Was wiegt mehr? Eine intakte Familie oder eine angemessene Strafe? Im Fall einer syrischen Familie entschied sich der Richter für die bewährung. Foto: dpa

Eine Mutter hat ihre Kinder geschlagen, der Vater filmte die Taten. Nun stand das syrische Ehepaar vor Gericht.

Sindelfingen - Dem Polizist ist beim Anblick der Videos fast schlecht geworden. Dem Staatsanwalt blieb die Spucke weg: Die Angeklagte sei mit einer „außer-außerordentlichen Brutalität gegen drei ihrer vier Kinder vorgegangen, erklärte er in seinem Plädoyer. Ihren achtjährigen Sohn und vor allem die siebenjährige Tochter verprügelte sie mehrfach mit einem Pfannenwender aus Metall und hielt ihnen ein brennendes Feuerzeug an die Haut, ihrem zweieinhalbjährigen Sohn biss sie so heftig in den Finger, dass eine Narbe zurückblieb. Wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen musste sie sich vor dem Böblinger Amtsgericht verantworten. Ihr Mann saß neben ihr auf der Anklagebank: Er hatte die Gewaltausbrüche gefilmt und war nicht dagegen eingeschritten. Sie kamen nur knapp um das Gefängnis herum.

Die Kinder haben Narben

„Der Vorwurf wiegt sehr schwer“, sagte auch der Richter. Eine Haftstrafe von zwei Jahren, die drei Jahre lang zur Bewährung ausgesetzt wird, lautete sein Urteil. Beide Augen habe er dafür zudrücken müssen – in der Hoffnung, dass sich die aus Syrien stammende Familie stabilisiert. Im vergangenen Mai nahm der Mann in der zur Flüchtlingsunterkunft umfunktionierten Rappenbaumschule in Sindelfingen-Dagersheim 16 Videos auf. Darauf ist zu sehen, wie die Frau mit dem Pfannenheber auf den Rücken, die Brust und das nackte Gesäß ihrer Tochter schlägt. Sie gab ihr Ohrfeigen, zog an ihren Haaren, schlug mit einem Hausschuh auf ihren Kopf. Auch auf die beiden Söhne drosch sie mit dem Pfannenwender ein, aber nicht so heftig. Die älteren Kinder malträtierte sie außerdem mit dem Feuerzeug. Die Polizei entdeckte mehrere Narben bei den Geschwistern. Nur die einjährige Tochter verschonte sie.

Vor Gericht landete das Ehepaar, weil der Mann die Filme an einen Bekannten geschickt hatte, der sie an das Jugendamt weiterleitete. Seine Frau habe mit der Trennung gedroht, deshalb habe er die Aufnahmen gemacht, erklärte der 38-Jährige vor Gericht. Die 26-Jährige hatte ihn zuvor angezeigt, weil er sie geschlagen hatte. Ihm sei gesagt worden, dass das Gesetz in Deutschland eher auf Seiten der Frau stehe. Außerdem habe seine Frau das Feuerzeug nur als Druckmittel benutzt, damit die Tochter „ein bisschen Angst bekommt und sich normal verhält und nicht, um sie zu verbrennen“. Sie sei psychisch am Ende gewesen, gab die Angeklagte an und machte dafür die ihrer Meinung nach schlechte Unterkunft verantwortlich. Weil sie keinen Fernseher ins Zimmer bekommen hätten, hätten die Kinder ständig geheult und sie dadurch provoziert.

Die Frau wäre lieber in Mossul geblieben

„Lieber wären wir in Mossul geblieben und dort gestorben“, fasste die Frau ihren Unmut über die Lebensbedingungen in den Flüchtlingsheimen zusammen. Dass ihnen Schweinefleisch vorgesetzt wurde, kritisierte sie, und dass sie weite Wege zu den Sanitäranlagen zurücklegen mussten. Wie Tiere seien sie untergebracht worden, ergänzte ihr Mann. Die Familie ist geflohen, als der Islamische Staat die Stadt besetzte, und kam vor einem Jahr nach Deutschland. Mittlerweile ist sie in die vierte Flüchtlingsunterkunft umgezogen und lebt von rund 1450 Euro Sozialhilfe im Monat. In Syrien besaß der 38-Jährige eine Pizzeria, seine Frau will die Kinder dort nie geschlagen haben. Ob sie damit Deutschland die Schuld an den Misshandlungen geben wollten, fragte der Richter die Angeklagten. Sie seien sehr dankbar, erklärten die beiden dann sofort.

Ende Juni waren die vier Kinder vom Jugendamt in Obhut genommen worden, Seit ein paar Wochen ist die Familie wieder vereint. „Ich werde das nicht mehr tun“, sagte die Frau schluchzend , als im Gericht die Videos abgespielt wurden: „Das war ein Fehler.“ Der Staatsanwalt hätte sie für zwei Jahre undvier Monate hinter Gitter gebracht. „Wenn Sie wollen, dass wir in Frieden leben, können Sie uns dann eine Wohnung besorgen?“, fragte der Angeklagte zum Schluss noch den Richter.