So bescheiden stellte sich das erste Rebstock-Festival 1976 auf dem Fellbacher Kappelberg dar. Weitere Bilder aus der Festivalhistorie zeigt die Fotostrecke. Foto: privat

1976 schleppte eine Gruppe Fellbacher Jugendliche eine Bühne auf den Kappelberg. Erst vierzig Jahre später, ist das Rebstock-Festival mitten in der Stadt angekommen – und erinnert an eine Zeit, in der mit Festivals noch nicht Millionen gemacht wurden.

Fellbach - Peter Hauser steht in etwa da, wo vor vierzig Jahren der Bassverstärker dröhnte. „Damals hat’s die ganze Woche geschifft“, erinnert er sich. Hauser, der sich mit Tiroler Akzent als „ein Handfester“ vorstellt, blickt hoch auf die Zuschauerränge der Waldbühne am Fellbacher Kappelberg. „Da oben stand der Wurstwagen, und das war’s auch schon. An Toilettenhäusle hat damals keiner gedacht.“

Am Vorabend des Rebstock-Festivals im September 1976 – Untertitel: „Amateurbandfestival am Kappelberg“ – saßen der damalige wie heutige Fellbacher Jugendarbeiter Hauser und sein 15-köpfiges Organisationsteam auf der völlig durchnässten Fellbacher Waldbühne zwei Stunden Probe. Mit noch so viel Euphorie ob des ersten selbst organisierten Rockfestivals konnten sie sich die Lage nicht schönreden: „Es war klamm und schweinekalt.“

Vor allem hörte es nicht auf zu regnen. Am Festivaltag um 11 Uhr rief Hauser beim SDR an und bat darum, die Absage zu vermelden. Umsonst waren die Holzbänke instandgesetzt, Scheinwerfer und Equipment den Wald auf 470 Meter Seehöhe hochgeschleppt und die nötigen Genehmigungen eingeholt worden – dachte man. Am frühen Nachmittag kam plötzlich die Sonne durch, und mehrere hundert Besucher, die offenbar nicht Radio gehört hatten, wanderten von der Endhaltestelle der Straßenbahnlinie 1 hinauf zum Kappelberg. Das Gelände war nicht abgesperrt, Brötchen ließen sich trotz Ladenschluss irgendwie organisieren, und so wurde an jenem Samstag im Fellbacher Wald eben doch Rockmusik gespielt. Es war der Beginn einer Festivaltradition.

Vier Jahrzehnte, zehn Locations

An diesem Wochenende wird das Rebstock-Festival vierzig Jahre alt. Den zehn Locations, an denen es in diesem Zeitraum stattgefunden hat, fügen die Organisatoren diesmal eine elfte hinzu: den Platz vor der Schwabenlandhalle, also mitten in der Stadt. Das zeigt, dass das Festival in der 45 000-Einwohner-Gemeinde mittlerweile genauso zum Jahresprogramm dazugehört wie der Fellbacher Herbst.

Lange Zeit war das nicht so. In früheren Jahren fand das Rebstock-Festival in einem – mittlerweile zugeschütteten – Steinbruch, bei einem abgelegenen Waldspielplatz, auf einer Wiese im Landschaftsschutzgebiet oder gleich im Jugendhaus statt – nämlich immer dann, wenn es nicht wie 1976 rechtzeitig zu regnen aufhörte. Einmal wurde es wegen horrender Auflagen des Landratsamts sogar abgesagt.

Am Kappelberg, wo diese Musikgeschichte ihren Anfang nahm, tobt beim Ortstermin eine Gruppe des Waldkindergartens. „Heute würde ich mitten in der Natur kein Rockfestival mehr veranstalten“, sagt Peter Hauser. 1975 war er frisch vom Studium in Wien gekommen und fand, dass die Jugendhausbands mal unter freiem Himmel spielen sollten. Die Fellbacher Nachwuchsmusiker träumten von einem Festival, wie sie es in dem 1970 erschienenen Dokumentarfilm „Woodstock“ gesehen hatten. So etwas in der Art, nur eben viel bescheidener, schwebte auch Peter Hauser und seinem Team damals vor, mit etwas Sinn für Lokalkolorit kam der Name Rebstock heraus.

Naturschützern stieß die Feier im Wald übel auf, die Lokalzeitung schrieb gegen das „Martyrium für Tiere und Umwelt“ an – erfolgreich, nach 1989 war Schluss mit dem Rebstock auf der Waldbühne. Klar, sagt Hauser, Vorbehalte gegenüber den langhaarigen Jugendlichen habe es auch gegeben. „Natürlich ist gekifft worden, aber eigentlich war’s harmlos.“ Immerhin nahm die Fellbacher Jugend das Festival selbst in die Hand, so ein Engagement könne man doch nicht schlecht finden.

