Nach einer Panne bei der Staatsanwaltschaft Heilbronn ist ein mutmaßlicher Straftäter trotz Fluchtgefahr auf freiem Fuß. Foto: dpa

Ein mutmaßlicher Schütze aus Großbottwar, der mit einer Pumpgun auf zwei Gaststätten geschossen haben soll, kommt aus der U-Haft frei, weil die Staatsanwaltschaft ihn nur wegen einer Trunkenheitsfahrt angeklagt hatte.

Großbottwar/Heilbronn - Der Fall hat im Sommer für Schlagzeilen gesorgt: Ein 36-jähriger Handwerker schoss in Großbottwar am frühen Morgen des 20. Juni um 3.15 Uhr mutmaßlich mit einer Pumpgun auf die Gaststätten Grotte und Bistro 69. Er soll sich zuvor heftig in der Grotte gestritten und gedroht haben, bewaffnet zurückzukommen. Weil er dann viermal in die für ihn nicht einsehbaren Räume schoss, nahm ihn die Polizei um 7 Uhr morgens in seiner Wohnung fest – seitdem saß er wegen versuchten Totschlags in Untersuchungshaft. Der Mann kam jedoch schon am 11. August wieder frei. Eine Panne bei der Staatsanwaltschaft Heilbronn hatte das ermöglicht.

Die Abteilung für Verkehrsdelikte beantragte beim Amtsgericht Marbach einen Strafbefehl wegen einer Trunkenheitsfahrt mit Unfallflucht. Der 36-Jährige hatte in der Nacht auf dem Weg nach Hause alkoholisiert beim Einparken ein Fahrzeug beschädigt. Danach verließ er den Unfallort, bevor ihn ein Einsatzkommando der Polizei verhaftete.

Fehlende Absprache

Eine andere Abteilung der Staatsanwaltschaft, die für das versuchte Tötungsdelikt zuständig ist, ermittelte hingegen noch. Wegen der fehlenden Absprache ist der 36-Jährige dann nur wegen der Trunkenheitsfahrt, nicht aber wegen des versuchten Totschlags rechtskräftig bestraft worden. Ein juristischer Fauxpas, denn: „Das Verkehrsdelikt und das versuchte Tötungsdelikt sind als ein einheitlicher Vorgang anzusehen“, erklärt Bettina Jörg, die für Presseauskünfte zuständige Staatsanwältin in Heilbronn. Weil aber das Strafprozessrecht verbiete, einen Täter wegen derselben Tat zweimal zu bestrafen, müsse der gesamte Fall noch einmal aufgerollt werden. Die Wiederaufnahme habe die Heilbronner Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht in Öhringen beantragt.

Das Wirrwarr ist offenbar auch auf eine unklare Dokumentation zurückzuführen. „Das Gericht in Marbach konnte der Akte nicht entnehmen, dass es sich prozessual um eine Tat handelt“, sagt Bettina Jörg. Die Staatsanwältin räumt den Fehler ihrer Behörde ein: „Wenn alle ein bisschen besser aufgepasst hätten, wäre das nicht passiert.“ Inzwischen bewegt sich der Tatverdächtige wieder auf freiem Fuß, obwohl die Staatsanwaltschaft eine Fluchtgefahr erkannt hatte. Ihn wieder dingfest zu machen, scheitert: „Die Tat ist derzeit nicht weiter verfolgbar“, erklärt Bettina Jörg.

Mehrere Waffen sichergestellt

Das Amtsgericht in Marbach bestätigt, im Sommer nur den Strafbefehl wegen der Trunkenheitsfahrt mit anschließender Unfallflucht erhalten zu haben. Das erklärt Ursula Ziegler-Göller, Direktorin des Amtsgerichts. Sie habe erst nach ihrem Urlaub erfahren, dass der Handwerker seinen Einspruch gegen den Strafbefehl und die damit verhängte Geldstrafe zurückgezogen hatte.

Die Polizei war unmittelbar nach der Tat davon ausgegangen, dass sich der Mann die Pumpgun nicht über legale Kanäle besorgt hatte. Die Beamten fanden neben der Tatwaffe ein Gewehr, einen Revolver und eine Pistole mit Munition. Das alles hortete er laut Polizei, ohne eine Waffenbesitzkarte zu haben.

Ob das Amtsgericht Öhringen das Verfahren wieder eröffnet, steht noch nicht fest. Derzeit laufe eine mehrwöchige Frist, innerhalb der die Verteidigung Stellung nehmen dürfe, teilt das Gericht mit.