Die Polizei spricht von „Grauzone“: In manchen Sex-Adressen in der Stadt ist der Übergang zwischen legaler Wohnungsprostitution und einem Bordell fließend. Foto: Max Kovalenko

Zwei Bordellbetreiber werfen der Stadt vor, bei der Eindämmung illegaler Sex-Betriebe seit Jahren „fast völlig versagt“ zu haben. Auch die Polizei kritisiert, dass lange eine „Grauzone“ toleriert wurde. Bürgermeister Hahn (SPD) weist solche Vorwürfe zurück:Er sieht die Stadt in der Offensive.

Stuttgart - Tut die Stadt zu wenig gegen illegale Sex-Betriebe? Kirsten Rickes sagt Nein. „Der Vorwurf der Untätigkeit ist nicht richtig“, sagt die Leiterin des Baurechtsamts. Der Kampf sei allerdings „oft mühsam“ und dauere, mit allen Fristen und Gerichtsterminen, teilweise „jahrelang “.

Auch Baubürgermeister Matthias Hahn (SPD) sieht das ihm unterstellte Baurechtsamt in der Offensive: „Seit einigen Jahren verschlimmert sich die Situation in Stuttgart vor allem im Bereich der Straßenprostitution erheblich, mit neuen Tätern und neuen Opfern, vor allem aus Osteuropa“, sagt Hahn. In diesem Kontext müsse auch „jeder illegale Bordellbetreiber damit rechnen, dass wir gegen ihn tätig werden.“

Mit ihren Statements reagieren Hahn und Rickes auf die Vorwürfe von zwei Bordellunternehmer aus dem Leonhardsviertel. In einem Schreiben an OB Fritz Kuhn (Grüne) und die Fraktionsvorsitzenden im Gemeinderat hatten die Betreiber der Stadt vorgeworfen, die verwaltungsrechtlich mögliche Eindämmung nicht genehmigter Prostitutionsbetriebe „seit Jahrzehnten unterlassen“ zu haben. Nur wenige Rotlichtadressen – zu denen auch ihre drei Bordelle zählten – seien schon vor 1985 betrieben worden und würden daher Bestandsschutz genießen, argumentieren die Betreiber. Tatsächlich gebe es aber derzeit in der Innenstadt 150 weitere Adressen, wo Sex gegen Geld verkauft werde – ohne dass die Stadt einschreite.

Bis heute keine rechtskräftigen Urteile

„Bei vielen solcher Betriebe laufen Anhörungen oder bereits mehrfache Nutzungsuntersagungen“, wendet Rickes ein. Das bedeute allerdings nur in Ausnahmefällen die sofortige Schließung eines Betriebs. „Die Betreiber solcher Etablissements verdienen mehr Geld, indem sie die Geschäfte einfach weiterlaufen lassen, als dass sie durch unsere Zwangsgelder verlieren“, fasst Rickes ein gängiges Geschäftsmodell der Sex-Branche zusammen. Bei Monatsmieten für ein Bordell von 3000 bis 60.000 Euro schrecken auch höhere Strafen nur bedingt ab.

In zwei Häusern in der Leonhardsstraße l hat die Polizei zum Beispiel schon 1998 beziehungsweise 2000/2002 erstmals Prostituierte angetroffen. Trotzdem dauerte es bis Sommer 2012, ehe die Stadt die Prozesse gegen den Hauseigentümer vor dem Verwaltungsgericht gewinnen konnte. Rechtskräftig sind die Urteile bis heute nicht. Auch auf dem zivilrechtlichen Weg dauert es nachweislich Jahre, ehe die Stadt ein Haus schließen kann, sofern sich Eigentümer oder Betreiber nur hartnäckig genug wehren.

Kritik an Grauzone

Im Bereich der Wohnungsprostitution, wo in Stuttgart derzeit 113 Adressen der Polizei bekannt sind, sei es für ihr Amt noch schwieriger, Einblicke zu bekommen, sagt Rickes: „Da ist bereits die Recherche schwierig.“ In ihrem Brief an OB Kuhn haben die zwei Bordellbetreiber eine lange Liste mit Adressen aufgeführt, wo es ihrer Ansicht nach illegale Bordelle gibt, getarnt als legale Wohnungsprostitution. Ein ähnliches Bild zeichnet die Polizei. „Wir gehen davon aus, dass von den 113 Adressen der Wohnungsprostitution, die uns bekannt sind, 95 Prozent rechtlich unzulässig sind“, sagt Wolfgang Hohmann, Leiter des Fachdiensts Prostitution bei der Stuttgarter Polizei. Illegal deshalb, weil es sich nicht um Privatwohnungen handelt, in denen einzelne Prostituierte dauerhaft arbeiten, sondern um Häuser, die nicht selten über alle Etagen hinweg als professionelles Bordell betrieben werden.

„Mit dieser Grauzone lebt die Stadt bereits viele Jahre“, kritisiert Hohmann. Aus seiner Sicht ist bei der Frage, wie die Prostitution künftig geregelt wird, ein „Neustart“ nötig, an dem sich alle relevanten Behörden und die Polizei beteiligen. Bürgermeister Hahn sieht auch die Politik gefordert: In zwei oder drei Jahren werde der neue Bebauungsplan für die Stadtmitte verabschiedet. Dann müssten die Stadträte eindeutig entscheiden, wie viel Prostitution dort künftig zulässig ist. „Diese Uhr tickt“, sagt Hahn.