Die Anatomie der Brezel ist schnell beschrieben: Das Dicke ist oben, das Dünne ist unten. Da muss man gar nicht lange sezieren. An dieser Brezel-Statik lass' ich nicht rühren, und auch der geschätzte und kulinarisch sachverständige Kollege Arnold Rieger, mit dem ich hier die Klingen beziehungsweise die Brezel-Ärmchen kreuze, wird mein in Lauge gegossenes Brezel-Bild nicht zum Einsturz bringen.

Pro - Verschränkte Arme sind unten

Die Anatomie der Brezel ist schnell beschrieben: Das Dicke ist oben, das Dünne ist unten. Da muss man gar nicht lange sezieren. An dieser Brezel-Statik lass' ich nicht rühren, und auch der geschätzte und kulinarisch sachverständige Kollege Arnold Rieger, mit dem ich hier die Klingen beziehungsweise die Brezel-Ärmchen kreuze, wird mein in Lauge gegossenes Brezel-Bild nicht zum Einsturz bringen. Oben dick, unten dünn. Dafür sprechen nicht nur die Ästhetik und der berühmte Brezelschwung des Bäckers, der die Rohlinge mit dem dicken Teil voran auf das Blech wirft. Auch kulturgeschichtlich besteht für mich kein Zweifel an dieser Bauchlage der Brezel. Man betrachte nur die alten Zunftzeichen der Bäcker. Im Bäckerfenster des Freiburger Münsters (14. Jahrhundert) ist der dicke Teil - natürlich - oben platziert. Alles andere wäre auch halsbrecherisch, denn zweifelsohne orientierten sich die mittelalterlichen Erfinder des markanten Gebäcks an Armen - in gekreuzter oder verschränkter Haltung. Und verschränkte Arme sind eindeutig unten. Man könnte allenfalls einwenden, dass der Fachterminus "Bauch" für das Dicke irreführend ist; es müsste Schulter heißen. Aber auch dieser Hinweis hilft den Brezel-Abweichlern nicht weiter. Ihre Sichtweise bleibt einfach verquer.

Im Angesicht meines Laugenbrezel-Frühstücks beharre ich darauf: Dick ist oben! Ich würde dafür jede Brezel umdrehen, räume aber gerne ein, dass auch im umgekehrten Falle kein wesentlicher Geschmacksunterschied festzustellen ist.

Jan Sellner (44), leitet das Ressort Landesnachrichten

Contra - Die Natur will es anders!

Der Brezelbauch ist unten, und das hat gute Gründe. Was sag ich? Zwingende Gründe. Beginnen wir bei der Schwerkraft... oder lieber bei der Ästhetik? Alles geschenkt. Man kann ganz einfach geschmacklich argumentieren. Es gibt nämlich so etwas wie eine kulinarische Logik. Dass man sein Menü zum Beispiel nicht mit dem Dessert beginnt. Oder dass man zum Essen keine Cola trinkt. Das sind Naturgesetze. Und so ähnlich ist das auch mit der Brezel.

Es gibt nur einen Weg, sie richtig zu essen. Und der beginnt nicht beim Bauch, sondern bei den zarten Ärmchen. Ja, bei den Speichen im großen Brezelrad. Man greift hinein und spürt schon beim Zupfen, ob der Bäcker sein Handwerk versteht. Knusprig müssen sie sein und innen trotzdem weich. Keinesfalls biegsam, sonst hat man eine altbackene erwischt. Ein Bruchstück genügt, um zu wissen, ob sich das Weiteressen lohnt – bis hinunter zum Brezelbauch. Denn der ist, weiß Gott, heikel: Wie oft trifft man auf eine Mehlwurst anstatt auf eine luftige Wolke. Wenn wir uns also darüber einig sind, kommt nun die Gretchenfrage: Wie hält man eine Brezel, damit man bei den Ärmchen beginnen kann? Natürlich so, dass diese nach oben weisen. Wie die Äste eines Baumes. Wie die Schlaufen einer Tasche. Wie zwei Hände, die darauf warten, dass man sie ergreift. Nur Kinder machen es anders. Sie kennen sie noch nicht, die heilige Dramaturgie des Brezelessens. Und prompt beißen sie hinein – mitten in den dicken Brezelbauch. Sie werden es noch lernen.

Arnold Rieger (51), ist Redakteur im Ressort Landesnachrichten