Eine Frau in Barcelona trägt die Estelada, die Kataloniens Unabhängigkeit symbolisiert. Foto: AP

Die internationale Presse zeigt sich entsetzt über die Vorfälle in Katalonien. Einige fürchten eine Atomisierung Europas durch Separatisten, andere kritisieren das Vorgehen der Zentralregierung.

Barcelona - Zum Referendum über die Unabhängigkeit der spanischen Region Katalonien äußert sich die internationale Presse in einer Mischung aus Entsetzen und Verwunderung. In Zeitungskommentare werden sowohl die Zentralregierung in Madrid als auch die Separatisten hart kritisiert – und es wird an den Spanischen Bürgerkrieg und Diktator Franco erinnert. Viele Kommentatoren fürchten eine Kettenreaktion.

Die Londoner „Times“ schreibt am Montag:

„Es wird kaum internationalen Druck auf (Spaniens Ministerpräsidenten Mariano) Rajoy geben, das Ergebnis des Referendums als bindend zu betrachten. Die Abstimmung ist eher eine Mahnung, den Katalanen aufmerksamer zuzuhören, ihnen den Respekt zu zeigen, den sie sich wünschen, Wege zur Erweiterung der Autonomie für die Region zu finden und vielleicht auch, die EU für die Vermittlung einer Vereinbarung einzuspannen. Brüssel fürchtet zweifellos eine Abspaltung Kataloniens als Vorspiel der Atomisierung Europas, als Schwächung des europäischen Projekts. Die Basken in Spanien, die Schotten im Vereinigten Königreich und die Lega Nord in Italien haben die Katalanen aufmerksam beobachtet. Ihnen wird dabei auch aufgefallen sein, dass viele jener Menschen, die weggeblieben sind oder mit Nein gestimmt haben, besorgt waren wegen der Unsicherheiten hinsichtlich der künftigen EU-Mitgliedschaft.“

Die Amsterdamer Zeitung „de Volkskrant“ schreibt:

„Die Nationalisten haben es verstanden, die Volksstimmung umzuformen in ein Kräftemessen mit Madrid, bei dem es nicht mehr in erster Linie um die Unabhängigkeit, sondern um das Recht der Katalanen ging, ihre Meinung zum Ausdruck zu bringen. Das hat funktioniert. Um so mehr, als die spanischen Behörden begannen, katalanische Funktionäre zu inhaftieren und Wahlurnen zu beschlagnahmen. „Votarem“ wurde zum Slogan: „Wir werden abstimmen!“. Es ist zu hoffen, dass die katalanischen Anführer einsehen, dass dieses Referendum eine zu wackelige Basis ist, um die Unabhängigkeit auszurufen. Das wäre unverantwortlich angesichts der noch nicht so fernen Vergangenheit: der Bürgerkrieg, das Franco-Regime und der Terror der baskischen Separatistenbewegung ETA. Aber auch Madrid muss angesichts dessen zu der Einsicht gelangen, dass es Zeit wird, die verfassungsrechtliche Zwangsjacke zu lockern und gemeinsam mit Barcelona an die Arbeit zu gehen, um eine neue Regelung zu finden.“

Der Zürcher „Tages-Anzeiger“ schreibt:

„Inzwischen ist die Lust auf einen eigenen Staat in Katalonien gewachsen, selbst bei jenen, die mit den fanatischen Regionalisten lange nichts zu tun haben wollten. Denn Madrid hat unter der Führung des konservativen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy seither dermaßen ungeschickt und rigide agiert, dass ausgerechnet die Gegner der Unabhängigkeit der Bewegung ständig neuen Auftrieb gaben. Madrid bestätigte unter konservativer Führung das Bild eines autoritären Staates, der unfähig ist, auf die Anliegen einer regionalen Minderheit einzugehen, der null Fingerspitzengefühl zeigt im Umgang mit einer anderen Kultur und der keine Vorstellung davon hat, wie sich politische Konflikte anders lösen lassen als mit Gerichten und Polizei. (...) International hat Spanien das gestrige gänzlich unverhältnismäßige Vorgehen gegen die Äußerung eines Volkswillens keine Sympathie eingebracht. Die Vermummten und Scheibenzerstörer waren diesmal aufseiten der Polizei, die Besonnenheit und Ruhe aufseiten der vermeintlich fanatischen Nationalisten.“

Die italienische Zeitung „La Repubblica“ kommentiert:

„Jetzt, wo die Urnen geschlossen oder beschlagnahmt sind, jetzt, wo sich die Rauchbomben auflösen und das Blut der Hunderten Verletzten auf den Bürgersteigen Barcelonas trocknet, stehen Katalonien und Spanien exakt dort, wo sie auch ohne den Gewaltausbruch gestanden hätten. Die Stimmen auszuzählen, ist vollkommen unnütz. Die Unabhängigkeitsbefürworter werden den Sieg erklären und den Prozess zur Loslösung einleiten. Die Regierung in Madrid erklärt das Referendum für null und nichtig. Es muss zwischen beiden Parteien nun zum Dialog kommen, den sie beide aus bloßem politischen Kalkül bisher verweigert haben. Aber die Wunde ist tiefer geworden. Und sie hat sich entzündet: Durch das, was die Spanier als sezessionistischen Putsch definieren. Und durch das, was die Katalanen eine ungerechtfertigte Unterdrückung ihrer Grundrechte sehen.“

