Stefan Siller in den 1980ern mit Nina Hagen Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Dieses Buch wär’ ein schönes Weihnachtsgeschenk gewesen. Erst im Januar erscheint es. Dann hat Stefan Siller den SWR nach 37 Jahren verlassen und kann „Enttäuschungen“ im Sender beschreiben, „die Spuren hinterlassen“. Seine Erinnerungen sind ein Stück Geschichte des Radios und der Republik.

Stuttgart - Schon immer, sagte Manfred Rommel im Oktober 1996 in der Radiosendung „Leute“, habe er die „fatale Eigenschaft“ gehabt, sich für „unentbehrlich“ zu halten. Der Stuttgarter Ehrenbürger sprach darüber mit SWR-1-Moderator Stefan Siller, kurz bevor er als OB in den Ruhestand ging. Man traf sich auf dem Fernsehturm.

„Herr Rommel“, sagte Siller, „ich habe eben festgestellt, Sie gucken gar nicht so gern von oben runter. Das heißt, Sie sind ganz froh, dass Sie mit dem Rücken zum Fenster sitzen? 146 Meter hoch – ist Ihnen das nicht so angenehm hier?“

„Also, als Fensterputzer hier auf dem Fernsehturm wäre ich völlig ungeeignet“, antwortete Rommel, „da würde zunächst der Eimer runterfallen und dann ich.“

Schon als Staatssekretär im Finanzministerium, gab der CDU-Politiker zu, habe er gedacht, ohne ihn ginge gar nichts. Als er ins OB-Zimmer des Stuttgarter Rathauses wechselte, fürchtete er, dass danach das Land Baden-Württemberg finanziell zusammenbricht. Zu seiner „bitteren Enttäuschung“ habe er erkennen müssen, dass dies nicht geschehen ist. Jeder ist ersetzbar, lautete die Lehre für Manfred Rommel. Womöglich wird dies ebenso Stefan Siller erkennen, wenn er jetzt mit 65 nach 2950 „Leute“-Sendungen und 37 Jahren im Stuttgarter Funkhaus seine Stelle an die 40-jährige SWR-3-Moderatorin Nicole Köster abgibt.

In den „wohlverdienten Ruhestand“ gehen zu können, schreibt der gebürtige Ostwestfale in seinem Buch „Neuigerig – auf die Leute und die ganze Welt“, das am 12. Januar im Tübinger Verlag Klöpfer & Meyer erscheint, sei ihm „ein Graus“. Nicht nur die Arbeit werde er vermissen, sondern vor allem auch die sozialen Kontakte, allen voran die gemeinsamen Mittagessen mit den Kollegen. Aus der „glänzenden Idee“, die Quote von SWR 1 ins Unermessliche zu steigern, indem man die Kantinen-Gespräche mitschneidet und sendet, ist nichts geworden.

Alle hätten dann auch ihren Job verloren. „Denn SWR 1 ist eine zotenfreie Zone“, ist in dem Buch zu lesen, „das haben wir Mitarbeiter, wie manch anderes auch, schriftlich.“

Kritik an seinem einstigen Arbeitgeber

Derartige Anweisungen sind Beratern zu verdanken, die unzählige Radiostationen beraten – mit einem Resultat, das Siller nicht behagt: „Quer durch Deutschland ähneln sich Radioprogramme bis ins letzte Detail des Layouts.“ Überall hört man die „größten Hits der 80er, 90er und von heute“. Und überall ist man den sozialen Netzwerken hörig, was der Autor von „Neugierig“ kritisiert: „Für fragwürdig halte ich es, wenn öffentlich-rechtliche Sender auf Facebook-Seiten verweisen und damit einen gewinnorientierten Privatbetrieb fördern.“

Siller, Großvater von zwei Enkeln, ist nicht bei Facebook. Man wird keine Eintragungen finden, wenn er zwischen den Jahren zu zweit auf den Malediven urlaubt, um nach seiner allerletzten „Leute“- Sendung (einen Tag vor Heiligabend als Interviewpartner des 60-jährigen Kollegen Wolfgang Heim) möglichst weit weg zu sein.

Weil ein Fernflug bei einem Alt-Linken und Öko-Freund wie Siller für schlechtes Gewissen sorgt, hat er für die Aufforstung von Wald gespendet – seine Öko-Bilanz soll nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Berufsleben „neutral“ bleiben.

Im Buch kritisiert er seinen einstigen Arbeitgeber, weil dieser die TV-Sendung „Leute Night“, die ihm ans Herz gewachsen ist, im SWR-Fernsehen einstellt. Am Geld könne dies nicht liegen. Der Talk zähle mit Abstand zu den Sendungen, „die am günstigsten und dabei hochprofessionell produziert wurden“. Enttäuschungen gehörten zu einem langen Berufsleben, schreibt er, sie hinterließen bei ihm dennoch Spuren. Bis heute kann er auch nicht verstehen, warum die Sendung „Die Moralapostel“, die er zweimal moderiert hat, im SWR-Fernsehen trotz der überaus positiven Kritiken abgesetzt worden ist. Doch nun kann er alles mit Distanz betrachten. „Wer jung ist, hat den Vorteil, noch viel vor sich zu haben“, ist in seinem Buch zu lesen, „wer älter ist, hat den Vorteil, schon viel erlebt zu haben.“

Siller hat viel erlebt, bei ihm waren Promis von Angela Merkel bis Mario Adorf, von Willi Hoss bis Gerhard Schröder am Mikro. Überrascht hat ihn, dass es die meisten Abrufe im Internet für eine Sendung ohne Promi gab – Lisa Müller aus Illingen, die mit 14 Jahren Hure geworden ist, hat das größte Interesse in seiner Laufbahn aufgelöst. Nach Sendungen mit Bahnchef Rüdiger Grube und Gegner Gangolf Stocker ist der Moderator, der S 21 befürwortet hat, zum „absoluten Gegner“ des Bahnprojekts geworden.

Ist Harald Schmidt frauenfeindlich?

In seinem flott geschriebenen Buch, das man in einem Rutsch durchliest, erzählt er von seiner Zeit als Veranstalter, als er in den 1980ern BAP und die Toten Hosen in die Mausefalle brachte, und von den Sternstunden mit Harald Schmidt. Einmal interviewte Siller ihn auf dem Flughafen und las ihm Hörerfragen vor. „Warum, fragt Michaela, sind Sie so frauenfeindlich, Herr Schmidt?“ Die Erwiderung des Entertainers: „Um diese Frage beantworten zu können, müsste ich erst mal wissen, wie Michaela aussieht.“

Als Rentner wird Siller aus seinem Buch lesen (am 17. Januar, 20 Uhr im Theaterhaus), sich für Flüchtlinge engagieren und für Blinde VfB-Spiele moderieren. Einst hat er Punk-Konzerte für junge Menschen organisiert. Jetzt sollte sich der Kreis schließen. Wann steigt sein erster Senioren-Punk?

Opa kann noch viel erzählen – und noch viel rauchen. Rommel hatte beim Gespräch 1996 auf dem Fernsehturm dem Ostwestfallen zum Qualmen gratuliert: „Ich freue mich über jeden Raucher, weil er die Rentenlast der Bundesrepublik vermindert.“

Mensch, Leute! Wenn Siller, der Radiogeschichte geschrieben hat, die Neugier im Ruhestand behält, kann er noch viel inhalieren.