregierung. Wo immer sie Themen nicht schnell genug besetzt, ist die Öko-Partei zur Stelle. Da kommt es Kretschmann gelegen, dass mit Stefan Mappus ein Ministerpräsident an der Macht ist, "der sich finden will und muss".

Seit 1980 sitzt Kretschmann im Stuttgarter Landtag - mit kurzen Unterbrechungen. Er hat Ministerpräsidenten kommen und gehen sehen. Er kennt den Unterschied. Mappus, da ist er überzeugt, "sei schwerer zu nehmen" als seine Vorgänger. "Mappus kämpft mit dem Säbel, ich bevorzuge das Florett." Da ist er wieder, der Kämpfer. Der Kämpfer mit Worten, zu mehr ließe sich der Mann aus Spaichingen auch nicht hinreißen. Bis auf eine Ausnahme. Als sein Handy klingelt, unterbricht er die Unterhaltung, nimmt das Gerät aus der Tasche, sagt: "Ich muss das Handy kurz töten" und schaltet es aus. So viel Mordlust hätte man dem Grünen-Chef gar nicht zugetraut.