Abschied nach nur fünf Monaten: Willi Stächele hat seinen Rücktritt als Landtagspräsident erklärt. Foto: dpa

Die Gräben in der Landes-CDU sind tief: Das zeigt die Kampfabstimmung um die Stächele Nachfolge.

Stuttgart - Das Rennen um die Frage, wer neuer Landtagspräsident werden soll, schien gelaufen. Aber am Mittwoch hat die Südwest-CDU bewiesen, dass die Gräben der verlorenen Landtagswahl noch tief sind. Ein Tag voller Emotionen.

Kurz vor 10 Uhr am Mittwochmorgen. Der Noch-Landtagspräsident Willi Stächele betritt das Parlament. Auf dem Weg zum Rednerpult klopfen ihm viele Abgeordnete anerkennend auf die Schulter. Selbst Regierungsmitglieder wie Landwirtschaftsminister Alexander Bonde (Grüne) gehen auf Stächele zu, flüstern ihm ein paar aufmunternde Worte zu, weil sie ahnen, wie schwer es dem 59-jährigen Vollblutpolitiker fällt, als Konsequenz aus dem sogenannten EnBW-Deal seinen Stuhl zu räumen.

Aber Stächele wirkt gefasst. Er verliest eine persönliche Erklärung, schildert jene dramatischen Stunden in der Nacht von 5. auf 6. Dezember 2010, als ihn der damalige Regierungschef Mappus aufgefordert habe, das Notbewilligungsrecht der Landesverfassung zu aktivieren, auf dass Mappus ohne Zustimmung des Landtags rund fünf Milliarden Euro für den Wiedereinstieg bei der EnBW habe. Es sei "im Interesse des Landes, sofort zu handeln", habe Mappus ihm gesagt, die Anwälte der beratenden Kanzlei Gleiss Lutz hätten ihm grünes Licht gegeben. Kein Zweifel: Der damalige Finanzminister Stächele macht klar, dass er Getriebener war. "Zu keiner Sekunde wollte ich das Verfassungsrecht brechen oder Parlamentsrechte missachten", betont er und gibt zu: "Der Rücktritt vom Amt des Landtagspräsidenten fällt mir sehr schwer."

In der CDU-Fraktion geht drunter und drüber

Dann steht er auf, erhält Applaus aus allen Fraktionen und verlässt mit traurigem Blick das Parlament. Drinnen beharken sich die Fraktionen nochmals leidenschaftlich zu dem Thema. SPD-Vormann Claus Schmiedel fordert die CDU auf, "einzusehen und zuzugeben", dass Stächeles damaliges Handeln verfassungswidrig war. "Wenn Sie das nicht schaffen, klebt Ihnen der Verfassungsbruch wie ein Fußpilz an, den Sie nicht mehr loswerden." Auch Grünen-Fraktionschefin Edith Sitzmann bohrt in dieser Wunde. "Es ist höchste Zeit, dass Sie akzeptieren, dass es ein schwerer Fehler war, wie die Regierung Mappus gehandelt hat", ruft sie CDU-Fraktionschef Peter Hauk zu. Allein, der tut sich sichtlich und hörbar schwer, den Fehler einzuräumen. Grün-Rot habe seit dem Urteil des Staatsgerichtshofs zum EnBW-Deal "ein Kesseltreiben" gegen Stächele entfacht, der damalige Finanzminister habe "nach bestem Wissen und Gewissen" gehandelt, und im Übrigen wolle die Regierung doch nur von "ihren eigenen Konflikten und dem Nichthandeln in den vergangenen fünf Monaten ablenken".

Da wirkt der Auftritt von FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke schon ehrlicher. "Wir würden so nicht mehr handeln", räumt er ein und wirft Grün-Rot zugleich Doppelzüngigkeit vor. Damals hätten sie noch den Wiedereinstieg bei der EnBW begrüßt, "nun wollen Sie plötzlich nichts mehr davon wissen". Wieso, fragt Rülke, hätten Grüne und SPD dann im Mai den neuen Landtagspräsidenten Stächele mitgewählt, wenn sie schon wussten, dass er einen Verfassungsbruch begangen hat? Rülke dreht den Spieß um. Sollte es im Zuge der Volksabstimmung zu Stuttgart 21 und dem umstrittenen Ausstiegsgesetz zu einer Klage vor dem Staatsgerichtshof kommen, "dann erwarte ich, dass die Landesregierung dieselben hohen Maßstäbe an politische Ämter anlegt wie im Fall des Landtagspräsidenten". Was das bedeutet? "Wenn das Gericht der grün-roten Regierung bescheinigt, nicht im Einklang mit Recht und Gesetz gehandelt zu haben, muss Ministerpräsident Kretschmann zurücktreten."

Dieses Szenario geht aber am Mittwoch unter, weil es fortan in der CDU-Fraktion drunter und drüber geht. Sie trifft sich zur Sondersitzung, um den Tuttlinger Landrat Guido Wolf wie geplant als neuen Landtagspräsidenten zu nominieren. Doch es gärt hinter den Kulissen. Immer mehr Abgeordnete sind verärgert über Fraktionschef Hauk, der tags zuvor nach einer Sitzung des Fraktionsvorstands binnen kürzester Zeit den 50-jährigen Wolf als Stächele-Nachfolger vorgeschlagen hatte. "So geht das nicht. Die Zeit von Hau-ruck-Entscheidungen in der CDU ist vorbei", ereifern sich Abgeordnete.

Grüne und SPD melden Mitspracherecht an

Plötzlich wird klar: Die CDU-Fraktion probt den Aufstand gegen ihren Vorsitzenden Hauk. Hektische Telefonate und Vier-Augen-Gespräche beginnen. Der ehemalige Finanzminister Gerhard Stratthaus wird von vielen Abgeordneten gedrängt anzutreten. Und der 69-Jährige wagt den Schritt. "Das ist ein wichtiges Amt für Baden-Württemberg, und ich bringe viel Lebenserfahrung für diese Aufgabe mit." Damit nicht genug. Wenige Sekunden vor Beginn der Sondersitzung entschließt sich auch Ex-Sozialministerin Monika Stolz (60) zur Kandidatur. Die Türen schließen sich. "Wenn ich nicht gewählt werde, bringt mich das nicht um", sagt Stratthaus nach seiner Vorstellungsrede und fügt spitzbübisch hinzu: "SPD und Grüne würden mich wählen."

Aber so weit kommt es nicht. Im ersten Wahlgang erhält Wolf 28 Stimmen, Stratthaus 24, Stolz nur acht. Im zweiten Wahlgang verzichtet die Ex-Ministerin, Wolf gewinnt mit 36 zu 24 Stimmen. Kaum ist der Applaus verebbt, verkündet Hauk offiziell das Ergebnis und meint: "Wir werden den Kollegen Guido Wolf als neuen Landtagspräsidenten vorschlagen und bitten um Unterstützung im ganzen Parlament."

Aber genau das könnte das Problem werden. Denn Grüne und SPD melden Mitspracherecht bei der Personalie an. So wird die Präsidentenwahl zur neuerlichen Machtprobe. Die Wahl von Wolf, eigentlich bereits für heute geplant, muss verschoben werden. Die Schuld für das Schlamassel wird CDU-Vormann Hauk gegeben. "Was wir heute erlebt haben", sagt ein altgedienter und verärgerter CDU-Mann, "war eine Palastrevolution, die wir uns hätten ersparen können."