Adina Schweickhardt klärt Todesursachen und Tatverläufe auf Foto: Peter Petsch

Tatort, CSI oder Crossing Jordan – in vielen Fernsehserien spielen Rechtsmediziner mittlerweile Hauptrollen. Adina Schweickhardt, Rechtsmedizinerin im Raum Stuttgart, braucht sich die Krimis nicht anzuschauen. Denn ihre tägliche Arbeit findet sie viel spannender und vielseitiger als im Fernsehen dargestellt.

Tatort, CSI oder Crossing Jordan – in vielen Fernsehserien spielen Rechtsmediziner mittlerweile Hauptrollen. Adina Schweickhardt, Rechtsmedizinerin im Raum Stuttgart, braucht sich die Krimis nicht anzuschauen. Denn ihre tägliche Arbeit findet sie viel spannender und vielseitiger als im Fernsehen dargestellt.

Stuttgart - Frau Dr. Schweickhardt, in den Fernseh-Krimis werden die Rechtsmediziner immer zum Fundort der Leiche gerufen und müssen sofort die Frage nach dem Todeszeitpunkt beantworten. Ist das realistisch dargestellt?
Nein. Manchmal ist der Todeszeitpunkt wichtig, aber ich habe es nicht so oft erlebt, dass das die zentrale Frage ist. Es ist auch nicht so, dass wir zum Fundort kommen und da mal schnell die Totenstarre prüfen und dann sagen können, dass der Tote um 15 Uhr gestorben ist. Wir können anhand der Temperatur der Leiche ein Zeitfenster von fünf Stunden oder mehr bestimmen.
Das ist enttäuschend.
Ja, das ist enttäuschend. Genauso enttäuschend ist, dass wir nicht nach der Obduktion gleich die toxikologischen Untersuchungen abgeschlossen haben, wie das im Fernsehen immer so ist. Das dauert alles. Aber es ist auch gut, wenn man sich die Zeit nimmt, um den Gesamtfall überblicken zu können.
Schauen Sie sich selbst Krimis an, in denen Rechtsmediziner eine Hauptrolle spielen?
Außer dem Tatort schaue ich keine dieser Serien. Das interessiert mich einfach nicht so, weil mein Beruf spannender ist.
Was halten Sie von dem Rechtsmediziner Professor Dr. Karl-Friedrich Boerne aus dem Münster Tatort?
Den schaue ich. Das ist natürlich schon fast eine Karikatur. Und auch die Arbeit an sich wird nicht realistisch gezeigt, weil er ja die ganze Zeit mit dem Polizisten unterwegs ist. Das ist bei uns nicht so. Wir treffen uns mal mit der Polizei zu den Obduktionen, oder bei den körperlichen Untersuchungen. Aber es ist nicht so, dass ich irgendwelche Vernehmungen mache.
Werden Sie überhaupt zu Fundorten gerufen?
Wir haben Bereitschaftsdienste, die gehen 24 Stunden pro Tag und eine Woche lang. Da kann es schon passieren, dass man zum Fundort fahren muss. Manchmal braucht die Kriminalpolizei unsere Einschätzung, ob ein Tötungsdelikt vorliegt oder nicht.
Warum sind Sie Rechtsmedizinerin geworden?
Bei mir ist das familiär bedingt, denn mein Vater war Rechtsmediziner. Ich habe mich schon zu Schulzeiten immer für seine Fälle und seine Arbeit interessiert. Für mich war nach dem Abitur klar, dass ich Medizin studiere, um Rechtsmedizinerin zu werden.
Was fasziniert Sie an Ihrer Arbeit?
Die Vielseitigkeit. Man hat viele verschiedene Arbeitsbereiche und ist viel unterwegs. Ich finde es spannend, Fälle zu lösen. Da ist zum einen die praktische Arbeit, wie Obduktionen, körperliche Untersuchungen, die histologische Nachuntersuchung der Organteile, die wir bei der Obduktion entnehmen. Dann ist aber auch ein großer Teil Schreibtischarbeit mit schriftlichen Gutachten, so dass man auch mal Tage am Schreibtisch verbringt. Dazu kommen die Gerichtstermine. Wir sind ziemlich viel unterwegs, weil wir für einen Umkreis von Rottweil, Hechingen, Heilbronn, Tübingen und Stuttgart zuständig sind.
