Walter Röhrl (re./mit Copilot Christian Geistdörfer) feierte in den 1980er Jahren seine größten Erfolge Foto: obs/Adam Opel AG

Seit 27 Jahren fährt Walter Röhrl nicht mehr aktiv in der Rallye-WM, aber noch immer hat seine Meinung in Deutschland Gewicht. Dass sich kein Nachfolger für ihn gefunden hat, macht ihn ein wenig stolz – aber im Grunde ärgert er sich über verpasste Chancen.

Stuttgart - Guten Tag, Herr Röhrl. Am Wochenende finden die Rallye Schweden statt.
Ich war vergangenes Wochenende in Schweden. Es fand eine Präsentation statt, und ich war mit dabei, sozusagen als Pausenclown.
Wie meinen Sie denn das?
Nun, normalerweise weisen Instruktoren die Journalisten ein. Ich habe sie als kleine Belohnung auf eine schnelle Runde mitgenommen – da ging es wie bei der Schweden-Rallye an diesem Wochenende durch den Wald auf Schnee und Eis hindurch zwischen Schneemauern, vorbei an großen Bäumen. Und alles mit Tempo 200. Ich bin die Schweden-Rallye zuletzt 1984 gefahren, aber diese Fahrten haben mir wie vor über 30 Jahren wahnsinnig Spaß gemacht. Eigentlich habe ich ja genug Zeit gehabt, um vernünftig zu werden – aber mit einem Turbo über diese Schneestraßen zu fahren, das ist die höchste Belohnung, die ein Mensch kriegen kann.
Sind Sie gelegentlich bei den Läufen der Rallye-WM?
Nein, ich verfolge die WM in den Zeitungen und im Fernsehen. Mal sehen, ob sich in Schweden ein Mitteleuropäer durchsetzen kann, normalerweise ist dieser Lauf in der Hand der Skandinavier. Die kennen sich dort am besten aus. Die Monte war sehr interessant.
Vor allem Kurz-Rückkehrer Sébastien Loeb hat für Furore gesorgt, indem er die Volkswagen-Piloten lange geärgert hat.
Seinen Auftritt kann man in zwei Richtungen auslegen. Man könnte sagen: Das relativiert die Leistung von VW, es war keine kleine Katastrophe, dass die sich zu Beginn von Loeb so haben verblasen lassen. Auf der andern Seite könnte man aber auch sagen, dass Loeb volles Risiko gegangen ist und sich gesagt hat, wenn’s nimmer geht, ist es auch nicht schlimm.
Er hat den Vorteil, dass er als Gaststarter nicht um den Titel kämpft. Am Ende feierte VW einen Dreifach-Sieg in Monte Carlo. In der Rallye-WM und der Formel-1-WM dominierten deutsche Hersteller – VW und Mercedes.
Ich glaube, auch 2015 wird Mercedes in der Formel 1 das Maß aller Dinge sein wie VW in der Rallye.
Kennen Sie deren Erfolgsgeheimnis?
Es ist ganz einfach: Es wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Wenn man im Motorsport etwas erreichen will, muss man kräftig investieren – und zwar zu 100 Prozent, nicht nur mit 80. Wenn du am Ende gewinnst, fragt nämlich keiner danach, nur wenn du hinterherfährst. VW entwickelt absolut kompromisslos, mit vollem Einsatz bei Material und Mensch; es gibt keinerlei Stillstand zwischen den WM-Läufen. Citroën ist nicht mehr so engagiert, seit Loeb weg ist.
Wie sehr ist ein Rallye-Fahrer abhängig von der Leistungsfähigkeit des Autos? In der Formel 1 ist das Auto der entscheidende Faktor.
Im Motorsport hat es sich generell dahin entwickelt, dass die Technik immer wichtiger geworden ist – und zwar in jeder Serie. Heute lässt sich ein Rallye-Auto viel leichter fahren als zu meiner Zeit, heute gibt es Doppelkupplungen, eine hydraulische Handbremse, der Allrad weiß genau, wie er die Kraftverteilung auf die Achsen vornehmen muss. Wir haben früher vor jeder Kehre gebetet: Lieber Gott, lass mich gut herumkommen und nicht geradeaus fahren. Zu meiner Zeit war es viel einfacher, sich als guter Fahrer vom Feld abzusetzen. Gewinnen ist heute deshalb schwieriger, weil das Feld enger beieinander liegt, es geht zum Teil um Zehntel. Wenn ich nach einer Prüfung über 30 Kilometer nicht mindestens eine halbe Minute vorn war, wurde ich stocksauer.
Sind die modernen Rennfahrer nur noch Technikfreaks?
Die kennen doch schon die ganzen Strecken von ihren Videospielen – die kommen direkt vom Kinderzimmer ins Rennauto. Vor 20 Jahren war es doch undenkbar, dass ein 19- oder 20-Jähriger sich ins Formel-1-Auto gesetzt hätte. Da hätten sich die anderen Fahrer kaputtgelacht. Ich damals habe im Jahr 300 000 Kilometer im Wettbewerbsauto verbracht, das ist heute gar nicht mehr erlaubt. Da darf die Strecke vor dem Shakedown (Warm-up unter Wettbewerbsbedingungen, Anm. d. Red.) nur mit maximal 80 km/h im Serienfahrzeug abgefahren werden.
Zeiten ändern sich.
