Muss sich erneut vor Gericht verantworten: der frühere FlowTex-Chef Manfred Schmider Foto: dpa

Der FlowTex-Skandal, einer der spektakulärsten Wirtschaftskrimis Deutschlands, schien nach 15 Jahren erledigt. Von wegen. Hauptfigur Manfred Schmider kämpft erneut um seine Freiheit.

Frauenfeld - Er ist ganz der alte. Die lockigen Haare nach hinten gekämmt, der Bauch noch immer rundlich, das Handy am Ohr. So betritt Manfred Schmider am Montag in Frauenfeld unweit von Zürich den Gerichtssaal. Wobei dieser Begriff relativ ist. Das Bezirksgericht des Kantons Thurgau hat die Verhandlung in die Aula des Bildungszentrums für Technik verlegt. Man rechnet mit großem Andrang an Pressevertretern und interessierten Zuhörern. Im Saal haben sie eigens eine Bühne für die fünf Richter gebaut. Hinter ihnen steht eine Wand von 140 Aktenordnern zu diesem spektakulären Verfahren. Die jungen Leute, die in den Stockwerken darüber aus- und fortgebildet werden und zur Mittagszeit ihre Vesperbüchsen in der Mensa auspacken, ahnen nicht, dass in unmittelbarer Nähe der Drahtzieher einer der größten Fälle von Wirtschaftskriminalität angeklagt ist.

Aber in diesem Prozess, der vor Wochen still und heimlich begonnen hatte, geht es nicht um jene Horizontalbohrsysteme der Firma FlowTex, mit denen Schmider und Co. einst vom badischen Ettlingen aus die Tiefbohrbranche in aller Welt aufmischen wollten. Hier geht es um schicke Yachten, teuren Schmuck, schnelle Autos, luxuriöse Ferienhäuser, teure Uhren, wertvolle Gemälde – schlicht um den Lebensstil, den die Schmiders über Jahre geführt haben. Der Vorwurf der Anklage gegen Schmider, seine Ex-Frau Inge, seine beiden Kinder und einen befreundeten Schweizer Anwalt scheint erdrückend: Geldwäsche, Urkundenfälschung, Veruntreuung von Millionenwerten. Nach Schweizer Recht drohen dafür bis zu fünf Jahre Haft.

Aber Peter Bettoni, gleichermaßen bekannter wie renommierter Anwalt aus dem nahen Winterthur, will alles dafür tun, dass „Big Manni", wie ihn seine Freunde ob der Körperfülle und den millionenschweren Konten einst genannt haben, nicht erneut hinter Gitter muss. Zur Erinnerung: Fast zwölf Jahre saß er schon. Für seine betrügerischen Geschäfte mit den FlowTex-Maschinen, die einem Roboter gleich Leitungen und Rohre vergraben oder verlegen konnten, ohne dass dafür Straßen aufgerissen werden mussten. Eine Weltsensation, dachte man in den 90-er Jahren. Es war die Blütezeit für das Ettlinger Unternehmen.

FlowTex als Betrugskonzern: Statt 3000 gab es nur 270 Geräte

Zumindest sah es danach aus. Banken und Leasinggesellschaften putzten Schmider die Klinke, wollten diese neue Technik gerne finanzieren, weil es die Zukunft für die Baubranche schien. Was keiner ahnte, geschweige denn merkte: Es gab nur einen Bruchteil der Bohrsysteme, nämlich rund 270 statt der vorgegebenen 3000. Der Trick: Immer wenn Kunden oder Bilanzprüfer zum Kauf oder zur Kontrolle kamen, tauschten Schmider und Co. zuvor die Typenschilder mit immer neuen Seriennummern aus. Das florierende Geschäft, es existierte also nur auf dem Papier. Aber Schmider wurde gefeiert.

Ein Vorzeigeunternehmen, made in Baden-Württemberg. Ministerpräsidenten wie Erwin Teufel hofierten ihn, er schickte sich an, aus der brach liegenden Air-Base in Söllingen eine Top-Adresse der internationalen Luftfahrt zu machen, und wenn er am Wochenende zu rauschenden Partys auf sein 60 000 Quadratmeter großes Anwesen samt Helikopterlandeplatz oberhalb von Karlsruhe lud, gab sich die High-Society des Landes ein Stelldichein.

Am 4. Februar 2000 hatte die schöne Scheinwelt ein Ende. Schmider und sein damaliger Geschäftspartner Klaus Kleiser wurden verhaftet, andere folgten. Der Skandal in Zahlen: Über 50 Hausdurchsuchungen, über 100 Beschuldigte, über 100 Ermittlungsverfahren, ein Gesamtschaden für die Banken von damals knapp fünf Milliarden Mark.

