Nick Cave Foto: Bleddyn_Butcher

Bei einer Konzertreise haben Nick Cave & The Bad Seeds ihr neues Album „Push The Sky Away“ erstmals live aufgeführt. Beim Auftritt im Admiralspalast offenbart sich die Platte als ein vielschichtiges, dunkel getöntes Meisterwerk.

Der große Dürre tanzt. Ganz in Schwarz. Mit wedelnden Armen, zuckend und doch sehr elegant dreht er sich über die in fahles Blau getunkte Bühne. Er singt, seufzt, flucht und flüstert Verse, die von Tod und Teufel, von Versuchung und Verdammnis berichten, erzählt von Zweifelnden, Verirrten, Getriebenen. Es ist eine Reise in die Finsternis, die Nick Cave & The Bad Seeds bei der Präsentation ihres neuen Albums „Push The Sky Away“ im Admiralspalast in Berlin inszenieren. Die Reise beginnt sachte-bedrohlich mit der Nummer „We No Who U R“, die auch die neue Platte eröffnet. Und sie endet – nachdem man mit allen Songs des Albums und einigen Nick-Cave-Klassikern durch ist – mit der Mörderballade „Stagger Lee“, die von einem Killer berichtet, der selbst den Teufel nicht fürchtet und ihm lieber ein paar Kugeln in den Kopf jagt.

Auf „Push The Sky Away“ sind Nick Caves Fantasien zwar nicht mehr ganz so monströs wie in dem Song aus dem Jahr 1996. Aber finstere Halluzinationen, mythische Erkundungen, surreale Traumreisen sind sie nach wie vor. Zum Beispiel „Higgs Bosom Blues“, ein zäher, fast acht Minuten langer Brocken, in dem Nick Cave (55) als Ich-Erzähler einen Mann spielt, der vorgibt, sich an nichts erinnern zu können, der aber in seinen Visionen Robert Johnson mit dem Teufel um seine Seele streiten und Miley Cyrus im Swimmingpool in Toluca Lake treiben sieht.

Du wirst alt, und du wirst kalt

Es ist ein verwirrender, assoziativer, manchmal surrealer Erzählkosmos, in den Nick Cave einen auf „Push The Sky Away“ und damit auch beim Konzert im Admiralspalast entführt. Und nicht nur bei der Eröffnung mit der Trip-Hop-Aneignung „We No Who U R“ gelingt es der Band, auch live das kunstvoll Verwobene der neuen Nummern auszustellen. Etwa wenn in dem Abschiedslied „Wide Lovely Eyes“ wummernde E-Klavier-Akkorde auf einen schnarrenden Gitarrenbeat treffen oder wenn Warren Ellis an Geräten schraubend „Water’s Edge“ bedrohlich brodelnd beginnen lässt und Nick Cave singt: „You grow old / And you grow cold“ – du wirst alt, und du wirst kalt.

Dass er in einer merkwüdigen Welt lebe, die jeden Tag ein bisschen merkwürdiger werde, hatte Nick Cave schon 2008 auf dem letzten Bad-Seeds-Album „Dig!!! Lazarus, Dig!!!“ in dem Song „More News From Nowhere“ bekannt. Vielleicht deshalb zeigt die Band dem Konzert in Berlin als eine Art Gebrauchsanweisung einen kurzen Film, der die Entstehungsgeschichte des Albums nacherzählt: Man sieht Cave energisch tippend an der Schreibmaschine, Warren Ellis im Kabelsalat wühlen. Das südfranzösische Herrenhaus aus dem 19. Jahrhundert, in dem die Band mit Produzent Nick Lanay „Push The Sky Away“ aufgenommen hat, gleicht eher eine Bibliothek als einem Tonstudio. Die Bandmitglieder schwärmen in dem Film dann von den Soundlandschaften auf der Platte, berichten davon, dass viele der Stücke ihren Ausgangspunkt in Loops hatten, die der Multiinstrumentalist Warren Ellis geschaffen hat. Und dass die riesige Sammlung klassischer Schallplatten, die hier im Hauptsaal lagert, bei den Aufnahmen bestimmt ihre Spuren hinterlassen haben.

Zum Beispiel in der Tiefe, Komplexität, Theatralik, die den Ton des Albums bestimmt; in den vielschichtigen Klangwelten, die sich meistens der im Rock üblichen Taktung widersetzen. „Jubilee Street“ basiert wie viele Lieder auf der Platte auf einem ungeraden Beat, schlängelt sich an einer vertrackten Gitarre entlang. Irgendwann setzt das Streichquintett ein, und der Song steigert sich in einen Rausch. „I’m transforming / I’m vibrating / Look at me now!“, ruft Nick Cave in der Live-Fassung in seinem fiesen Bariton wieder und wieder, verpasst dem Song eine noch größere Intensität und Dramatik als auf Platte.

„Dieser Song ist eine verdammte Schönheit“

Ähnliches geschieht mit dem unter größtmöglicher Anspannung zu einem knurrigen Gitarrenloop zitternden „We Real Cool“, der mysteriösen Traumerzählung „Finishing Jubilee Street“ und dem schwebend-summenden „Push The Sky Away“: „And some people say it’s just Rock’n’Roll / Oh, but it gets you right down to your soul“, singt Nick Cave: Und manche Leute glauben, das ist nur Rock’n’Roll, aber es trifft dich mitten in deine Seele. Neben den Streichern, die auch auf der Platte selbst zu hören sind, verziert die Band die Live-Versionen ihrer neuen Nummern nun mit einem kleinen Kinderchor. Vor allem das dunkel-verworrene „Mermaids“ wird dadurch in eine gespenstische Atmosphäre getaucht.

„Hört gut zu und lernt“, ermahnt Nick Cave schließlich die Kinder, als die Band mit der neuen Platten durch ist – und „From Her To Eternity“ dran ist – der Titelsong des Bad-Seeds-Debütalbums aus dem Jahr 1984, ein Song, der noch einmal den brachialen Post-Punk-Furor vorführt, für den die Band einst stand und der inzwischen einer altersweisen Mürrischkeit gewichen oder Caves Austobprojekt Grinderman vorbehalten ist.

Der Song ist aber auch als eine Verneigung vor der Stadt Berlin zu verstehen. Hier wurde „From Her To Eternity“ einst aufgenommen, hier lebte Cave seit Mitte der 1980er. Und bevor das Konzert im Admiralspalast mit „Stagger Lee“ zu Ende geht, spielen Nick Cave and The Bad Seeds noch zwei weitere in Berlin geschriebene Songs: „Mercy Seat“, bei dem die Scheinwerfer die Bühne ausnahmsweise mal grellgelb anstrahlen, und „Your Funeral . . .  My Trial“. „Dieser Song ist eine verdammte Schönheit“, schwärmt Nick Cave selbst – und beginnt am Flügel einmal mehr von Tod und Teufel, Verlangen und Verdammnis zu erzählen.