„Im Augenblick geht es nur darum, eine geile Tour zu machen“, sagt Marteria. Foto: Paul Ripke

„Das Problem, das wir heute haben, ist die Angst vor dem Fremden“, sagt der Rapper Marteria, der am 6. Dezember in Stuttgart auftritt. Vorab hat er mit uns über sein aktuelles Album und seine Jugend in Rostock geplaudert und darüber, warum es wichtig ist, eine Meinung zu haben – auch zu Stuttgart 21.

Stuttgart - Marteria ist unterwegs. Er gibt sein Interview während einer Autofahrt. „Ich reise viel“, sagt er. „Ich bin ein Reisender.“ An diesem Montag wurde er 35 Jahre alt; geboren wurde er als Marten Laciny. Die Welt kennt ihn auch als Marsimoto, den Rapper mit der piepsigen Stimme und dem grünen Gesicht. Eine Karriere als Profifußballer interessierte ihn nicht, eine Karriere als Modell ebenso wenig - er wollte Musik machen und die Welt bereisen. „Vor ein paar Jahren“, erzählt er am Telefon, „habe ich eine große Weltreise gemacht, bei der ich in kurzer Zeit zehn Länder besucht habe. Ich war in Nepal, Brasilien, in vielen afrikanischen Ländern. Wenn man Musik macht, ist es sehr wichtig, dass man sich beeinflussen lässt, dass man andere Kulturen kennen lernt und das verarbeitet.“ Nirgendwo, sagt Marteria, ginge das besser, als in Afrika: „Das ist der Mega-Kontinent. Die Farben, die Power der Städte, die Bewegung, die Strömung, das Tanzen, die Kultur!“

Er selbst wurde geboren in Rostock, einer Stadt, der er sich noch immer verbunden fühlt, die er gegen ihr schlechtes Image in Schutz nimmt. 1992 kam es dort zu massiven ausländerfeindlichen Übergriffen - „Damals war ich gerade zehn Jahre alt“, sagt Marteria. „Als Rostocker bin ich damit groß geworden. Aber ich sehe auch die andere Perspektive, die viele nicht sehen. Ich bin stolz auf die Wahlergebnisse in Mecklenburg, weil die AfD dort nur die viertstärkste Kraft ist. Rostock ist längst zu einer Multikultistadt geworden; es gibt viele Studenten, eine sehr bunte Szene, und die Stadt entwickelt sich unfassbar gut. Ich kenne viele, die sich in Rostock verliebt haben, die es lieben, in dieser tollen, weltoffenen Stadt am Strand zu liegen. Das ist die Wahrheit über Rostock.“

Er hat als Jugendlicher viel eingesteckt

Die Welt hat sich geändert, wer rechts steht, den erkennt man heute nicht notwendig an seinen Springerstiefeln. In Marterias Jugend war das noch so. „Ich habe sehr oft dafür bezahlen müssen, dass ich eine weite Hose anhatte und mich optisch gegen die Nazis stellte“, erzählt er. „Ich habe viele Schläge kassiert. Aber das war es auch wert. Man muss eine Haltung haben. Ich möchte mit Haltung durch diese Welt gehen. Bei Musikern ist das viel zu selten, finde ich. Die wollen meistens ja nur keine Fans verlieren.“

„Roswell“ hat Marteria sein neues Album genannt. Roswell steht für das UFO, steht für die Aliens. In dieser Kleinstadt in New Mexico, das glauben viele, soll 1947 ein Raumschiff abgestürzt sein. Für Marteria sind die Aliens eine Metapher. „Es geht nicht um kleine grüne Männchen, die mit Untertassen kommen“, sagt er. „Die Aliens sind die Außenseiter; es geht darum, sich wie ein Außenseiter zu fühlen.“ Nicht alle Songs des aktuellen Albums nehmen das Motiv auf, aber auf Stücken wie „Scotty beam mich hoch“ wird der Außerirdische zum Bild der Entfremdung, Veränderung, vielleicht auch des Älterwerdens. „Ein Nazi tanzt zu Billy Jean“, rappt Marteria, „Punks kaufen ganz Berlin“ - „Rentner werden undankbar und mein bester Kumpel Arzt“.

