Das Verwaltungsgericht hat im Sinne der Eltern geurteilt Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

Wer in Stuttgart einen Platz zur Kleinkindbetreuung braucht, sich rechtzeitig und lange vergeblich um Plätze bei der Stadt bemühte, der kann von der Kommune die Übernahme von Mehrkosten für einen teureren privaten Platz fordern. Das ist die Botschaft aus einem Urteil des Verwaltungsgerichts.

Stuttgart - Die Erleichterung war dem Paar am Freitag im Saal 5 des Stuttgarter Verwaltungsgerichts anzumerken. Ein Jahr lang hatten die beiden in Vollzeit berufstätigen Eltern aus dem Stuttgarter Osten sich um einen städtischen Betreuungsplatz für ihren Sohn bemüht. Nachdem sie ihr Kind in eine teurere private Einrichtung geben konnten, hielten sie ihre Anfrage aufrecht und pochten letztlich auf die Erstattung der inzwischen aufgelaufenen Mehrkosten durch die Stadt. Achteinhalb Stunden Kleinkindbetreuung samt Essen kosten bei der Stadt 301 Euro pro Monat. An den Privatanbieter Early Bird Club, der in Stuttgart drei Einrichtungen unterhält und am Freitag im Internet zum Beispiel in der Steubenstraße fünf freie Betreuungsplätze auswies, zahlte das Paar rund 690 Euro.

„Wir wären froh gewesen, wenn wir den Schritt vor Gericht nicht hätten gehen müssen“, sagte die Mutter des betroffenen Kindes, „aber es gab keine Resonanz vom Jugendamt“. Das schickte immer nur Absagen. Nicht nur für die Wunschkita, die Kindervilla Berg, sondern auch für neun andere Häuser im Umkreis einer halben Stunde Fahrzeit. Auch die seien alle voll belegt. Weil das Paar im stadteigenen Punktesystem für die Warteliste nur zwei von fünf möglichen Zählern erhielt, hätte es für ihren inzwischen fast dreijährigen Sohn wohl nie einen der rund 1500 städtischen Plätze erhalten.

Beim Gericht sind 23 weitere sehr ähnliche Verfahren anhängig. Das jetzt gesprochene Urteil, das die Stadt zur Zahlung von 5620 Euro zuzüglich Zinsen und zur weiteren Übernahme der Differenzkosten zur Privatkita verpflichtet, gilt für sie nicht, denn immer muss der Einzelfall geprüft werden.

Auf der städtischen Warteliste für einen Betreuungsplatz für bis zu Dreijährige standen zum Beginn des neuen Kindergartenjahres rund 3400 Namen. Die meisten Eltern haben keine Lust auf eine solche Konfrontation“, sagte die klagende Mutter (41), die als Produktmanagerin arbeitet. „Das war ein Spießrutenlaufen. Wir dachten, dass das Jugendamt Dienstleister ist“, konkretisierte der 40-jährige Vater den Vorwurf.

Die zweistündige Verhandlung unter dem Vorsitz von Richterin Sylvia Thoren-Proske verlief sachlich. Nur einmal gerieten Kläger und Beklagte aneinander. „Wir haben uns nicht nur auf die Stadt verlassen, da kam auch überhaupt nichts zurück. Alle Eltern laufen durch die Stadt und suchen Plätze, die Stadt kennt das Problem seit mindestens 2004“, warf der Vater der Verwaltung langjährige Untätigkeit vor. „Die Mitbürger schreien nach Kitas, aber vor der eigenen Haustür sollen sie nicht sein. Wir sind in einer schwierigen Situation“, konterte Robert Höschle vom städtischen Rechtsamt. „Wir sind nicht Gegner der Eltern, die Stadt verlässt sich auch auf die freien Träger“, sagte der stellvertretende Jugendamtsleiter Heinrich Korn. Die Stadt biete nur 28,5 Prozent aller Plätze für bis zu Dreijährige an, die Pluralität sei gewollt, so Korn. Die Sozialbürgermeisterin Isabel Fezer (FDP) teilte per Pressemitteilung mit, dass die Stadt die Versorgungsquote in den nächsten Jahren auf die erforderlichen rund 60 Prozent anheben wolle. Tatsächlich investiert die Stadt seit einigen Jahren gewaltig in die Betreuung. Bis Ende 2015 sollen 1200 weitere Plätze für unter Dreijährige geschaffen werden. Im Doppelhaushalt wurden rund 96 Millionen Euro für den Kita-Ausbau eingestellt. Der Kostendeckungsgrad durch die Gebühren liegt bei nur zehn Prozent.

Auf den Aufwand konnte das Gericht keine Rücksicht nehmen, zumal seit September 2013 ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zum Kostenersatz vorliegt. Im Stuttgarter Fall waren alle Anforderungen erfüllt. Die Eltern hatten das Jugendamt über ihren Bedarf informiert, die Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen lag vor, die Sache duldete keinen Aufschub. Nun muss die Stadt zahlen. Und vielleicht mehr. Die Richter äußerten Bedenken, ob die Stadt durch die dezentrale Vergabe der Betreuungsplätze ihrer Verantwortung gerecht werde.