Nach dem Tunnelunglück in Rastatt wird dort das Gleisbett abgetragen und eine hundert Meter lange Betonplatte eingezogen. Foto: dpa

Kann ein ähnliches Unglück wie beim Rastatter Tunnel auch bei Stuttgart 21 passieren? Die Bahn hält dies für sehr unwahrscheinlich, während die Gegner die Tunnelbauten auch in Stuttgart als hochriskant ansehen. Rheintalbahn und S 21 – ein Vergleich.

Rastatt/Stuttgart - Die geologischen Verhältnisse bei Stuttgart 21 sind größtenteils ganz anders als im Rheintal. Dennoch halten Gegner einen Tunneleinbruch wie in Rastatt auch in Stuttgart für möglich.

Die Geologie

Vor ihrem Info-Center am Nordportal des Rastatter Tunnels präsentiert die Deutsche Bahn einen Bohrkern direkt von der Baustelle – dort kann man sich anschauen, wie porös der Untergrund im Rheintal ist: Der Brocken besteht nur aus zusammengebackenem Sand und Kies. Um den Tunnel trotzdem sicher zu graben, hatte sich die Bahn entschlossen, den Boden zu gefrieren und damit zu stabilisieren; zusätzlich trägt die Tunnelbohrmaschine an ihrem Kopf einen Schild, der dem Druck von oben entgegenwirkt. Dennoch ist der Tunnel am 12. August auf etwa 40 Metern Länge eingebrochen – die Ursache ist weiterhin offen.

Mit den Verhältnissen in Stuttgart lasse sich das aber keineswegs vergleichen, betont die Deutsche Bahn auf Anfrage unserer Zeitung: Im Untergrund von Stuttgart träfen die Tunnelbauer nämlich überwiegend auf Fels oder festes Gestein. Selbst die Gegner des Projektes behaupten nicht, dass es eine Gefahr gebe wegen zu lockeren Bodens – mit einer Ausnahme, davon später mehr. Sie weisen aber auf den häufig vorkommenden Anhydrit hin, der bei Berührung mit Wasser aufquillt. So führen etwa vier Kilometer des Fildertunnels durch diesen unausgelaugten Gipskeuper. Das mache auch die Tunnelbauten bei Stuttgart 21 „hochriskant“, sagte Eisenhart von Loeper, der Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21. Unfälle könnten nicht ausgeschlossen werden.

Das Vortriebsverfahren

Aufgrund der unterschiedlichen Geologie sehen die Verfahren zum Bau der Tunnel anders aus. In Rastatt kommen zwei Tunnelbohrmaschinen mit sogenanntem Mix-Schild zum Einsatz. Sie sind für weiches Gestein gemacht und am Bohrkopf mit Druckringen versehen. Bei Stuttgart 21 seien die Maschinen für den Einsatz in hartem Gestein ausgelegt, so die Bahn. Allerdings ist die Technik im Fildertunnel insofern zu vergleichen, als auch dort eine Maschine den Vortrieb leistet und sofort anschließend die Röhre aus Fertigbetonteilen zusammengesetzt wird. In den anderen Abschnitten, beim Feuerbacher Tunnel oder beim Tunnel in Untertürkheim, geht die Bahn dagegen in konventioneller bergmännischen Weise vor – es kommt also eine Bauweise mit Spritzbeton zum Einsatz.

Die Vereisung

Beim Rastatter Tunnel wurde die Vereisung des Untergrundes an den Tunnelmündern im Norden und Süden genutzt, um dem Boden mehr Stabilität zu verleihen. Bei Stuttgart 21 wird das Verfahren schon deshalb nicht angewandt, weil der Boden dafür wasserhaltig sein muss. Es werde an den Stuttgarter Tunnelstrecken nirgendwo eingesetzt, so die Bahn.

Einen Streit gab es in Rastatt darum, ob die Vereisung womöglich ein unerprobtes Verfahren und damit dessen Anwendung zu riskant war. Die Bahn betonte zunächst, dass es hinlängliche Erfahrungen mit dem Verfahren gebe; mittlerweile hat sie aber zumindest eingeräumt, dass eine Vereisung auf einer Länge von 200 Metern ungewöhnlich sei. In ihrem Info-Center lobt die Bahn dieses Verfahren explizit als eine von drei Innovationen bei der Neubaustrecke Karlsruhe-Basel. Womöglich war in Rastatt aber gar nicht die Vereisung direkt das Problem. Laut einem Experten, der namentlich nicht genannt werden möchte, könnte beim Tunnelbau versehentlich ein Hohlraum zwischen gefrorenem Boden und Tunneldecke zurückgeblieben und nicht wie üblich verfüllt worden sein; Tage später könnte der Eiskörper dann unter seinem Eigengewicht zerbrochen sein.

