In der evangelischen Gemeinde hat sich eine Gruppe gebildet, die Ansprechpartner für psychisch Kranke sein will und über seelische Erkrankungen informieren möchte.
Heumaden - Das Versprechen lautet, dass sie ihn an einen sicheren Ort bringen wird. Der „sichere Ort“ ist die Furtbachklinik in der Innenstadt.
Heute ist der Mann dankbar, dass die Seelsorgerin Dorothee Süßer der evangelischen Gemeinde Alt-Heumaden erkannt hat, wie schlecht es ihm ging. „Ich habe Stimmen im Kopf gehört und litt unter Verfolgungswahn“ sagt er. Vier Wochen später kann er die psychiatrische Klinik verlassen. Der psychotische Schub ist ausgestanden.
Der Mann hatte zuvor über einen längeren Zeitraum Gespräche mit Dorothee Süßer geführt. Die Psychologin bemerkt dabei, dass sie dem Mann nicht helfen kann und dass er sich in die Hände von Ärzten begeben muss. Dorothee Süßer und die Mesnerin Heidrun Ferguson wollen für ähnliche Fälle ein Angebot der Gemeinde entwickeln. Sie haben sich mit weiteren Gemeindemitgliedern zu einer Projektgruppe zusammengetan und wollen sich überlegen, wie die Gemeinde Menschen mit psychischen Erkrankungen besser unterstützen kann.
Ähnliche Projekte in anderen Gemeinden
Die Einladung, sich an dem Projekt zu beteiligen, sei im Februar von Dekan Klaus Käpplinger, Vorsitzender des Diakonischen Kirchenkreisausschusses, gekommen, erzählt Dorothee Süßer. Diese sei an alle Kirchengemeinden des evangelischen Kirchenbezirks Stuttgart gegangen, fügt sie hinzu. Der Kirchengemeinderat in Alt-Heumaden fällte dann die Entscheidung, mitzumachen, sagt Süßer. „Es gibt bereits ähnliche Projekte in den Kirchenbezirken Tübingen, Reutlingen, Münsingen-Urach und Böblingen“, sagt die Seelsorgerin und Psychologin.
Die Projektgruppe in Heumaden möchte nach dem Vorbild des Birkacher Café Fröschle in Heumaden einen Treffpunkt für Menschen mit psychischen Erkrankungen etablieren. Anders als das Tagescafé des Gemeindepsychiatrischen Zentrums (GPZ) in Birkach soll der Treffpunkt in Heumaden nur ein- bis zweimal in der Woche offen sein, sagt Dorothee Süßer.
Auf Angebote aufmerksam machen
Der Treffpunkt soll auch ein niederschwelliges Angebot für Menschen sein, die unter psychischen Belastungen leiden, aber noch keine Therapie begonnen haben. „Wir möchten auf bereits bestehende Angebote aufmerksam machen und dabei den Zugang zu professioneller Hilfe erleichtern“, sagt die Seelsorgerin.
Ein zweites Vorhaben der Gruppe ist es, eine Sitzbank im Innenhof der Alten Kirche aufzustellen. Sie soll von jedem genutzt werden können, der einen Moment innehalten möchte. Die Mesnerin Heidrun Ferguson könnte sich vorstellen, dass sie die Menschen ansprechen wird, die sich auf die Bank setzen werden. Auch Ferguson ist Psychologin. „Außerdem bin ich meist in der Nähe“, sagt die Mesnerin.
Referenten klären auf
Im Moment sei die fünfköpfige Projektgruppe vor allem mit der Organisation geplanter Aktivitäten beschäftigt. So sollen Referenten Vorträge zu einzelnen psychischen Erkrankungen halten. Die Projektgruppe arbeitet dabei mit der Evangelischen Gesellschaft (eva) zusammen. Ziel der Projekte in den verschiedenen Kirchenbezirken ist es, eine bessere Vernetzung der Gemeinden im Kirchenbezirk Stuttgart mit der eva im Umgang mit dem Thema seelische Gesundheit zu erreichen.
Der Gemeinde soll es bei ihren Bemühungen nicht darum gehen, Menschen mit psychischen Erkrankungen für die Kirche zu gewinnen, sagt Dorothee Süßer. „Das Angebot richtet sich an alle“, sagt sie. Süßer sieht in den Kirchengemeinden ein soziales Netz, an das auch Nichtreligiöse andocken können, die Hilfs-oder Beratungsangebote in Anspruch nehmen wollen. Allerdings könne es durchaus sein, dass Menschen in einer psychischen Krise im Glauben neuen Halt finden, meint die Seelsorgerin.
Immer noch häufig ein Tabu
Dorothee Süßer litt selbst an einer Depression. Auch ein weiteres Mitglied der Projektgruppe habe eine psychische Erkrankung erlebt, sagt sie. Dass Menschen mit psychischen Leiden Angebote von Menschen bekommen, die Ähnliches erlebt haben, sieht die Seelsorgerin als Chance. Sie berichtet, dass sie jüngst einen Bekannten getroffen habe, der frank und frei von seiner Depression berichtet habe. „Ich fand die Offenheit beeindruckend. Wir haben uns über unsere Erfahrungen mit der Krankheit ausgetauscht. Das tat uns beiden gut“, sagt sie. Wer eine Depression oder Psychose hat, schweige auch in Zeiten größerer medialer Aufmerksamkeit und zunehmender Enttabuisierung öfter als jemand, der eine körperliche Erkrankung hat, meint sie.
Die Hoffnung Dorothee Süßers und ihrer Mitstreiter ist es, dass in Heumaden künftig mehr und offener über psychische Leiden gesprochen wird.