Darf die Stadt sich bei einer durchaus richtigen Kampagne einer Wortwahl bedienen, die derart anstößig ist? Darüber gehen die Meinungen auseinander. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Kampagne der Stadt gegen Zwangs- und Armutsprostitution sorgt in Stuttgarts Rotlichtviertel für viel Gesprächsstoff. Die gewerbetreibenden Frauen dort stören sich vor allem an dem Wort „Nutte“, das die Prostituierten als ehrenrührig auffassen.

Stuttgart - Ein Ziel hat die Plakat-Kampagne von Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) gegen Zwangs- und Armutsprostitution schon erreicht: Es wird in der Stadt über das Thema gesprochen. Allerdings ziemlich kontrovers. Streitpunkt sind zwei der vier Plakate, die das Thema sprachlich ganz unverblümt ansprechen. Die verwendeten Slogans „Die Würde des Menschen ist auch beim Ficken unantastbar“ und „Nutten sind Menschen“ sind auch im Milieu selbst nicht unumstritten.

Eine 50 Jahre alte Frau, die seit 25 Jahren anschafft, ist sauer. Dass die Stadt das Wort „Nutte“ verwendet, empfindet sie als sehr beleidigend. „Ich hab’ gedacht, ich seh’ nicht recht!“, sagt sie im Eingangsbereich eines Etablissements an der Leonhardstraße. Sie ist nicht die einzige Prostituierte, die sich durch die Plakate verunglimpft fühlt. Eine andere Frau, die kaum Deutsch spricht, konnte erst gar nicht entziffern, was auf den Plakaten steht, bis es ihr eine Kollegin erklärt hat. „Ich bin entsetzt“, sagt sie.

Doppelmoral in der Kampagne?

Seit Freitag hängen im Stadtgebiet im Rahmen der Freierkampagne 260 Plakate in Aufstellern, 150 an Bauzäunen und anderen Freiflächen und eine weitere Handvoll auf Großplakatflächen. Die Botschaft an die Freier: sie sollen sich klar machen, dass es sich bei der Prostitution nicht um eine harmlose Dienstleistung handelt, sondern dass sie durch ihr Handeln die Not und das Leid von Frauen billigend in Kauf nehmen.

Andreas Ackermann vom Restaurant „Brust oder Keule“ sieht eine gewisse Doppelmoral in der Kampagne. „Es ist Bundesgesetz, dass keine Bordelle in unmittelbarer Nähe von Schulen betrieben werden dürfen“, sagt er und zeigt auf die Jakobsschule auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Keine zwanzig Meter davon entfernt ist der Eingang zu einem Bordell. Für Ackermann ist die Kampagne scheinheilig: „Einerseits wird das Gesetz, dass man Kinder und Jugendliche schützen soll, nicht eingehalten. Andererseits wird der öffentliche Raum mit dem F-Wort vollplakatiert.“

Unkonventionelles tut immer ein bisschen weh

Ähnlich sieht es die Versicherungskauffrau Ute Möller, die den Charme des Leonhardsviertel als „kleinen Kiez“ privat sehr schätzt. Die 43-Jährige bezweifelt, dass sich Freier, die besonders billigen Sex suchen, von den Plakaten abschrecken lassen. Lieber solle die Stadt die Betriebe strenger kontrollieren. Damit spricht sie der 50-jährigen Dame, welche die Branche aufgrund langjähriger Erfahrung gut kennt, aus der Seele. „Die illegale Prostitution ist an dem Preisdumping schuld. Armutsprostitution gibt es hier im Viertel doch nur, weil die Stadt zugelassen hat, dass sich immer mehr Betriebe gesetzeswidrig ansiedeln“, sagt sie.

Ein Passant, der augenscheinlich einen Bordellbesuch plant, sieht die Sache so: „Viele Schwarze sagen zueinander ,Nigger’, und das ist okay. Eine Prostituierte darf zu einer anderen Prostituierten wahrscheinlich auch ,Nutte’ sagen“, ist seine Meinung.

Am Nachmittag findet im Prostituierten-Café La Strada das erste von zwei öffentlichen Gesprächen zu der Kampagne statt. Neben den zahlreichen Fachleuten ist lediglich eine Handvoll Interessierter gekommen. An den Plakaten stört sich in der Runde niemand. „Ich finde gut, dass die Kampagne anstößig ist, dass man diskutieren kann“, sagt Nathalie Schulb, die mit ihrem Mann in einem gemeinnützigen Unternehmen arbeitet, das in Indien Kleider produziert, die dort von ehemaligen Zwangsprostituierten hergestellt werden. „Unkonventionelles tut immer ein bisschen weh“, sagt ihr Gatte Simon.

Freier seien entgrenzter und respektloser

Sozialarbeiterin Sabine Constabel berichtet von ihren Gesprächen mit Prostituierten, welche die Plakate gut fänden, eben weil sie das Thema direkt angehe und die Wörter, die Schmerz und Verachtung verkörperten, auch verwende. „Mit dem Wort Sexarbeiterin wird das Problem negiert, das ist die große Lüge“, sagt Constabel.

Sabine Kopal, die als Streetworkerin in Rotlichtbetrieben unterwegs ist, erzählt davon, wie Freier in den vergangenen Jahren immer distanzloser geworden seien. „Die sind heute viel entgrenzter und respektloser als noch vor einem Jahr“, erzählt die Sozialarbeitern. Wolfgang Hohmann vom Arbeitsbereich Prostitution der Stuttgarter Polizei ist zufrieden damit, dass es seit geraumer Zeit gelungen ist, den Straßenstrich in dem Rotlichtviertel durch Bußgelder gegen Freier und Prostituierte stark zu reduzieren.

Aber nach wie vor sei ein Problem, dass die Beamten seit dem Prostitutionsgesetz von 2002 nur wenig gegen die Zuhälter tun könnten. Wolf Gläser vom Stadtplanungsamt erläutert die städtebauliche Geschichte des Viertels und wie man dieses aufwerten will. Den entscheidenden Schritt verspricht man sich von der Beseitigung des Züblin-Parkhauses im Jahr 2021.

Nach wie vor stehen sich im Gemeinderat die Positionen zur der Kampagne gegenüber. Die SPD-Fraktion hat sich über die Wortwahl empört und kritisiert, die Stadt leiste einer „Verrohung der Sprache“ Vorschub. Ähnlich reagierte die CDU. Sie sieht „die Grenze des guten Geschmacks überschritten“. Andreas Winter, Fraktionschef der Grünen, verteidigt die Plakate. Wenn man sich das Schicksal von Zwangsprostituierten vor Augen führe, sei eine „drastische Wortwahl durchaus angemessen“.