Das Stuttgarter Aktionsbündnis kritisiert aber, dass auch bei Stuttgart 21 unerprobte Verfahren eingesetzt würden: Laut Experten ist die Technik zum Bau von Tunneln in Anhydrit „exklusiv für die Stuttgarter Situation entwickelt“ worden und wird hier „weltweit erstmalig eingesetzt“ – und das auf einer Länge von etwa 20 Kilometern. Teils bestätigt die Bahn diese Aussage – der Tunnelbau-Experte Walter Wittke habe, „basierend auf langjährigen wissenschaftlichen Studien, eigens ein Bauverfahren entwickelt, das die Erfahrungen aus dem Bau des Engelbergtunnels berücksichtigt.“ Dort sind seit dem Bau Probleme mit Anhydrit aufgetreten. Wittkes Verfahren sei sehr erfolgreich – bislang seien etwa Dreiviertel der Tunnel in kritischen Abschnitten gebaut worden: „Dabei sind keine Hebungen entstanden.“

Die geringe Überdeckung

An den zwei Tunnelmündern in Rastatt liegen zwischen Oberfläche und Tunneldecke teilweise nur vier Meter – und das in porösem Gestein. Manche Ingenieure, wie Eberhard Hohnecker vom Karlsruher Institut für Technologie, staunen deshalb, dass dieser Tunnel unter einer verkehrlichen Hauptschlagader wie der Rheintalbahn hindurch in der beschriebenen Bauweise errichtet wird und nicht etwa mit verstärkenden Stahlstreben unter den Gleisen. Noch dazu quert der Tunnel die Rheintalbahn in einem sehr spitzen Winkel und damit auf einer langen Strecke.

Laut Klaus Gebhard, Ingenieur und S 21-Gegner, gibt es auch bei Stuttgart 21 eine vergleichbare Stelle: In Untertürkheim unterfahre der Tunnel Häuser und Bürogebäude in gerade 14 Metern Tiefe, dann verlaufe der Tunnel nur 28 Meter seitlich der „riesigen Öltanks“ im Hafen, und schließlich würden auch noch die beiden Betankungsgleise des Ölhafens „in kurzen Abständen und langen Winkeln gleich zweimal in geringer Tiefe“ unterquert. Und das, und nun kommen wir nochmals auf die Geologie zurück, in einem Untergrund, der mit dem Rheintal vergleichbar ist. An dem besagten Abschnitt, das bestätigt die Bahn, verlaufen die Tunnel tatsächlich in ähnlichem Untergrund, im Neckarkies. Gebhard nennt diesen Trassenverlauf „brandgefährlich“. Die Bahn betont dagegen, dass die Abschnitte in diesem Kies bereits erfolgreich erledigt seien.

Daneben gibt es auch in der Stadtmitte, kurz bevor der Tunnel unter der Sängerstraße in den neuen Hauptbahnhof einmündet, einen Abschnitt mit gerade elf Metern Überdeckung. Dort sichern laut Bahn „Hebungsinjektionen“ die Häuser darüber. Es wird also Beton zur Verstärkung in den Boden gespritzt. Dieses Verfahren sei an anderen Stellen bereits eingesetzt worden.

Die Notfallpläne

Harsche Kritik, etwa von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne), gab es wegen fehlender Notfallpläne in Rastatt – die Umleitung des Güterverkehrs nach der Sperrung der Rheintalbahn verursacht erhebliche Probleme. Bei Stuttgart 21 werden ebenfalls Gleise unterfahren – etwa die stark genutzte Strecke im Neckartal, und zwar in neun Metern Tiefe. Bisher sei es zu keinen Problemen gekommen, sagt die Bahn, obwohl 56 Prozent der Tunnel bereits „aufgefahren“ seien. Das Aktionsbündnis sieht dagegen Risiken im späteren Betrieb. Im schlimmsten Fall könnte der Stuttgarter Hauptbahnhof dann nur noch im Notbetrieb erreichbar sein.