Die Flüchtlingsunterkunft in Ellwangen. Foto: Heino Schütte

Fast 300 Polizisten, Dolmetscher und Asylexperten durchsuchten die Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in Ellwangen, eine ehemalige Kaserne. Ihr Ziel: Junge Algerier, die zu einem Sicherheitsrisiko geworden sind.

Ellwangen - Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr, mahnt ein Schild auf Englisch und Arabisch an der Rezeption der Landeserstaufnahmestelle (Lea) für Flüchtlinge in der Ellwanger Kasernenbrache. Im ersten Morgengrauen ist es mit der Ruhe schlagartig vorbei: Zwei Hundertschaften Bereitschaftspolizei rollen zügig durch das alte Kasernentor. Kriminalpolizisten folgen. Dazu Dolmetscher und Experten des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Ihr Ziel: 57 meist aus Algerien stammende Asylsuchende.

Vor ihnen fürchten sich viele der etwa 2000 Menschen, die in der Lea Ellwangen darauf warten, registriert und medizinisch untersucht zu werden, ihre Asylanträge stellen zu können. Am vergangenen Freitag zeigte ein aus Serbien stammendes Ehepaar einen 25 Jahre alten Algerier bei der Aalener Polizei an. Der Mann soll die zwölf Jahre alte Tochter sexuell missbraucht haben. Seitdem sitzt der Beschuldigte in Untersuchungshaft.

Kein Einzelfall in der Ellwanger Lea. Von der Gruppe der Nordafrikaner, sagt eine Sprecherin des Regierungspräsidiums Stuttgart, seien „in der Vergangenheit erhebliche Sicherheits- und Ordnungsstörungen ausgegangen“. Viele der Algerier haben sich bislang registrieren lassen und einen Asylantrag gestellt.

Widerstand durch Zielperson

Die Polizisten lenken ihre Mannschaftsbusse zu zwei großen Zelthallen. Die hier untergebrachten Männer nennen Betreuer „Single-Männer“. Sie stammen aus Algerien, Tunesien und Marokko. Die Luft ist stickig, ein Gebläse pumpt warme Luft zwischen die Zeltplanen. Als um 6.30 Uhr der Einsatz begonnen habe, seien die meisten der Maghrebiner aus dem Schlaf gerissen worden. Sie hätten mürrisch auf das unsanfte Wecken reagiert, erzählt ein Ermittler.

In einem Fall wurde „durch eine Zielperson Widerstand geleistet“, heißt es in der ersten Lagemeldung des Stuttgarter Regierungspräsidiums, das für die Razzia verantwortlich ist. Die anderen Flüchtlinge in Ellwangen hätten die Aktion gar nicht wahrgenommen. Das ändert sich rasch. Gegen 9 Uhr sind die meisten Asylsuchenden wach. Und: „Die Einsatzmaßnahme gegen die nordafrikanischen Staatsangehörigen werden begrüßt und erleichtert zur Kenntnis genommen“, mailt der Vizeregierungspräsident in die Landeshauptstadt.

Seit Wochen kam es immer wieder zu Unruhen in der Lea. Immer wieder musste die Polizei Verstärkungen aus Ostwürttemberg und Bayern heranführen, um Massenschlägereien zu beenden und in der alten Bundeswehrkaserne für gespannte Ruhe zu sorgen. Die Ermittler stellten fest: Stets spielten die Maghrebiner eine Hauptrolle. Zumal sie zu Raub- und Diebeszügen in die nähere Umgebung der Lea aufbrachen: Jetzt nehmen Polizisten zwei Algerier fest, die am 19. Januar in Aalen an einem schweren Raub beteiligt gewesen sein sollen. Bei einem ihrer Landsleute finden die Fahnder während der Razzia Mobiltelefone, Elektrogeräte und hochwertige Kleidung. Bei einem vierten entdecken Kriminale am Körper versteckte Drogen. Von „renitenten und teilweise straffälligen Nordafrikanern“ spricht Landesinnenminister Reinhold Gall (SPD).

Dessen Landesregierung hatte der Bevölkerung von Ellwangen im vergangenen Jahr die Lea damit schmackhaft gemacht, dass allerhöchstens 1000 Schutzsuchende dort untergebracht werden sollen. Im Herbst waren es zeitweise über 4000. Von den eigentlich in Ellwangen erwarteten „57 Zielpersonen aus Nordafrika“ treffen die Fahnder nur 40 an. 20 von ihnen sind straf- oder auffällig geworden: Sieben hätten weitere Identitäten als die, mit denen sie sich in Ellwangen haben registrieren lassen. Vier weitere Algerier seien bereits in Frankreich straffällig geworden, sind die Ermittler überzeugt. Bei fünfen können sie nachweisen, dass sie bereits in anderen europäischen Ländern einen Asylantrag gestellt haben.

Aktion ein "voller Erfolg"

Die Aktion, sagt Stuttgarts Regierungspräsident Johannes Schmalzl, „ist ein voller Erfolg“. Der frühere Staatsanwalt drängte darauf, dass nur die Nordafrikaner von der Razzia betroffen waren, die bereits auffällig geworden waren. Familien und Kinder, betont Schmalzls Sprecherin, seien von der „Aktion unbehelligt geblieben“, seien fortlaufend über deren Verlauf informiert und betreut worden.

Im Gegensatz zu den Verdächtigen: Sie werden durchsucht. Die Abdrücke ihrer Finger werden ihnen genommen. Sie werden fotografiert. Eine junge Frau aus Syrien schüttelt einem Polizisten dankbar die Hand. „Wir fühlen uns jetzt sicherer“, sagt sie. Auf der Flucht von den Schlachtfeldern der Levante waren viele ausgerechnet dort wieder zu Schutzbedürftigen geworden, wo sie Sicherheit und Ruhe suchten.

Mürrisch lassen die Algerier die Prozedur über sich ergehen. Einer schläft beim Warten auf seinem Stuhl ein. Ehe er auf den Boden kippt, wird er von einem Polizisten aufgeweckt. In einem Wartebereich werden die erkennungsdienstlich behandelten Männer zusammengeführt. Dort erhalten sie ein Verpflegungspaket und werden zu einem Bus geführt. Der bringt die Männer am Nachmittag nach Stuttgart.

Die Maghrebiner sollen dort in ein beschleunigtes Asylverfahren kommen. Die Chancen, dass sie als Asylbewerber anerkannt werden, sind gering. Die meisten von ihnen, vor allen die als Straftäter Überführten, müssen damit rechnen, schnell in ihr Heimatland Algerien abgeschoben zu werden. Als die Dämmerung am Abend über Ellwangen einbricht, sind die blau-weißen Mannschaftsbusse, Polizeipferde und -hunde wieder verschwunden. Die nächste „Nachtruhe von 22 bis 6 Uhr“ wird für die Menschen in der Lea sicherer sein.