Die konservative polnische Zeitung „Rzeczpospolita“ schreibt am Montag:

„Man darf nicht vergessen, dass das Referendum, das ohne offizielles Wählerverzeichnis und Kontrolle über die Ausgabe von Stimmzetteln stattfand, nicht Grundlage für die Anerkennung der Unabhängigkeit Kataloniens sein kann. Insbesondere, da viele Spanien treue Katalanen nicht an der Abstimmung teilnehmen wollten, die das Verfassungsgericht für unrechtmäßig befunden hatte. (...) Die in diesen Tagen getroffenen Entscheidungen können jahre- oder sogar generationenlange Konsequenzen haben (...) Wenn die Abstimmung auch nur von einem Land des vereinigten Europas anerkannt wird, fällt nicht nur die spanische Demokratie, sondern die EU selbst, die ohne die gegenseitige Loyalität ihrer Mitgliedstaaten nicht existieren kann. Es kommen Erinnerungen an die tragischen Ereignisse auf, die zum Spanischen Bürgerkrieg 1936 geführt haben. (...) Rajoy muss auf schnellsten Weg den Frieden wiederherstellen und den Dialog mit den katalanischen Regierenden aufnehmen.“

Die bulgarische Zeitung „24 Tschassa“ kommentiert:

„Es liegt auf der Hand, dass falls sich Katalonien von Spanien abspalten sollte, ähnliche Forderungen in ganz Europa als ungewollte Kettenreaktion kursieren werden. Alle Forderungen der Katalanen hätten aber auf den Tisch gelegt werden sollen, und man hätte im Dialog zwischen Barcelona und Madrid konstruktive Lösungen suchen müssen. Stattdessen starrt ganz Europa darauf, wie Polizisten mit Hämmern, Äxten, Schlagstöcken und Gummipatronen versuchen, die Abstimmung auf Anordnung der Regierung in Spanien zu vereiteln.“

Die liberale Zeitung „Hospodarske noviny“ aus Tschechien schreibt am Montag:

„Bis zu diesem Punkt konnte niemand mit Sicherheit sagen, ob die Katalanen sich für Unsicherheit in Form der Unabhängigkeit entscheiden würden. Jetzt kann es daran kaum noch Zweifel geben, ungeachtet dessen, wie viele Menschen tatsächlich ihre Stimme abgeben konnten. Denn die Palette der Argumente für ein unabhängiges Katalonien ist nun um einen Aspekt reicher – den Zorn. Bis jetzt wäre es völlig überzogen gewesen, Parallelen zwischen dem heutigen demokratischen, prosperierenden und an der europäischen Integration teilhabenden Spanien mit der Franco-Diktatur zu ziehen. Doch nun wird es für die Katalanen zumindest auf der emotionalen Ebene einfach sein, die Gummigeschosse vom Sonntag mit den Knüppeln und der militärischen Unterdrückung General Francos zu vergleichen. Mit diesem Tag hat Spanien seinen Kampf um Katalonien verloren.“

Die linksgerichtete Pariser Tageszeitung „Libération“ übt scharfe Kritik am Vorgehen des spanischen Regierungschefs Mariano Rajoy gegen die Unabhängigkeitsbefürworter: „Rajoy zwingt die Katalanen, sich für ein Lager zu entscheiden: Sie haben die Wahl zwischen der Gewalt des nationalistischen Zentralstaats oder dem zivilen Ungehorsam der katalonischen Unabhängigkeitsbefürworter, die die Demokratie respektieren. Rajoy kann nicht gewinnen. Außer, er legt es darauf an, durch die Brutalität seiner Polizei eine wenig friedliche Opposition auf den Plan zu rufen. Spanien darf nicht noch einmal den blutigen Weg einschlagen, den das Land bereits allzu gut kennt. Es ist nun an allen Europäern, die sich auf ‚Frieden, Fortschritt und Wohlstand’ berufen, Rajoy dringend zur Ordnung zu rufen.“

Die russische Tageszeitung „Kommersant“ schreibt am Montag:

„Es ist egal, ob die Abstimmung für ungültig erklärt wird; es ist auch so alles klar. Auch die reinen Zahlen sind unwichtig, wie viele Menschen ihre Stimme abgegeben haben, wie viele für die Unabhängigkeit waren. Wichtig ist etwas anderes: Der Rubikon ist überschritten, es gibt kein Zurück mehr, die Emotionen kochen hoch, die Einwohner Kataloniens (selbst diejenigen, die bislang nicht für die Unabhängigkeit waren) fühlen sich beleidigt durch die Arroganz in Madrid. Denn die spanische Staatsmacht, die regierende Volkspartei von Ministerpräsident Mariano Rajoy, hat in der ganzen Sache bislang nur Arroganz und einen Mangel an Flexibilität gezeigt.“