Die teuren Mieten in Tübingen seien unzumutbar, prangern die Besetzer der Wielandshöhe an. Foto: Horst Haas

Auf dem Tübinger Österberg sind Aktivisten in eine leer stehende Tagesklinik eingedrungen. Nach einer Einigung mit der Eigentümerin wollen sie am Sonntagabend wieder abziehen.

Tübingen - Solidarität. Diese Fenster bitte nicht aufmachen. Denkmalschutz“, steht auf einem Zettel im Treppenhaus der Jugendstilvilla. „Wir wollen sorgsam mit allem umgehen, hier soll ja später gewohnt werden“, erklärt Marc Amman und möchte verhindern, dass die historischen Bleiglasfenster Schaden nehmen. Der 43-Jährige mit Kapuzenshirt vertritt ein linksalternatives Wohnraumbündnis. Er führt durch das ehemalige Verbindungshaus auf dem Tübinger Österberg.

Bis März dieses Jahres war in der Wielandshöhe eine geriatrische Tagesklinik des Universitätsklinikums untergebracht, dann stand die Immobilie in bester Wohnlage leer. Am Donnerstagabend ist eine Handvoll Hausbesetzer angerückt, sie stiegen durch ein Fenster ein, packten Schlafsäcke, Gitarren und Kaffeekannen aus. „Die Villa wurde nicht genutzt“, sagt Marc Amann, „obwohl in Tübingen akute Wohnungsnot herrscht und die Mietpreise 40 Prozent über dem Bundesdurchschnitt liegen.“

Die Hausbesetzer sind bestens organisiert. Sie haben Flugblätter vorbereitet, einen Blog ins Netz gestellt, außerdem ein Wochenendprogramm mit Filmen und Konzerten konzipiert. Die Medien wurden am Freitagnachmittag zu einer Pressekonferenz auf Campingstühlen eingeladen. Es seien über viele Monate hinweg Verhandlungen mit der Eigentümerin, der Evangelischen Diakonieschwesternschaft Herrenberg-Korntal, geführt worden, um die Zukunft des Hauses zu gestalten, erzählt Simon, einer der Aktivisten. Geplant war es, in Kooperation mit der Stadt Tübingen ein Wohnprojekt mit sozialer Nutzung zu schaffen. Doch leider seien die Verhandlungen abgebrochen worden.

Die Eigentümerin will die Villa lieber verkaufen

Ein Vorhaben, das Cord Soehlke, der Tübinger Baubürgermeister, bestätigt. Gemeinsam mit dem Verein Alter Tübinger Luginsländer habe die Kommune den Dialog mit der Eigentümerin aufgenommen und ihr angeboten, das Haus zu mieten. Es wäre ideal gewesen für ein gemischtes Wohnprojekt, in dem vor allem Flüchtlinge ein Zuhause gefunden hätten. Doch die Schwesternschaft hätte sich für einen Verkauf entschieden.

Für die Besetzung der Villa hat Baubürgermeister Soehlke, der gleich am Freitagabend vor Ort das Gespräch mit den Aktivisten suchte, wenig Verständnis. „Die Methode kann ich nicht gut heißen“, sagt er, das Anliegen der Hausbesetzer sei aber nachvollziehbar. Tübingen habe 150 leer stehende Häuser, und geschätzt gebe es rund 400 Wohnungen, die jederzeit bezogen werden könnten. Mit der vor Kurzem verabschiedeten Zweckentfremdungssatzung wolle man die Nutzung dieses Wohnraums vorantreiben. Noch in diesem Jahr würden wohl die ersten Briefe an die Eigentümer verschickt. Sie müssen mit Bußgeldern bis 50 000 Euro rechnen, wenn sie sich hartnäckig weigern zu vermieten. Die Debatte über den Leerstand an der Villa Wielandshöhe aufzuhängen, hält Soehlke allerdings für suboptimal. Das Haus sei nicht lange unbewohnt gewesen, außerdem habe es intensive Gespräche gegeben.

Auf eine Anzeige will die Schwesternschaft verzichten

Bis Sonntagabend wollen die Hausbesetzer in der Villa auf dem Österberg bleiben. Sie haben sich nach einem zweistündigen Gespräch mit Heidrun Kopp, Oberin der Diakonieschwesternschaft, darauf geeinigt, die Besetzung dann zu beenden. „Wir wollen sozialen Wohninitiativen eine faire Chance im Bewerbungsverfahren um den Kauf des Hauses geben“, sagt Kopp am Freitagabend. Das müsse vorher aber noch durch die entsprechenden Gremien der Schwesternschaft. Auf eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs werde verzichtet, auch wenn die ganze Aktion natürlich vollkommen illegal gewesen sei. Für Kopp ist außerdem klar: „Wir dürfen das Haus nicht unter Wert verkaufen, aber wir müssen nicht das Maximum rauspressen.“ Zufrieden mit der Lösung sind auch die Hausbesetzer. „Es wird ein Konzeptvergabeverfahren geben“, sagt einer der Sprecher, dabei würden die verschiedenen Initiativen, die Interesse an der Immobilie hätten, berücksichtigt.

Man wolle in Tübingen den Dialog, nicht die Konfrontation, betont auch Soehlke, der bereits Erfahrungen als Vermittler bei Hausbesetzungen hat. Vor zwei Jahren wurde auf dem Güterbahnhofareal über mehrere Monate hinweg eine Immobilie okkupiert. „Die haben damals mit mir einen treuhänderischen Vertrag abgeschlossen und sogar Verbrauchsgebühren für Strom und Wärme bezahlt“, erinnert sich Soehlke. Zum vereinbarten Zeitpunkt seien sie wieder ausgezogen, das habe bestens geklappt. Auf dem Gelände entstünde jetzt ein großes neues Wohngebiet.