Der Prozess vor dem Stuttgarter Landgericht endete früher als erwartet – der Verteidigung war das Risiko einer langen Verhandlung zu hoch. Foto: dpa

Der Urteil löste eine kontroverse Debatte über Zivilcourage aus: Im Februar verurteilte das Ludwigsburger Amtsgericht einen Mann wegen Körperverletzung. Er hatte einem Prügelopfer geholfen, aber selbst jemanden verletzt. Jetzt zog die Verteidigung überraschend die Berufung zurück.

Ludwigsburg/Stuttgart - Am Ende ging es schneller als gedacht: der Berufungsprozess am Stuttgarter Landgericht gegen einen 22-jährigen Ludwigsburger, der bei einer Schlägerei einem Prügelopfer geholfen und dabei einen Unbeteiligten schwer verletzt haben soll, ist beendet. Das Ludwigsburger Amtsgericht hatte den jungen Mann im Februar wegen fahrlässiger Körperverletzung zu dreieinhalb Monaten auf Bewährung verurteilt und damit eine Debatte über die Grenzen der Zivilcourage ausgelöst. Staatsanwaltschaft und Verteidigung legten Berufung ein, am Donnerstag war Prozessauftakt am Landgericht, und schon am Ende des ersten Verhandlungstags zogen beide Seiten ihre Berufung wieder zurück. Das Ludwigsburger Urteil ist damit rechtskräftig.

Vor allem der Rückzug der Verteidigung kam überraschend, denn im Februar hatte die Anwältin Jasmin Wanka-Bachmeyer das erstinstanzliche Urteil hart kritisiert. An ihrer Einschätzung habe sich nichts geändert, sagt sie jetzt. „Wir sind überzeugt, dass unser Mandant in einer Nothilfe Situation handelte.“ Aber am ersten Verhandlungstag in Stuttgart sei deutlich geworden, dass diese Position schwer zu beweisen sein würde. „Wir haben die Berufung nur zurückgezogen, um das Risiko zu bannen, dass unser Mandant jetzt noch härter verurteilt wird.“

Die meisten Zeugen waren damals betrunken und haben Erinnerungslücken

Tatsächlich signalisierte die Kammer am Donnerstag, dass auch in der Berufungsverhandlung nicht mit einem Freispruch für den Angeklagten zu rechnen sei. Der junge Mann war im Juni 2015 bei einer Schlägerei in Ludwigsburg einem Mann zur Hilfe geeilt, der nach einem Faustschlag mit gebrochenem Jochbein am Boden lag. Dass er damals half, wurde von beiden Gerichten ausdrücklich anerkannt. Aber sowohl in Ludwigsburg als jetzt auch in Stuttgart gelangten die Richter zu der Überzeugung, dass er dabei weit übers Ziel hinaus geschossen ist. Denn bei seiner Rettungstat – oder kurz danach, das ließ sich nicht aufklären – brach er einem Mann den Kiefer. Der Angeklagte erklärte, dieser Mann sei an der Attacke auf den am Boden Liegenden beteiligt gewesen. Er selbst habe niemanden verletzen wollen, sondern bei seiner Rettungstat um sich geschlagen, um sich zu verteidigen.

Der Mann mit dem gebrochenen Kiefer wiederum betonte, er habe sich nicht an der Schlägerei beteiligt und sei von dem Angeklagten grundlos und mutwillig verletzt worden. Ein zentrales Problem beider Prozesse: die meisten Zeugen waren damals mindestens angetrunken, haben starke Erinnerungslücken und widersprechen sich gegenseitig. „Letztlich bestätigt die Auffassung des Berufungsgerichts unsere Einschätzung, dass in Ludwigsburg kein unschuldiger Nothelfer verurteilt wurde“, sagt Jan Holzner, der Sprecher der Staatsanwaltschaft. Auch die Ludwigsburger Richterin, die nach ihrem Urteil teils heftigen Anfeindungen ausgesetzt war und im Internet unter anderem als Totengräberin der Zivilcourage beschimpft wurde, kann sich bestätigt fühlen. „Vor dem Gesamthintergrund dieses schwierigen Verfahrens halten wir das Ludwigsburger Urteil für vollkommen vertretbar“, sagt Holzner.