Was sind deutliche Zeichen für ein Fremdverschulden als Todesursache?
Wenn das Messer in der Brust steckt (lacht). Relativ diskret, aber recht eindrücklich sind zum Beispiel punktförmige Einblutungen in den Augenlidern. Da muss man schon genau hinschauen. Das ist ein Zeichen für Sauerstoffmangel und damit für einen Angriff auf den Hals.
Was die wenigsten wissen: Sie haben nicht nur mit Toten, sondern auch mit lebendigen Opfern zu tun.
Ja, das sind die körperlichen Untersuchungen. Da geht es dann um Körperverletzungsdelikte. Ich untersuche die Opfer von Gewaltdelikten im Krankenhaus oder auf dem Polizeirevier. Dann dokumentieren wir die Verletzung. Wir beurteilen zum Beispiel die Verletzungsursache und welche Gewalteinwirkung ausgeübt wurde.
Sie kommen auch zum Einsatz, wenn es um ärztliche Behandlungsfehler geht. Da macht man sich bei den Ärzten sicherlich nicht beliebt?
Stimmt. Aber wir haben zu den Ärzten keinen Kontakt. Wenn es vor Gericht geht, argumentiert häufig die Verteidigung, dass ein Rechtsmediziner zum Beispiel nicht zu einem chirurgischen Eingriff Stellung nehmen kann. Deswegen empfehlen wir auch, zu unseren Gutachten noch ein fachärztliches Gutachten hinzuzuziehen. Es stimmt ja auch, dass wir nicht so spezialisiert sind.
Ist beim Medizinstudium eine Obduktion Pflicht?
Ja. Die Studenten finden das ganz unterschiedlich. Einige bleiben auf Distanz. Die fragen dann auch mal: Und ihr habt Medizin studiert, um so etwas zu machen? Der ein oder andere hat da kein Verständnis. Ärzte sehen den Sinn ihres Berufes darin, zu heilen. Und das ist bei uns nun mal nicht so. Aber viele Studenten interessiert es auch. Das Fach Rechtsmedizin ist regelmäßig ausgebucht.
Gibt es etwas, wovor Sie sich in Ihrem Beruf ekeln?
Ekeln würde ich nicht sagen. Es gibt Sachen, die sind unangenehm. Fäulnisveränderte Leichen sind nie ein schöner Anblick, besonders bei Madenbefall. Unangenehm finde ich auch immer den Inhalt von einem vollen Magen. An den Geruch der Leichen gewöhnt man sich aber schnell. Studenten tendieren dazu, raus und wieder rein zu gehen, das macht es aber immer schlimmer. Am besten bleibt man und die Nase gewöhnt sich daran.
Fällt es Ihnen manchmal schwer, das Erlebte zu verarbeiten?
Ich glaube, dass die Belastung weniger groß ist, als bei Ärzten, die zum Beispiel Sterbenskranke betreuen. Wir haben fast nur mit der Kriminalpolizei und der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren zu tun, nicht mit Betroffenen. Deswegen ist die Distanz größer. Aber was mir trotzdem immer nahe geht, sind Fälle von Kindesmisshandlungen.
Bereiten Ihnen Ihre Fälle manchmal noch nach der Arbeit Kopfzerbrechen?
Für mich steht im Vordergrund der Beitrag zur Todesursachenklärung und manchmal mache ich mir noch nach der Arbeit Gedanken, wie ich einen Befund einordnen kann. In der Regel zählt für mich aber das gute Gefühl, meinen Beitrag zur Aufklärung von Delikten geleistet zu haben.