Ein syrischer Flüchtling geht an einem Wahlplakat der AfD vorbei – sie wirbt mit Kritik an der Asylpolitik für sich. Foto: dpa

Die AfD ist nach ihren Erfolgen bei den Landtagswahlen in aller Munde. Sie hat vor allem aus der Flüchtlingskrise politisch Kapital geschlagen. Bei hier lebenden Asylbewerbern gibt es deshalb Ängste – doch für die meisten stehen andere Probleme im Vordergrund.

Stuttgart - Über Flüchtlinge geredet worden ist viel in diesem Wahlkampf. Und das aus Sicht der Alternative für Deutschland (AfD) durchaus erfolgreich. 15 Prozent in Baden-Württemberg hat der Partei ihre ablehnende Haltung gegenüber der derzeitigen Migrationspolitik gebracht. Doch wie sehen diejenigen das Ergebnis, um die sich der Wahlkampf gedreht hat?

Allein in Stuttgart leben derzeit mehr als 8500 Asylbewerber. Die Reaktionen auf den Wahlerfolg der AfD sind durchaus unterschiedlich. „Ich finde, das ist ein Verlust für Deutschland und für die anderen demokratischen Parteien hier“, sagt ein junger Syrer. Für ihn sei Deutschland ein Symbol für das Zusammenhalten und Zusammenleben vieler verschiedener Nationalitäten. „Das Land hat Türken, Spanier, Griechen, Italiener und viele andere Nationalitäten aufgenommen und mit ihnen Deutschland weiter aufgebaut.“ Deshalb sehe er in diesen Wahlergebnisse der AfD „eine Gefahr für den Frieden in Deutschland“. Er hoffe, dass die Deutschen es nicht zuließen, „dass diese vorübergehende Situation lange anhält“.

Praktische Fragen stehen im Vordergrund

Auch der CDU-Oberbürgermeister von Schwäbisch Gmünd, Richard Arnold, ein Vorreiter bei der Integration von Flüchtlingen in die Stadtgesellschaft, spricht von Sorgen bei den Betroffenen: „Die Menschen, die zu uns geflüchtet sind, nehmen das Ergebnis der AfD sehr wohl wahr.“ Seine Familie beherbergt drei Flüchtlinge. Arnold berichtet von Ängsten und Verunsicherungen: „Es gibt da ein Bangen.“

Diese Befürchtungen scheinen allerdings nicht überall vorzuherrschen. Viele Flüchtlinge treiben ganz andere Themen um. Ulrike Herbold, Sprecherin der Evangelischen Gesellschaft, die sich in der Flüchtlingshilfe engagiert, sagt, im Vordergrund stünden kokrete Dinge – vor allem die Sorge, „dass die Grenzen immer dichter werden“. Von Ängsten vor einer sich ausbreitenden Anti-Stimmung gegenüber Flüchtlingen ist bei der Evangelischen Gesellschaft nichts bekannt: „Aufgrund der Arbeit der Freundeskreise fühlen sich die Menschen willkommen.“

„Mit dem politischen System wenig vertraut“

Nach Einschätzung von Gari Pavkovic, dem Integrationsbeauftragten der Stadt Stuttgart, „ist die Wahl doch weit weg von den Menschen“. Die Flüchtlinge seien mit dem politischen System in Deutschland noch wenig vertraut. „Dazu sind sie einfach zu kurz hier.“ Pavkovic weist darauf hin, dass es auch bei den wahlberechtigten Stuttgartern ausländischer Herkunft (etwa 12 bis 15 Prozent der Stadtbevölkerung) Sympathien für die AfD gebe. „Denn auch innerhalb dieser Personengruppe gibt es Abstiegsängste.“

Veronika Kienzle, die Bezirksvorsteherin in der Innenstadt ist und gleichzeitig im Flüchtlingsfreundeskreis für das Haus Martinus aktiv, bestätigt Pavkovics Eindrücke. Unter den gut 300 Bewohnern der Unterkunft hätten die Politik und Wahlen bisher keine große Rolle gespielt. „Die Leute sind mit der Frage beschäftigt, wann sie ihre Anhörung bekommen und ihr Asylverfahren eröffnet wird.“ Allerdings hätten einige gesagt, dass sie am Wahlsonntag zum ersten Mal eine Ahnung davon bekommen hätten, was der Grundgedanke der Demokratie sei. „Sie wissen aber noch nicht so recht, wie sie das einordnen sollen“, berichtet Kienzle. Man müsse ihnen Demokratie, ihren Ablauf und ihre Spielregeln erst grundsätzlich nahe bringen.

Geplant ist eine Demokratiegruppe

Sie hat deshalb Flüchtlinge in den Bezirksbeirat Mitte eingeladen. „Sie müssen lernen, dass sie hier Teil der Zivilgesellschaft sind und ihre Anliegen vorbringen können“, sagt die Bezirksvorsteherin. Außerdem will sie in den Osterferien Führungen durchs Rathaus anbieten, Flüchtlingen die Kommunalpolitik näher bringen und im Haus Martinus eine Demokratiegruppe einrichten. „Wir müssen die Leute einbinden. Sie interessieren sich schon für demokratische Strukturen, und wir müssen ihnen zeigen, wie bei uns der Stand ist.“

Zu dieser Wirklichkeit gehört, dass die AfD in erheblichem Umfang Zustimmung erfährt – und noch mehr Ablehnung. Eine Demokratie muss mit solchen Phänomen umgehen können – das hoffen auch diejenigen unter den Flüchtlingen, die sich näher mit der Wahl befasst haben. „Ich bin mir ganz sicher, dass dieses Land diese Situation meistern wird“, sagt der junge Syrer aus Stuttgart. Doch bis dahin geht es ihm wie vielen anderen: Praktische Dinge sind wichtiger. Er wartet seit Monaten auf seine Anerkennung .