Angeln als Ausgleich

Marteria ist ein Rapper, der Konzeptalben liebt - „Ich mag Platten, die einen Aufhänger haben“, sagt er, „egal, ob das nun irgendwelche alten Rock-Sachen sind oder etwas von Björk. Das ist wie eine Farbe, eine Welt, in die man eintaucht. Auf ‚Roswell’ geht es mir nicht um Raumschiffe, sondern um alles Wahnsinnige auf der Welt. Da möchte man schon einmal hochgebeamt werden.“ Allerdings: Marteria ist auch Realist. „Da oben“, sagt er und lacht, „wird es auf die Dauer bestimmt langweilig. Also zurück ins Chaos.“

Will er selbst sich wegbeamen, packt der Rapper die Angelrute ein. Angeln ist sein liebster Ausgleichssport, ein Erlebnis, das er gerne teilt, nicht nur in Deutschland. „Ich habe ein sehr anstrengendes aber wunderschönes Leben“, sagt Marteria. „Es spielt sich hauptsächlich in Berlin, im Flugzeug und auf der ganzen Welt ab. Angeln ist beruhigend. Es hilft, herunter zu kommen, in die Natur, eine andere Welt zu haben. Deshalb angeln so viele Musiker. Das sind Leute, die viel Aktion haben.“

Ein Leben ohne Alkohol

Mit Till Lindemann von Rammstein war Marteria schon mehrmals angeln; ist er in fremden Ländern, zieht er lieber hinaus an das Wasser, statt Tage lang in einem Club zu sitzen. „So lernt man das Land besser kennen, die Menschen.“ Seit er vor drei Jahren nach einem Fußballspiel zusammenbrach und sich vorübergehend einer Dialyse-Behandlung unterziehen musste, meidet Marteria außerdem den Alkohol, die Drogen - „Vielleicht habe ich irgendwann wieder Bock auf ein Glas Wein oder einen Whisky“, sagt er. „Aber ich kenne mich, und deshalb lasse ich es lieber. Ich genieße das Leben total, ohne Alkohol, ich vermisse das nicht.“

Spricht man von Stuttgart 21, horcht Marteria auf. „Ich habe viele Freunde in Stuttgart“, sagt er. „Ich habe oft in der Stadt gespielt, damals, im Zapata. Ich habe mich mit vielen Menschen unterhalten, ich habe die Bilder gesehen, auf denen ein demokratisches Anliegen mit Füßen getreten wurde.“

Er rappt von Aliens und der Zukunft

Auch in der Porsche-Arena hat Marteria bereits gespielt - nun kehrt er wieder, tritt auf in der größeren Hanns-Martin-Schleyer-Halle: „Ich bin sehr aufgeregt“, sagt er, „sehr stolz. Im Augenblick geht es nur darum, eine geile Tour zu machen und unsere Musik in den großen Hallen würdig zu vertreten.“

Am Mittwoch wird Marteria in Stuttgart von den Aliens rappen, vom Wahnsinn der Welt. Und das verspricht nicht etwa apokalyptisch trübe zu werden, sondern eine Party. Der Rapper bringt trotz allem eine frohe Botschaft. „Das Problem, das wir heute haben“, sagt er, „ist die Angst vor dem Fremden. Die Menschen trauen keinem mehr. Aber wenn man eine schöne Zukunft für unsere Welt haben will, dann ist die einzige Lösung, dass man aufeinander zu geht, dass man ein großes Ding sein möchte. Das habe ich gelernt. Anders wird es nicht funktionieren, sonst wird es immer nur Krieg geben.“