Statt zurückzuschrecken, breitet das Milieu sich auch in Wohngebieten aus, wie an der Tübinger- oder Kernerstraße. Foto: Michael Steinert

Bis zum ersten Erfolg von Oberbürgermeister Fritz Kuhns Offensive gegen illegale Prostitution werden Jahre vergehen. Das Milieu wehrt sich gegen Verbote gewohnheitmäßig vor Gericht.

Innenstadt - Die Kampfansage war von einem symbolischen Tröten gestört. Die Bürgermeister Isabel Fezer, Matthias Hahn, Martin Schairer und allen voran Oberbürgermeister Fritz Kuhn kündigten eine Offensive gegen illegale Prostitution an. Einen Tag zuvor war neuerlich ein Versuch gescheitert, eines der illegalen Bordelle im Leonhardsviertel zu schließen.

Der Grund, mit dem der Betreiber diesmal einen Prozesstermin vor dem Landgericht platzen ließ, war weder originell noch neu. Der Rechtsanwalt hatte sich krank gemeldet, einen Tag vor der Verhandlung, aber mit ärztlichem Attest. Dies war innerhalb eines halben Jahres der dritte vergebliche Versuch zu prozessieren. „Gefühlte zehn Termine“ seien bereits gescheitert, sagt der städtische Rechtsanwalt Roger Bohn, „dem Gericht stinkt das auch.“ Hätte es allerdings anders entschieden, wäre mit einiger Gewissheit ein Befangenheitsantrag eingegangen, dessen Bearbeitung den Prozess nur weiter verzögert hätte.

Vorerst sollen sieben von 180 Betrieben schließen

Der Streitpunkt ist ein einziges Haus an der Leonhardstraße und zeigt vor allem: Von der Kampfansage bis zum Sieg gegen das Milieu werden Jahre vergehen. Gut 180 sogenannte Rotlichtobjekte zählt die Polizei in ganz Stuttgart. Eine Handvoll davon ist genehmigt. Vier von ihnen stehen im Leonhardsviertel, auf das die Stadt zumindest vorerst ihre Bemühungen konzentrieren will. Allein diese Aufgabe wird schwierig genug. Sieben der illegalen Betriebe in der Altstadt sollen geschlossen werden. Bleiben drei bisher illegale, die legalisiert werden müssten. Aber welche? „Da wird mit Sicherheit gestritten“, sagt Bohn, wie stets vor Gericht und mit dem Zusatzargument, dass diejenigen, die schließen sollen, sich auf Willkür berufen dürften.

Dass die Branche dieses Argument nutzen wird und sich von Rechtsstreitigkeiten ohnehin nicht abschrecken lässt, zeigt beispielhaft ein Fall am Neckartor, in dem die Stadt gar von der Klägerin zur Beklagten wurde. Nachdem ein Eigentümer dort jahrelang Teile eines unter Freiern beliebten Wohnhauses an Prostituierte vermietet hatte, wollte er den gesamten Bau zum Bordell umwidmen – und verklagte die Stadt auf Genehmigung. Die versagte das Verwaltungsgericht Stuttgart zwar, verbot den seitherigen Betrieb aber nicht. Dies unter anderem, weil in der Nachbarschaft in vier weiteren Häusern Frauen dem Rotlichtgewerbe nachgehen, ebenfalls ungenehmigt.

Derlei Beispiele gibt es etliche, und die Branche breitet sich aus. Gemäß städtischer Absichtserklärung soll Prostitution künftig höchstens 30 Prozent der Gesamtfläche gleich welches Hauses belegen dürfen. In einem Gebäude an der Tübinger Straße war zumindest im Erdgeschoss noch jahrelang der Schein gewahrt. Dort boten Einzelhändler ihre Ware an. Inzwischen ist der gesamte Bau unübersehbar zur – laut Eigenwerbung – Erotikadresse der Spitzenklasse umgewidmet. Zum Christenfeste luden die Damen dort vom 24. bis zum 26. Dezember im knappen Weihnachtskostüm zum Sektempfang.

Schon Kleinigkeiten erschweren Verbote

Weil die Rechtslage verworren ist, erschweren oder verhindern schon Kleinigkeiten Verbote. In einem Haus an der Kernerstraße schaffen Frauen in 15 Zimmern an, mitten im Wohngebiet. Dass der Betreiber bei neuen Mietinteressentinnen damit wirbt, jedes Zimmer habe seine eigene Klingel, dürfte nicht nur dem Servicegedanken geschuldet sein. Prostituieren Frauen sich in ihren eigenen vier Wänden, hat der Staat keine Handhabe, es sei denn, die Branche trägt ihr Anliegen offenkundig in die Öffentlichkeit hinaus. Zu den juristischen Wirrungen zählt auch ein pikante. Die Stadt profitiert mit: Sie treibt von Rotlichtbetrieben, die nach ihrer Lesart illegal sind, Vergnügungssteuer ein.

Insgesamt enthält die immerhin 13-seitige Mitteilung aus dem Rathaus neben einer Auflistung bisheriger Angebote und Absichtserklärungen wenig Konkretes. Mittels Werbekampagne sollen alsbald Freier darüber aufgeklärt werden, dass es gesetzeswidrig ist, Minderjährige für Sex zu bezahlen. Was den meisten bewusst sein dürfte, überdies statistisch nicht vordringlich scheint. Gemäß Polizeistatistik war im Jahr 2013 eine von rund 1700 Prostituierten in Stuttgart noch nicht volljährig.

Als „früher Schritt“ ist in dem städtischen Papier benannt, dass im Rotlichtviertel mehr Straßenlaternen aufgehängt werden sollen. Der Vorschlag wurde keineswegs im Rathaus erdacht. Er stammt vom Musiker Mini Schulz, der am Leonhardsplatz den Jazzclubs Bix betreibt. Der Bezirksbeirat Mitte fordert seit Jahren, ihn zu verwirklichen, vergeblich. Tatsächlich wird der „frühe Schritt“ nicht vor 2016 getan – sofern für ihn Geld vorhanden ist.