Der rumänische Pianist Radu Lupu Foto: Veranstalter

Der Rumäne Radu Lupu musiziert mit eigenem Stil und eigener Aura. Das muss man gehört haben. Teilen muss man seine Haltung nicht.

Stuttgart - Seine Zeit ist um. Sehr langsam und sehr ernst begibt sich Radu Lupu (72), einer der letzten noch aktiven Vertreter der einst stilprägenden russischen (Neuhaus-)Schule, am Dienstagabend im Beethovensaal auf den weiten Weg zum Flügel. Das Publikum würdigt er keines Blickes. Dann spielt er versunken das erste Thema von Haydns f-Moll-Variationen so, wie es heute wohl keiner mehr spielt: mit Klangschattierungen, die vor allem eine feinstdifferenzierte Pedaltechnik möglich macht, aber auch mit einem extrem verengten Spektrum von Dynamik und Tempo. Beim Hören mag es einem vorkommen, als erleuchte hier ein schmaler Lichtkegel nur das Zentrum einer eigentlich gigantisch großen akustischen Bühne. Lupus Blick ist konzentriert; je nach eigener ästhetischer Verortung kann man auch sagen: eng. Entsprechend wird man das Spiel des Mannes bewerten, der seit gut zwei Jahrzehnten keine CD mehr eingespielt, keinen Konzertmitschnitt mehr erlaubt und kein Interview mehr geführt hat.

Schon Haydn klingt ein wenig nach spätem Brahms: Klassik im Schummerlicht, oft mit weiten Legati und extrem verfeinert in Details der Harmonik, was den Melodien etwas Nebensächliches gibt (als Ausgleich dafür singt Lupu diese manchmal mit). Auch die emotional wie strukturell weit gespannte C-Dur-Fantasie des 29-jährigen Robert Schumann wirkt bei dem rumänischen Pianisten wie eingezäunt. Oder, um es mit Schumanns selbsterfundenen Künstler-Antipoden Florestan und Eusebius zu sagen: Ersterer, also der Wilde, Ungebärdige, überlässt an diesem Abend das Feld vollständig dem anderen, der sanft ist und gemäßigt.

Konzentration auf die Mittelstimmen und auf die Harmonik

Dabei beschneidet die durchgehende Konzentration auf die Mittelstimmen enorm jenen Ausdrucksradius, den Interpreten hier sonst gern ins Extreme weiten. Im Mittelsatz haut es Lupu zudem noch heftig aus der Spur. Dafür mutet dann der letzte Satz des monumentalen Stückes an wie eine Meditation: So bescheiden kommt die Musik daher, trotz zwingend ausformulierter musikalischer Logik so gelassen und ohne jede Attitüde, dass plötzlich ein Zauber im Saal ist, und der bleibt auch dort. Wenn man (was auf Dauer durchaus anstrengen kann) genau hinhört, erlebt man hier gleichsam eine Welt im Miniaturformat, und mit lauter kleinen Bildern endet das Konzert schließlich auch. Tschaikowskys zwölfteiliger Zyklus „Die Jahreszeiten“ besteht zwar nicht ausschließlich aus großer Musik, aber hübsch klingen bei Lupu auch die zuckrigen Petitessen. Am Ende versieht der Mann am Klavier mit versteinerter Miene seine einzige Zugabe, Schuberts Ges-Dur-Impromptu, mit ein paar eigenwilligen, aber passenden Spannungsbögen. Dann geht wieder einer der Alten von der Bühne, nimmt seine ganz eigene Aura mit, vielleicht auch seinen inneren und äußerem Schmerz. Man mag Radu Lupu gestrig finden, seinen Zugriff überholt. Vergessen aber wird und darf man Individualisten wie ihn nicht.