Anzeige bei der Schweizer Bank UBS brachte Fall neu ins Rollen

Irgendwann freilich, nach unzähligen Prozessen, schien FlowTex nur noch ein Fall für die Geschichtsbücher. Ab und zu tauchten Bilder auf, wie Schmider ein neues Leben auf Mallorca führt. Irgendwann wurden Meldungen publik, dass sich das Ehepaar getrennt habe.

Nun aber, 15 Jahre nach dem Auffliegen des Schmider’schen Schneeballsystems, kommt FlowTex wieder in die Schlagzeilen. Nicht mehr wegen der Bohrsysteme, sondern wegen des Lebensstils, den die Schmiders pflegten. Eine Anzeige bei der Schweizer Bank UBS auf Geldwäscheverdacht hatte die neuerlichen Ermittlungen vor drei Jahren ins Rollen gebracht. Und so machten sich die Fahnder erneut ans Werk. Das Ergebnis ihrer Arbeit: Sie halten den Schmiders vor, ihr Luxusleben mit den Geldern aus den FlowTex-Betrugsgeschäften finanziert zu haben. Letztendlich, so die Staatsanwälte, hätten Manfred und Inge Schmider nur drei Millionen Euro legal erworbenes Geld besessen. Aber das, so das Argument, könne wohl kaum reichen, um sich eine luxuriöse Yacht zu leisten, teure Uhren zu besitzen, eine Villa in St. Moritz zu haben, Anwesen in Miami und Uruguay sein Eigen zu nennen, und, und, und.

Doch Schmiders Anwalt Bettoni hätte nicht einen so guten Ruf, wenn er das widerspruchslos hinnehmen würde. Und so zerpflückt er am Montag in seinem mehrstündigen Plädoyer die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft wie eine Margeritte auf Schweizer Bergwiesen. Beispiel: die Chagall-Bilder. 1997 hatte Schmider insgesamt 25 der wertvollen Gemälde gekauft. Wenige Tage nach seiner Verhaftung ließ er vier davon in die Schweiz bringen. War das strafbar? Ist die Geschichte womöglich längst verjährt?

Familie Schmider hatte größeres Einkommen als die Staatsanwaltschaft vermutet

Anderes Beispiel: die schicke Yacht „Magic“, auf der der Firmenboss einst gerne die südliche Sonne genoss. Woher der sechsstellige Betrag für das schnittige Schiff damals kam? Noch ein Beispiel: Schmider kaufte seiner Frau gleich drei Luxusautos: einen Ferrari, einen Mercedes SL und einen Jaguar. Auch in diesem Fall, so zeigt Anwalt Bettoni auf, gebe es keinen Beleg, dass es sich „um kontaminierte Gelder“ handelte, wie er die betrügerischen FlowTex-Gelder nennt. Unterm Strich, so der Anwalt, habe selbst der Insolvenzverwalter damals errechnet, dass die Schmiders über ein privates Vermögen von rund 350 Millionen Mark verfügt hätten. Dass Inge Schmider dabei Pelze im Wert von knapp 150 000 Mark und eine Versicherung in Basel für ihren Schmuck im Wert von 2,4 Millionen Mark gehabt habe, wirkt da fast wie das Kleingeld in der Portokasse.

So geht das gut eine Stunde. Bettoni lässt keinen Versuch aus, um die Ermittler bloßzustellen. „Die Staatsanwaltschaft irrt, und zwar in allen Belangen“, sagt er mit fester Stimme. Inge Schmider habe Millionensummen geerbt, zudem habe die Familie „über Jahre hinweg“ Steuererstattungen vom Finanzamt in zweistelliger Millionenhöhe erhalten. Die Botschaft dieser Rechnung: Die Schmiders brauchten das Geld aus dem FlowTex-Skandal gar nicht, um sich ihren Alltag schön einzurichten.

Oder wie es der Anwalt im Fall des Anwesens umschreibt, dass man sich in Florida für satte 5,6 Millionen US-Dollar kaufte: „Es gibt nirgendwo einen Beleg, dass es mit illegalem Geld bezahlt wurde.“ Und so schließt Bettoni sein Plädoyer mit einer klaren, vernichtenden Botschaft: „Alle vorgetragenen Punkte lassen das Fundament der Anklage implodieren. Mein Mandant ist freizusprechen.“

Urteil im Verfahren fällt Ende Januar 2016

Ob es das Gericht am Ende auch so sieht? Der Vorsitzende Richter Rudolf Fuchs jedenfalls nimmt die Kritik des Anwalts an der Arbeit der Staatsanwälte nahezu regungslos zur Kenntnis. Keine Mimik, kein Kommentar. Nur so viel: „Ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen“, sagt er zu Bettoni.

Und wie sieht Schmider die Lage? Er verlässt schweigend den Gerichtssaal und geht erst einmal telefonieren. Ende Januar wird er vielleicht reden. Dann kommt das Urteil.