Kürzlich hat ein Beifahrer eines aktuellen Rallye-Fahrzeugs gelästert, die Michelle (Mouton, Konkurrentin von Röhrl in den 1980ern; Anm. d. Red.) und ich, wir wären Idioten, weil wir immer wieder behaupten würden, dass die Rallyes früher schwieriger waren. Ich sage nur: Das heute ist nicht der Rallye-Sport, wie ich ihn mir vorstelle. Früher waren es Prüfungen von Mensch und Material, da ging es über 40 Stunden am Stück und durch Nacht und Nebel. Und nicht solche Mini-Rennen.
Es war anders – aber auch tatsächlich besser?
Damals habe ich immer zu den Alten gesagt, wenn sie von vergangenen Zeiten geredet haben: Ihr Spinner! Heute mach’ ich das Gleiche. Im Grunde ist für mich nur wichtig, dass ich überzeugt bin, dass ich zur richtigen Zeit gefahren bin.
Volkswagen dominiert die Rallyes, aber in Deutschland interessiert sich die breite Öffentlichkeit nicht dafür.
Setzen Sie einen deutschen Piloten ins Auto – und wenn der vorneweg fährt, läuft ihm ganz Deutschland nach. So einfach ist das. Solche Meisterschaften sind personenbezogen, nicht markenbezogen. Sobald aber keiner mehr da ist aus einer Nation, nimmt das Interesse auch wieder ab.
Schade, dass keiner in Ihre Fußstapfen getreten ist.
Aber das ist auch der Grund, warum ich bis heute keine Ruhe habe und man immer etwas von mir wissen will (lacht.) Wäre einer nachgekommen, hätte man mich längst vergessen – ich fahre jetzt schon seit 27 Jahren nicht mehr.
Sie sind im Grunde die einzige Rallye-Ikone Deutschlands.
Was meine Bekanntheit am Leben gehalten hat, ist auch das Internet. Ich bin im November in Italien eine Oldie-Rallye gefahren, da standen so viele Menschen an der Strecke wie früher – 80 Prozent von denen haben mich zu meiner aktiven Zeit nicht fahren sehen, aber sie haben mich alle gekannt, weil sie die Filmchen von mir im Internet geschaut haben. Unvorstellbar, andernfalls würden die meisten doch gar nicht wissen, wer dieser alte Mann aus Deutschland ist.
Ihre Erfolge werden so für die Ewigkeit konserviert.
Ja, und doch ist es anders, die gesamte Szene. Früher war alles offener, da sind persönliche Freundschaften zwischen manchen Fans und mir entstanden, die immer noch bestehen. Solche Fahrer, wie wir waren, die gibt’s heute nicht mehr. Heute sind das doch von der Industrie ferngesteuerte Marionetten, die nicht sagen dürfen, was sie denken. Einem wie mir würde man nach 14 Tagen die Lizenz wegnehmen und ihn rauswerfen.
Weil Sie zu unbequem sind?
Als ich damals als Botschafter zu Porsche kam, war noch Dr. Wiedeking der Chef. Zu ihm habe ich gesagt: Sie müssen sich überlegen, ob Sie sich mich leisten können. Nicht wegen des Geldes, darum ging es nicht, sondern darum, ob Porsche es sich leisten kann, dass, wenn man mir ein schlechtes Auto hinstellt, ich das auch genauso sagen werde.
Sind Sie in der Rallye das, was Niki Lauda in der Formel 1 darstellt? Derjenige, der seine Meinung sagt, sich nicht drum schert, was die anderen denken.
Niki Lauda ist einer der wenigen Menschen, dessen Aussagen mich stolz machen, wenn er etwas über mich sagt. Wenn er sagen würde, der Röhrl ist eine Pfeife, könnte ich das akzeptieren. Aber wissen Sie, was er bei einer Formel-1-Übertragung einmal mit dem RTL-Reporter gesprochen hat über mich?
Das mit der Pfeife war’s kaum.
Er hat gesagt: Kennst du den Ayrton Senna? Natürlich, hat der Reporter geantwortet, und dann sagte der Lauda: Siehst du, und der Walter Röhrl ist der Ayrton Senna des Rallye-Sports. So etwas macht mich stolz, weil ich genau weiß, dass der Lauda es auch wirklich so meint. Ich werde es auch so halten; wenn das einem nicht passt, können sie mich ruhig rauswerfen – auf die paar Groschen, die ich bekomme, darauf ist gepfiffen. Ich fahre aus Leidenschaft, nicht weil ich damit Geld verdiene.
Aber das Rad der Zeit können selbst Sie nicht zurückdrehen. Wie könnten wir in Deutschland mal wieder einen Siegfahrer bekommen?
Man müsste die Förderung von Talenten konsequenter durchziehen, so wie in Finnland. Dort wurde eine Stiftung ins Leben gerufen, in die die aktuellen Fahrer Geld einbezahlen. Bei uns scheint mir das alles halbherzig. Mit dem Adam-Cup (ADAC Opel Rallye Cup, Anm. d. Red.) hat man einen Anlauf gemacht, das ist erfreulich – aber in den über 20 Jahren seit meinem Rücktritt ist eben ein Riesenloch entstanden.
Man hätte sofort reagieren müssen und die Flamme am Brennen halten.
So ist es. Ich habe bei dieser Präsentation zu den Leuten gesagt: Bleibt doch noch ein paar Tage in Schweden und schaut’s euch die Rallye an. Ich bin überzeugt, dass jeder, der eine Rallye live und hautnah erlebt, begeistert sein wird.