„Wer will in eine andere Klasse?“ – die Eltern eines Ludwigsburger Schulbuben sind mit der Einstufung ihres Sprösslings alles andere als zufrieden. Foto: dapd

Mal wird versucht, einen missliebigen Mitschüler aus der Klasse zu klagen, mal wehren sich Eltern vor Gericht gegen die Stellenbesetzung im Rektorat – immer öfter wird Schulalltag zum Fall für die Justiz. Jüngstes Beispiel ist ein Rechtsstreit um einen Platz in einer bestimmten Ludwigsburger Grundschulklasse.

Ludwigsburg - Über die richtige Klasse für ihre Sprösslinge machten sich früher die wenigsten Eltern große Gedanken. Wer als ABC-Schütze einem bestimmten Lehrer zugeteilt wurde, schnürte seinen Ranzen und fand sich bei Unterrichtsbeginn an seiner Schulbank ein – ohne zu fragen, ob einem ein anderer Pädagoge oder andere Klassenkameraden vielleicht doch passender wären.

Inzwischen freilich denken Erziehungsberechtigte mitunter anders über den Start in die schulische Karriere – und wollen aktiv mitbestimmen, wo und wie ihr Kind fürs Leben lernt. An der Oststadtschule II in Ludwigsburg, einer reinen Grundschule mit momentan 366 Zöglingen, hat sich an der fehlenden Einstufung eines Schülers in die gewünschte Klasse beispielsweise ein erbittert geführter Rechtsstreit entzündet. Mit juristischen Mitteln soll der Wechsel von der Klasse B in die Klasse D erzwungen werden.

Vor dem Stuttgarter Verwaltungsgericht beklagten die besorgten Eltern, dass ihr siebenjähriger Sprössling in der falschen Schulklasse sitzen müsse – und daher unter „erheblichen psychischen Problemen“ leide. Weil die zwölfte Kammer den Eilantrag abgeschmettert hat, steht nun möglicherweise sogar eine Berufungsverhandlung über das Seelenheil des Siebenjährigen ins Haus.

Um mehr als eine Viertelstunde verlängert sich der morgendliche Gang zum Unterricht nicht

Um zu verstehen, worum es den Eltern beim Streit um die Schulklasse geht, lohnt sich ein kurzer Blick in die Historie der Oststadtschule II. Vor Jahren noch war die gesamte Bildungseinrichtung am Berliner Platz in der Nähe von Stadionbad und Eishalle untergebracht. Ende der 1990er Jahre aber erschloss die Stadt die elf Hektar große Krabbenlochkaserne als Wohngebiet mit dem Titel Rotbäumlesfeld, die Grundschule wurde in einen Neubau am Rande des Areals verlagert. Allerdings blieb der Berliner Platz auch nach dem Wechsel als Schulstandort erhalten – bildungspolitisch eine Kuriosität. „Die Hälfte unserer 16 Klassen wird in der Außenstelle unterrichtet“, erklärt Kerstin Bergold, die seit fünf Jahren amtierende Rektorin der geteilten Grundschule ist.

Der Sohn der streitbaren Ludwigsburger Familie wurde nun just in eine Schulklasse eingeteilt, die in der etwa 800 Meter entfernten Zweigstelle der Oststadtschule unter-gebracht ist. Vom Laufweg her ist die Entfernung überschaubar, um mehr als eine Viertelstunde verlängert sich der morgendliche Gang zum Unterricht nicht. Doch der Schulweg war beileibe nicht der einzige Grund, der die Eltern auf die juristischen Barrikaden trieb. Sie beschwerten sich vor Gericht vor allem deshalb, weil ihr Sohn als einziges Kind aus seiner ehemaligen Kindergartengruppe in die etwas weiter entfernt liegende Dependance ausweichen musste. „Diese Einstufung widerspricht eklatant dem Kindeswohl“, heißt es in der von dem Bietigheimer Rechtsanwalt Joachim Bach verfassten Klageschrift der Familie.

„Erhebliche psychische und psychologische Probleme“

Dass immerhin vier Kinder aus dem früheren Hort in der gleichen Schulklasse sitzen, spielte für die erbosten Eltern keine Rolle. Sie protestierten gegen den im Juli in den Briefkasten flatternden Einschulungsbrief. Weil die Schulleitung der Beschwerde nicht nachkam, zog die Familie vor Gericht – und führte „erhebliche psychische und psychologische Probleme“ ihres angeblich völlig isolierten Sprösslings an.

Das Stuttgarter Verwaltungsgericht allerdings wollte sich nicht auf eine Diskussion ums bedrohte Seelenheil des Schülers einlassen – zumal die Familie kein entsprechendes Attest vorgelegt hatte. In einer Eilentscheidung lehnte die zwölfte Kammer die Klage des Schülers und seiner Eltern ab, einen Rechtsanspruch auf die Wahl einer bestimmten Grundschulklasse gebe es bisher in Baden-Württemberg nicht. Mit einem positiven Urteil wäre juristischem Streit über die Einteilung in eine Schulklasse nämlich Tür und Tor geöffnet – während den einen Eltern der ausgewählte Pädagoge nicht behagt, könnten andere auf die Ein-stufung in eine Schulklasse mit geringem Migrationsanteil pochen.

Für die Oststadtschule II gab bei der Ablehnung der Wechselwünsche übrigens ein ganz anderes Argument den Ausschlag. Die am Hauptsitz in der Danziger Straße untergebrachten Schulklassen dieser Jahrgangsstufe sind mit derzeit 26 und 27 Kindern schon knapp am Platzlimit. In der Zweigstelle am Berliner Platz hingegen sitzen nur jeweils 19 Schüler im Unterricht – eine nachträgliche Veränderung hätte das Ungleichgewicht nur noch vergrößert. Über die angeblichen psychischen Schwierigkeiten des klagenden Schülers hat die Lehrerschaft ohnehin eine gänzlich andere Sicht. In einer Stellungnahme fürs Verwaltungsgericht betonte Rektorin Bergold, dass der fragliche Schulbub „in seiner jetzigen Klasse gut angekommen, in der Klassengemeinschaft gut integriert und keinesfalls unglücklich“ sei.