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Privatschulen verzeichnen weiter großen Zulauf – Schulbürgermeisterin sieht Grund in „großer Tradition“.

Stuttgart - Qualifizierte Bildung ist eine wertvolle Ressource, die sich immer bezahlt macht. Der alte Spruch dürfte in Zukunft eine neue Wendung bekommen: Stuttgart - Qualifizierte Bildung ist eine Ressource, die man teuer bezahlen muss. Denn immer mehr Eltern schicken ihre Kinder auf private Schulen, insbesondere private Gymnasien. Seit Jahren ist dieser Trend in der Bildungslandschaft zu beobachten. Manche sprechen jetzt schon von einem Boom, der sich in den kommenden Jahren weiter verstärken wird.

Ein Phänomen, das sich auch bei den beruflichen Privatschulen niederschlägt. In Baden-Württemberg besuchen in diesem Schuljahr 45 871 Schüler eine der 303 Privaten. Dies entspricht einer Zunahme von 3,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. „Der Zulauf an Schülern zeigt doch, dass die Ausbildung an privaten Schulen qualitativ mindestens gleichwertig ist“, sagt Klaus Vogt, stellvertretender Vorsitzender Verband Deutscher Privatschulen in Baden-Württemberg (VDP).

In einigen Gymnasien droht der Schulraum knapp zu werden

In Stuttgart ist die Zahl der Schüler an privaten allgemeinbildenden Gymnasien in den vergangenen Jahren zwar wieder leicht gesunken. Doch weil die privaten beruflichen Gymnasien deutlich zugelegt haben, bleibt unter dem Strich ein dickes Plus. So ist die Zahl der Schüler an beiden Arten der Privatgymnasien in den vergangenen zehn Jahren von 4023 auf 4933 angestiegen, das entspricht 22,61 Prozent. Verstärkt wird dieser Trend hin zur Privatschule durch die Abschaffung der verbindlichen Grundschulempfehlung. Inzwischen gibt es keine formale Hürde mehr, Schüler jedweder Begabung auf einem Gymnasium anzumelden. Bildungsexperten zeichnen daher ein düsteres Zukunftsszenario für das staatliche Gymnasium.

In einigen Gymnasien droht der Schulraum knapp zu werden. Zur Raumnot und den organisatorischen Problemen, die aus den hohen Anmeldezahlen resultieren, kommen jedoch die viel größeren pädagogischen Probleme hinzu. „Die Heterogenität wird sich auf das Leistungsvermögen auswirken. Unterricht mit 30 Schülern in einer Klasse wird allen gegenteiligen Beteuerungen von Politikern, Schulverwaltungsbeamten und Theoretikern zum Trotz in der Praxis nicht mehr zur bestmöglichen individuellen Förderung jedes einzelnen Kindes führen“, sagt ein Kenner des Schulverwaltungsapparats. Eine Über- und Unterforderung, so beteuert er, sei bereits jetzt zu beobachten.

Qualitätsverlust an den staatlichen Gymnasien

Die Prognose der Skeptiker lautet daher: Noch sehr viel mehr Kinder als bisher dürften einen schulischen Misserfolg erleben. Und weil negative Schullaufbahnen – also ein Rauswurf oder ein Sitzenbleiben – politisch unerwünscht seien, werde in den Gymnasien die Versetzungsordnung weiter abgemildert. Das Endergebnis sei ein deutlicher Qualitätsverlust an den staatlichen Gymnasien.

Dem widerspricht Schulbürgermeisterin Susanne Eisenmann energisch: „Die Stuttgarter Gymnasien haben eine hohe Qualität.“ Und die steigende Beliebtheit der privaten Gymnasien führt sie auf „die große Tradition“ der privaten Träger in Stuttgart zurück. Tatsächlich genießen die Privaten in Stuttgart ein hohes Ansehen. Als eine von wenigen Kommunen leistet sich die Stadt, die 23 Privatschulen zusätzlich zur Landesförderung (knapp 85 Prozent) zu bezuschussen: Pro Schüler und Jahr sind es 300 Euro. Eisenmann nennt es „ein Signal für gute Arbeit“.

Schülerzahlen steigen ungeachtet der Kosten

Diese Signalwirkung besagter Qualität hat sich herumgesprochen. Immer mehr Eltern wollen für Kinder die bestmögliche Ausbildung, damit diese später im Konkurrenzkampf auf dem globalisierten Arbeitsmarkt beste Chancen haben. „Wir hatten bisher nur einen Gymnasialzug, ab dem kommenden Schuljahr haben wir zwei“, sagt Muammer Akin, Schulleiter der privaten Bil-Schule. Und weil seine Schule auch „in den kommenden Jahren mit weiteren Zuwächsen“ rechnet, habe man vorgesorgt. Nach den Herbstferien ist der Umzug in das neue großzügige Schulgebäude am Hallschlag geplant. Nach dem Grund für den Boom gefragt, muss Akin nicht lange über die Antwort nachdenken: „Individuelle Förderung spielt eine immer größer werdende Rolle.“ In seiner Schule soll dies unter anderem durch eine durchschnittliche Klassenstärke von 20 Schülern erreicht werden.

Doch Qualität hat eben ihren Preis. Auch wenn dieser bei der Bil-Schule vergleichsweise gering ist: Monatlich 280 Euro für ein Ganztagesprogramm sowie das Angebot von Ferienkursen. In der Merz-Schule kostet der Monat 415 Euro, ohne Nachmittagsprogramm. Aber auch hier gilt, was für alle privaten Gymnasien zutrifft: die Schülerzahlen steigen ungeachtet der Kosten.

Diese Entwicklung läuft dem eigentlichen Ziel der Bildungspolitik, dass der Bildungserfolg nicht an die soziale Herkunft gekoppelt sein sollte, zuwider. Auch Kinder aus wirtschaftlich schwachen Familien sollen gleiche Bildungschancen und berufliche Perspektiven haben. „Einen engen Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg darf es nicht geben“, sagt Schulbürgermeisterin Susanne Eisenmann. Deshalb seien nun neue pädagogische Konzepte gefragt, um dies zu gewährleisten. „Doch eines ist auch klar“, sagt Eisenmann, „zu hundert Prozent wird uns das nicht gelingen.“