László Ódor (links) und Georg Brenner schmökern gemeinsam. Foto: factum/Bach

Das zweisprachige Werk soll eine „Enzyklopädie des deutschen kulturellen Denkens“ sein – für Ungarn und Deutsche gleichermaßen.

Gerlingen - E r ist Ungar, war Diplomat, Universitätsprofessor und Leiter des ungarischen Kulturinstituts in Stuttgart. Er wird als „europasüchtig“ bezeichnet – und nun hat László Ódor ein deutsch-ungarisches Kulturwörterbuch herausgegeben. Darin steckt die Erfahrung und Arbeit von fast 40 Jahren. Der Gerlinger Bürgermeister Georg Brenner hat am Freitag im Rathaus eines der ersten Exemplare entgegen genommen. Nicht nur für Kundige ist es ein Schatz – aber nicht so einfach zu lesen wie ein Roman. Man braucht Zeit dafür.

Er habe als Ungar die deutsche Kultur als Bereicherung erlebt, erzählt der 71 Jahre alte emeritierte Universitätsprofessor, der immer noch über „Praxis in der Diplomatie“ doziert. Er studierte einst Hungarologie und Germanistik und wollte Lehrer werden. Das wurde er auch – aber nicht für Kinder am Gymnasium, sondern für Hochschulstudenten. Bereits 1975 ging er mit einem seiner Professoren für zwei Jahre nach Deutschland: an die Humboldtuniversität in Berlin, Hauptstadt der DDR.

Vier Jahre in Bern, zwei Jahre in Stuttgart

1978 begann er, Diplomaten auszubilden, „mein Part war die kulturelle Verständigung“. Sein Motto sei immer gewesen „man muss die Welt durch Sprache darstellen und verstehen“. Nicht nur im Deutschen würden viele Begriffe sich aufeinander beziehen. Beispiel? „Wer viel fährt, wird ein erfahrener Mensch.“ 1990 dann ging Lászlo Ódór wieder ins Ausland. „Eigentlich sollte ich nach Bonn, aber ich hatte Lust, in die Schweiz zu gehen.“ Also wurde es für vier Jahre Bern – auch weil die Familie befürchtete, als Botschafter im wiedervereinigten Deutschland wäre der Vater nie zu Hause. 2011 und 2013 war er in Stuttgart – nahe an Gerlingen, das eine große Affinität zu Ungarn hat.

Aus der ungarischen Perspektive erlebte Ódor das Flüchtlingsthema mit – und er ist nicht ganz damit einverstanden, wie sich die Regierung seines Landes verhalten hat. Der Zaun zu Serbien sei keine Lösung, dessen Bau hätte man zumindest „zuvor in Europa kommunizieren müssen“. Man müsse an einem Tisch miteinander reden über die gemeinsamen Sorgen, meint der ehemalige Diplomat. „Die ungarische Regierung sollte nicht gen Brüssel schreien, sondern nach Brüssel gehen und mit den Leuten sprechen.“ „Und umgekehrt“, fügt er sofort hinzu, „im Bewusstsein, dass es eine Gemeinschaft ist.“ Denn die Freiheit innerhalb Europas sei wichtig.

Durchsetzt mit Zitaten

Politische Begriffe kommen auch vor in dem Kulturwörterbuch, das weder eine Enzyklopädie noch ein Nachschlagewerk für Rechtschreibung ist. Es ist von allem etwas, es leitet von einzelnen Wörtern ab auf Redewendungen, und es ist vor allem durchsetzt mit Zitaten. Es vereint in sich, obwohl es „Kulturwörterbuch“ heißt, nicht nur Begriffe der Kultur. Und auch nicht nur solche, die Deutschland-spezifisch sind. Aus Österreich stammt so manches Stichwort, wie der Palatschinken.

Die ganze Lebenserfahrung des Autors aus Wissenschaft und Praxis, sagte derBürgermeister Georg Brenner, stecke in den mehr als 700 Seiten. Es gebe sicher Menschen in der Stadt, die Interesse hätten, darin zu schmökern. Auch das sei Völkerverständigung. Und der Rathauschef nannte praktische Beispiele für das Interesse am anderen: In den Kitas der Stadt absolviere zur Zeit eine junge Frau aus Ungarn eine Fortbildung über zweisprachige Kinderbetreuung. Und bei der Feuerwehr sei ein junger Mann, der aus Ungarn stamme.

Vielfältige Beziehungen

Neue Heimat
Die Stadt Gerlingen hat vielfältige Beziehungen nach Ungarn und zu Menschen, die aus Ungarn stammen. Wenige Monate nach dem Zweiten Weltkrieg kamen Tausende, die aus Ungarn zwangsausgesiedelt wurden, hierher. Sehr viele von ihnen wurden im Strohgäu heimisch, in Ditzingen und vor allem in Gerlingen. Diese Familien trugen maßgeblich zur Entwicklung der Städte bei.

Patenschaft
Im Jahr 1969 übernahm Gerlingen die Patenschaft mit der Landsmannschaft der Ungarndeutschen. Die ungarndeutschen Kulturtagungen und der Bundesschwabenball haben Tradition. Im Stadtmuseum ist die Kultur der Deutschen aus Ungarn ein Schwerpunkt.

Partnerschaft
Eine Städtepartnerschaft zwischen Gerlingen und Tata gibt es seit dem Jahr 1987. Tata hat rund 25 000 Einwohner, die Stadt liegt etwa 800 Kilometer entfernt: 60 Kilometer nordwestlich von Budapest und 180 Kilometer südöstlich von Wien. kwa