Freier Eintritt statt VIP-Tickets

Die Dinge selbst in die Hand nehmen: das ist der Geist der Rockfestivals aus jener Zeit, der sich bis heute bewahrt hat. Zwar denkt man beim Stichwort Festival mittlerweile eher an kommerzielle Großveranstaltungen wie Rock am Ring mit Zehntausenden Besuchern. Dort werden Jahr für Jahr mit VIP-Tickets, Luxuscamping und Sponsoring Millionen eingenommen. Die hiesigen Festivaldinos hingegen bieten freien Eintritt, Gratiskampieren und Infostände für Bürgerinitiativen. Das Umsonst & Draußen auf der Pfaffenwaldwiese in Stuttgart-Vaihingen bietet dieses Programm seit 1980, das Lab-Festival bei den Berger Sprudlern gibt es seit 1981, das Open-Air Warmbronn seit 1985. Noch älter ist das Rohrer Seefest, das 2014 sein 40-jähriges Bestehen feierte.

Natürlich haben sich auch die kleinen, selbst organisierten Festivals im Laufe der Jahrzehnte verändert. Beim Rebstock-Festival 2016 ist fast nichts mehr so wie 1976. Damals bestand die Bühne aus ein paar selbst zusammengezimmerten Holzplanken, dazu Verstärker, Schlagzeug und Gesangsanlage sowie zwei Scheinwerfer. Der Sound auf der Waldbühne sei zwar „ganz gut“ gewesen, erinnert sich Peter Hauser. Doch Bilder aus späteren Jahren zeigen, dass Bühne, Lichtanlage und Besucherzahl – auf bis zu 2000 Musikfans – wuchsen.

Auch die Ansprüche des Publikums sind gestiegen. Längst braucht es neben der klassischen Roten im Wecken Gerichte für Vegetarier und Veganer, dazu eine Bude, in der Fanartikel verkauft werden. Früher reichte statt einer Registrierkasse eine Blechdose mit Wechselgeld und Papierbons. Künstler gaben sich mit einer Kiste Bier zufrieden statt wie heute stolze Gagen und ausgefeilte Cateringwünsche aufzurufen. Folglich liegt das Budget heutzutage nicht wie anno dazumal bei 500 Mark, sondern im mittleren fünfstelligen Euro-Bereich.

Die Jugend von heute

Wenn der Jugendhausleiter von früher erzählt, ist natürlich Nostalgie dabei, das weiß Peter Hauser selbst. Manchmal versteht er die Jugendlichen nicht mehr, gibt der 62-Jährige zu – etwa wenn sie, für eine Fotoserie nach ihrem Lieblingsort gefragt, sich im Stuttgarter Einkaufszentrum Milaneo ablichten lassen wollen.

Wer einst eine ganze Konzertbühne den vom Dauerregen verschlammten Kappelberg hinaufgeschleppt hat, der könnte ein dreitägiges Event mit Stadtbahnanschluss als dumpfe Bespaßung einer verwöhnten Jugend abtun. Tut Hauser aber nicht: „Das Wichtigste ist doch, das hier gemeinsam mit den Jugendlichen zu organisieren.“ Hauser und sein fürs Musikalische zuständiger Jugendhauskollege Peter Stepan führen auch dieses Jahr seitenlange Listen junger Fellbacher, die freiwillig mithelfen: an der Theke, in der Küche und hinter der Bühne, beim Organisieren und beim Plakatieren.

Peter Hauser ist von der Waldbühne am Kappelberg zum Parkplatz vor dem Restaurant Waldschlößle hinuntergestiegen. Unten liegt Fellbach, die wohlhabende Remstalgemeinde, die sich seit jeher gegenüber dem großen Nachbarn Stuttgart als Kulturstadt behaupten will. Ein konservativer Wengerterort, damals wie heute. Das erste Festival 1976 habe er nicht zuletzt dank der Rückendeckung des damaligen Oberbürgermeisters Guntram Palm durchgebracht, erinnert sich Peter Hauser – „dabei war der ein Schwarzer und ich ein Roter!“ Aber in Fellbach wie auch in seiner Tiroler Heimat hätten die Leute Langhaarige wie ihn akzeptiert, wenn die ihre Dinge vernünftig anpacken.

Jetzt geht diese Generation so langsam in die Rente. Ein bisschen froh ist der 62-jährige Hauser schon, dass er zumindest das Brötchenschmieren mittlerweile dem Caterer überlassen kann. Und als zum Festivalauftakt am Donnerstagnachmittag wie schon 1976 Fellbacher Nachwuchsbands auf der Bühne standen, spielte sogar das Wetter mit.