Hanka Rackwitz leidet an Zwangsstörungen: Im Dschungelcamp könne sie sich erfolgreich mit ihren Ängsten konfrontieren, behauptet ein Psychiatrie-Experte. Foto: dpa

Eine Frau, die unter Zwangsstörungen leidet, ist die heimliche Heldin des Dschungelcamps. Die Fernsehmoderatorin Hanka Rackwitz mache genau das Richtige, um sich zu heilen, sagt ein Psychiater. Die Zuschauer lieben sie dafür.

Hamburg - Sie ist die, die mit den Bäumen spricht. Ein bisschen seltsam, denkt man, aber seltsam sind sie alle im Dschungelcamp, diesem Fernsehgarten der Neurosen, besonders in dieser Staffel. Menschen, die sich ausschließlich über ihre Präsenz in den Medien definieren: „Ich werde gesendet, also bin ich.“ Trotzdem fällt Hanka Rackwitz aus dem Rahmen.

Ihre Macken sind keine Macken mehr. Die TV-Moderatorin leidet unter Zwangsstörungen. Unter Waschzwang. Unter Kontrollzwang. Unter leichter Hypochondrie. Man tritt RTL nicht zu nahe, wenn man dem Sender unterstellt, er habe Rackwitz genau aus diesem Grund ins Camp eingeladen. Kandidaten, die am Lagerfeuer Selbstmordversuche, Schönheitsoperationen oder Gefängnisaufenthalte beichteten, kennt das Publikum schon.

Eine psychisch kranke Frau aber war noch nicht darunter. Jedenfalls keine, die schon seit Jahren in therapeutischer Behandlung ist und die Tabletten benötigt, auch im Dschungelcamp, Cipramil, täglich 30 Milligramm. Es ist ein Antidepressivum, das bewirkt, dass die Panik nicht durchschlägt.

Rackwitz polarisiert die Zuschauer

Das hat die 47-Jährige vor dem Abflug nach Australien einem Boulevardblatt gesagt. Jetzt, da sie, die Kranke, immer mehr punktet, weil sie die einzige ist, die das Affentheater im Dschungel reflektiert, gewinnt diese Information plötzlich an Brisanz. Darf der Sender so jemanden vor einem Millionenpublikum vorführen? Und dann auf Twitter noch mal nachtreten: „Irgendjemand kranka als #Hanka?“

In Deutschland gibt es ungefähr ein bis zwei Million Menschen, die an Zwangsstörungen leiden. Rackwitz redet offen über ihre Krankheit. Für diesen Mut wird sie bewundert, aber auch angefeindet. Sie kokettiere mit ihren Zwängen, um sich in den Vordergrund zu spielen, behaupten Zuschauer auf Twitter.

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Ihre panische Angst davor, andere zu berühren. Ihre hysterische Reaktion auf eine Schürfwunde am Bein: „Ich hab das Gefühl, da kommt das Unheil rein.“ Ihre hartnäckige Weigerung, sich mit den anderen Kandidaten eine Klobrille zu teilen. Alles nur Fake, alles nur Show? Unsinn, sagen Psychiater. Es sind die typischen Symptome dieser Krankheit. Nur, dass diese Krankheit oft nicht als solche anerkannt werde, weil man den Patienten unterstelle, sie bildeten sich ihre Zwänge bloß ein.

2016 hat Hanka Rackwitz ein Buch darüber geschrieben. Es heißt „Ich tick nicht richtig.“ Wer es liest, fragt sich, wie sie es schaffen konnte, eine Karriere im Fernsehen zu machen. Für die kleine RTL-Schwester Vox trat sie jahrelang als Immobilien-Maklerin in der Dokusoap „mieten, kaufen, wohnen“ auf.

Das Buch vermittelt eine Ahnung davon, wie viel Kraft sie der Kampf gegen diese Zwänge kostet. 25 Mal will sie schon umgezogen sein, weil sie sich nicht sicher fühlte. Bis zu 30 Minuten brauchte sie manchmal, um vor dem Verlassen der Wohnung zu kontrollieren, ob sie alle elektrischen Geräte ausgeschaltet hatte. „Danach war ich groggy wie nach einem 200-Meter-Lauf.“

Der Untergang der DDR und der frühe Tod des Vaters

Rackwitz war schon zwanzig, als die Zwänge auftauchten. Sie, die gebürtige Sachsen-Anhaltinerin, schiebt es auf den Untergang der DDR. Sie sagt, sie habe schon zum zweiten Mal das Gefühl gehabt, dass man ihr den Boden unter ihren Füßen wegziehe. Das erste Mal sei sie sechs Jahre alt gewesen. Ihr Vater starb damals an Magen-Darm-Krebs. Im Hamsterrad der Zwänge habe sie die Sicherheit gefunden, die ihr fehlte.

Für den Psychiater Borwin Bandelow sind das keine schlüssigen Begründungen. Er ist Experte für Angststörungen in Göttingen. Bandelow sagt, Zwangserkrankungen seien zu 50 Prozent genetisch bedingt. Der Hirnstoffwechsel funktioniere anders als bei Gesunden. Warum sich Erkrankte bis zu achtzigmal am Tag die Hände waschen müssen, erklärt er so: „Jeder Mensch hat das Bedürfnis, sich zu waschen. Das ist wie ein Schieberegler im Hirn. Bei Zwangserkrankten ist dieser Regler ganz nach oben geschoben.“

Der Psychiater glaubt an die Konfrontationstherapie

Bandelow kennt solche Patienten aus seiner eigenen Praxis. Er sagt, in 30 Prozent der Fälle gingen die Zwangsstörungen wieder weg. Der Rest könne in der Therapie zumindest lernen, die Zwänge unter Kontrolle zu bringen. Rackwitz habe es ja auch geschafft. Ihre Teilnahme an der Show sei eine gute Gelegenheit, um für Verständnis für Zwangserkrankte zu werben.

Doch ist dafür ausgerechnet der RTL-Dschungel der richtige Rahmen dafür? Bandelow glaubt, dass ausgerechnet diese Art der Konfrontationstherapie für Rackwitz genau die richtige sei. „Sie lernt dort in geballter Form das, was sie sonst einmal pro Woche für fünfzig Minuten in einer Verhaltenstherapie machen würde. Ihre Ängste zu überwinden, indem sie sich ihnen stellt.

Rackwitz spricht vielen Zuschauern aus der Seele

Das Kalkül könnte aufgehen. An Tag sechs hat Rackwitz zum ersten Mal jemanden umarmt. Es geschah nach einer Dschungelprüfung. Zusammen mit Nicole Mieth hatte sie sich zwölf Sterne erkämpft. Mehr ging nicht, und vor Freude drückte sie die Mitstreiterin kurz an sich. Sobald sie große Gefühle übermannten, träten die Zwänge in den Hintergrund, sagt sie. Sie hat das schon einmal erlebt. Im Jahr 2000 hielt sie es acht Wochen lang im Container der Reality-TV-Show „Big Brother“ aus.

Im „Dschungelcamp“ könnte sie es weiter bringen. Im Schutz der Telefon-Kabine wird sie nicht müde, ihrem Unmut über schönheitsoperierte Kandidaten Luft zu machen, die nichts gelernt hätten, außer vor Kameras zu posieren. „Man ist doch hier, um zu leben. Das ist doch kein Pin-up-Kalender.“

Damit spricht sie vielen Zuschauern aus der Seele. Eine Kranke, die den vermeintlich Gesunden den Spiegel vorhält, das ist der Stoff, den RTL für eine Heldengeschichte braucht. Es wäre doch gelacht, wenn sie nicht auch noch die Krone kriegt.