Die Anhänger des parteilosen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron jubeln nach den ersten Hochrechnungen am Sonntagabend. Foto: Getty

Mit der Stichwahl in Frankreich am 7. Mai steht Europa am Scheideweg. Wählen die Franzosen in zwei Wochen den jungen Linksliberalen Macron zum Präsidenten? Oder macht die Rechtspopulistin Le Pen das Rennen?

Paris - Glücklich sind an diesem Sonntagabend nur sie: der Sozialliberale Emmanuel Macron und seine im Süden von Paris zusammengekommenen Anhänger. Noch eine Stunde nach Verkündung der ersten Wahlergebnisse schwenken sie freudetrunken die Trikolore, singen, rufen, brüllen: „Macron président!“ Mit rund 23 Prozent wird er als Sieger der ersten Runde in die Stichwahl einziehen. Und wenn nicht alles täuscht, wird der 39-jährige Senkrechtstarter, der vor einem Jahr erst mit der Gründung seiner Bewegung „En Marche!“ (Vorwärts!) im Präsidentschaftsrennen an den Start gegangen war, in zwei Wochen tatsächlich seinen früheren Mentor Francois Hollande politisch beerben und in den Élysée-Palast einziehen. Mit 62 Prozent könne Macron rechnen, hat das Meinungsforschungsinstitut Ipsos nach Verkündung der Wahlergebnisse verkündet.

Macron selbst zeigt sich zuversichtlich. „Die Wähler haben ein neues Kapitel der französischen Geschichte aufgeschlagen“, verkündet er vor seinen Anhängern. Mit Optimismus und Hoffnung für Frankreich und Europa werde er in die Stichwahl ziehen. „Wir werden gewinnen“, schallt es ihm tausendfach entgegen. Für ihn heißt es im Erfolgsfall zu zeigen, dass er tatsächlich zum Erneuerer taugt, dass es den von ihm verheißenen Weg zwischen ausgetretenen sozialistischen und konservativen Pfaden tatsächlich gibt.

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Darum herum gibt es nur Verlierer. Da sind an erster Stelle die konservativen Republikaner und die Sozialisten, deren Kandidaten erstmals in der Geschichte der Fünften Republik nicht in die Stichwahl gelangt sind. Wie eine Verliererin gebärdet sich freilich auch Marine Le Pen. Dabei hat sie es doch geschafft, ist in die Stichwahl eingezogen. Auch ist Macron, mit dem sich die Chefin des Front National am 7. Mai zu duellieren hat, ihr erklärter Wunschgegner. Die Franzosen hätten in zwei Wochen zu entscheiden, ob sie dem von ihr propagierten Patriotismus den Vorzug geben wollten oder der von Macron propagierten Globalisierung, hat die Rechtspopulistin wissen lassen. Eine klarere Alternative könne es nicht geben. Doch auch wenn sich die FN-Chefin mehrfach um ein Lächeln bemüht, mit rauer Stimme das „historische Resultat“ preist und „das erfolgreiche Überwinden der ersten Hürde auf dem Weg zum Élysée-Palast“: Die Politikerin wirkt enttäuscht.

Und auf den Gesichtern so manches in ihrer nordfranzösischen Hochburg Henin-Beaumont zusammengekommenen Getreuen zeichnet sich ebenfalls Frust, ja Bitterkeit ab. Die Versammelten hatten schließlich gehofft, Le Pen werde als Siegerin der ersten Wahlrunde ein Zeichen für die zweite setzen. Bei den Regional- und Europawahlen war der Front National zur stärksten politischen Kraft avanciert. Diesmal ist es nur Platz zwei. Und vor allem: Noch am Sonntagabend haben sich fast alle Ausgeschiedenen hinter ihren Gegner gestellt. Von den Konservativen „Republikanern“ über die Grüne Cécile Duflot bis hin zum mit nicht einmal sieben Prozent der Stimmen gedemütigten Sozialisten Benoît Hamon: Sie haben sie dazu aufgerufen, in zwei Wochen gegen den Rechtsradikalismus zu stimmen, sich an den Wahlurnen zu Macron zu bekennen.

Allein der sichtlich enttäuschte, auf Platz vier verwiesene Linksaußen Jean-Luc Mélenchon hat wissen lassen, er wolle die Basis seiner Bewegung „La France Insoumise“ (Das unbeugsame Frankreich) über eine mögliche Wahlempfehlung entscheiden lassen. Francois Fillon, der auf Platz drei gelandet und damit ausgeschieden ist, war einer der ersten, der dem im Wahlkampf geschmähten Rivalen seine Solidarität versichert hat. Der in eine Scheinarbeitsaffäre verstrickte Konservative, der in den vergangenen Wochen nicht eben durch Einsicht und Reue aufgefallen war, hat im Angesicht der Niederlage beeindruckend aufrichtige Worte gefunden. „Ich habe nicht überzeugt“, hat Fillon gesagt, „ich allein trage für diese Niederlage die Verantwortung.“ Es folgten vernichtende Worte an die Adresse Le Pens: „Ein rechtsextremistische Partei, bekannt für ihre Intoleranz, die den europäischen K.O. wünscht und Frankreich in den Bankrott führen würde, greift nach der Macht – ich wähle deshalb in zwei Wochen Macron.“

Wahlkampf hat Frust und Bitterkeit hinterlassen

Die Finanzmärkte geben bereits Entwarnung. Wohlhabende Franzosen, die ihr Vermögen im Vorfeld des Wahlsonntags vorsichtshalber nach Luxemburg transferiert und dort in steuergünstige Lebensversicherungen gesteckt haben, können die Verträge getrost wieder kündigen. Was nicht heißt, dass Frankreich einfach zur Tagesordnung übergehen könnte. Der Wahlkampf hat eine Menge Frust, ja Bitterkeit hinterlassen.

Die Plakatwände vor den Wahllokalen hatten am Sonntag noch einmal daran erinnert. Zerfetzt und verschmiert hing vielerorts herab, was zwei Wochen zuvor als strahlendes Konterfei eines Kandidaten aufgeklebt worden war. Im Fall der Pariser Vorstadt Saint-Cloud hatten Bürger auch noch zur Farbspraydose gegriffen und malträtierte Gesichter mit dem Boykottaufruf versehen. „Wählt nicht!“ Die Scheinarbeitsaffären Fillons, aber auch Marine Le Pens hatten das dem Wähler unterbreitete politische Angebot erheblich reduziert.

Wer das höchste Staatsamt keinem krummer Geschäfte verdächtigen Bewerber anvertrauen und nicht für einen von vornherein chancenlosen Kandidaten stimmen wollte, hatte nur noch die Wahl zwischen dem Linksaußen Mélenchon und dem zum kollektiven Marsch in die Moderne aufrufenden Jungstar Macron. Eine für eine große Demokratie erschreckend geringe Auswahl war das. Und dann war kurz vor der Wahl ja auch noch der Terror nach Paris zurückgekehrt, hatte Angst und Verwirrung gestiftet.