Oft steckt Verzweiflung dahinter, wenn Jugendliche sich ritzen. Foto: Jens Schierenbeck

Jedes fünfte Kind, jeder fünfte Jugendliche hat ein psychisches Problem. Deshalb sollte in Elternhaus, Kita und Schule eine Kultur des Hinschauens gepflegt und Kindern rasch Hilfen angeboten werden, findet Redakteurin Inge Jacobs.

Stuttgart - Jedes fünfte Kind hat psychische Probleme. Diese Zahl hat sich einer Studie zufolge seit Jahrzehnten nicht verändert – allerdings die Ausformungen und der Umgang damit. Dass das Thema ein heißes Eisen ist, zeigt die große Nachfrage bei der Lehrerfortbildung. Woher sollen Pädagogen auch wissen, wie mit einem Kind oder einem Jugendlichen umzugehen ist, der sich ritzt, depressiv wirkt oder Suizidpläne äußert.

Es ist gut, dass an den Schulen die Sensibilität für die Befindlichkeit der Schüler – insbesondere auch der labilen Schüler – offensichtlich wächst. Denn üblicherweise sind es vor allem die Lauten, Fordernden, sichtbar Aggressiven, die alle Aufmerksamkeit binden. Aus der Resonanz der teilnehmenden Schulleiter am Fachtag in Stuttgart war deutlich zu spüren, dass diese von psychiatrischen Experten begleitete Veranstaltung offenbar eine Lücke bei den Pädagogen schließen konnte. Gut so. Und bitte mehr davon.

Es ist nachvollziehbar, dass viele Lehrer verunsichert sind

Es ist nachvollziehbar, dass viele Lehrer verunsichert sind, welche Folgen daraus erwachsen, wenn Jugendliche in sozialen Foren mit Fotos von selbst verursachten blutenden Wunden um Aufmerksamkeit buhlen oder einander gegenseitig heiß machen auf Suizid. Im Internet geht die Verbreitung dieser Dinge rasend schnell, und sozial ansteckend sind sie zudem auch noch – Schule hin oder her. Und wer kann es schon brauchen, wenn Schüler mitten im Unterricht mit Rasierklingen hantieren.

Umso wichtiger sind die klaren Botschaften zu bewerten, die der Ulmer Kinder- und Jugendpsychiater Paul Plener an die Lehrer richtete: „Offene Wunden haben in einer Schule nichts verloren.“ Und: „Wer fragt, macht nichts falsch.“ Natürlich nicht vor der ganzen Klasse. Aber auch Mitschüler sollten nicht wegschauen, wenn sie bemerken, dass es einer Kameradin, einem Kameraden nicht gut geht. Nicht zuletzt profitieren alle davon, wenn die Schulen eine Kultur des einfühlsamen Hinschauens etablieren – und bei Bedarf das Thema auch mit fachlich begleiteten Workshops nachbereiten. Wetten, dass in so einem Klima auch bessere Lernerfolge erzielt werden können?