Heute noch stellen sich Politiker und Ermittler die Frage, wie die Fahndung nach den Mördern von Heilbronn verlaufen wäre, wenn dem Hinweis von Mike W. schon 2007 nachgegangen worden wäre. Foto: dpa

Dem Hinweis eines Hauptkommissars, der Polizistenmord von Heilbronn hänge mit Morden an Ausländern zusammen, ging man erst 2012 nach.

Dem Hinweis eines Hauptkommissars, der Polizistenmord von Heilbronn hänge mit Morden an Ausländern zusammen, ging man erst 2012 nach.

Stuttgart - Es müssen geradezu hellseherische Fähigkeiten gewesen sein, über die der Kriminalhauptkommissar Uwe M. neun Tage nach dem Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter verfügte. Denn in einem Gespräch mit seinem Kollegen Mike W. kam der Mordermitteler der Saalfelder Polizei den mutmaßlichen Heilbronner Mördern sehr nahe. Als Heilbronner Fahnder am 4. Mai 2007 den Kriminalpolizisten und Patenonkel Kiesewetters, Mike W., nach den möglichen Mördern seiner Nichte befragten, antwortete der: „Meiner Meinung nach besteht auch aufgrund der verwendeten Kaliber und der Pistolen, die ich aus den Medien kenne, ein Zusammenhang mit den bundesweiten Türken-Morden. Soviel ich weiß, soll auch ein Fahrradfahrer bei den Türken-Morden eine Rolle spielen. Ich sage nicht, dass ein Zusammenhang besteht. Ein Kollege von der KI 1 hat mich nur angesprochen, dass ein Zusammenhang bestehen könnte.“

Der Kollege von der Kriminalinspektion 1 war Uwe M.. Als die mutmaßliche Terrorgruppe des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) aufgeflogen war, konnte sich der Kriminalist im Juli 2012 nur noch vage daran erinnern, warum er schon kurz nach dem Anschlag in Heilbronn einen Zusammenhang zwischen den ermordeten Ausländern und dem Mord an der jungen Polizeimeisterin sah. In seinem Beruf, sagte M., gehe es auch darum, „zwischen verschiedenen Delikten Gemeinsamkeiten oder mögliche Übereinstimmungen von Täterbeschreibungen zu erkennen“. Da habe es sicherlich Anhaltspunkte gegeben, die ihn zu dieser Vermutung hätten kommen lassen.

Heute vieles noch fragwürdig

Heute noch stellen sich Politiker und Ermittler die Frage, wie die Fahndung nach den Mördern von Heilbronn verlaufen wäre, wenn dem Hinweis von Mike W. schon 2007 nachgegangen worden wäre. Denn: Zu vieles ist im Zusammenhang mit dieser Bluttat geschehen, was heute noch fragwürdig erscheint.

Warum recherchierte niemand zur früheren Lebensgefährtin Mike W.s, einer früheren Polizistin, die wegen ihrer Verstrickungen in die rechte Szene vom Dienst suspendiert wurde? Heute ist sie mit einem Neonazi verheiratet, der in den 1990er Jahren als Zeuge in einem Strafverfahren Uwe Böhnhardts auftrat.

War der Mitarbeiter des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg am Mordtag auf dem Weg nach Heilbronn, wie es die amtierende Präsidentin des Nachrichtendienstes sagt. Oder war er auf dem Rückweg aus Heilbronn, wie es ihr Vorgänger dem Untersuchungsausschuss des Bundestags zu Protokoll gab. Wollte der V-Mann-Führer einen neuen Informanten aus der islamistischen Szene an diesem Tag treffen? Oder einen aus der rechtsextremen, wie es Kollegen wissen wollen.

Wie eng war der Chef des rechtsextremen Ku-Klux-Klans (KKK), Achim Schmid, mit den Unterstützern des NSU in Thüringen vernetzt? Zumal der Kapuzenmann auch ein Informant der baden-württembergischen Verfassungsschützer war, wie das Innenministerium im Herbst einräumte.

„Überfällig, dass sich das Parlament der offenen Fragen annimmt“

Fragen, die schwerlich auch die Ermittlungsgruppe „Umfeld“ klären dürfte, die Innenminister Reinhold Gall (SPD) beauftragte, offene Fragen im Zusammenhang mit dem Polizistenmord und den Beziehungen des NSU in den Südwesten zu beantworten. Mit dem Verweis auf den inzwischen mehrfach angekündigten und doch überfälligen Abschlussbericht der Fahnder blockierten Gall und die SPD-Fraktion bislang, dass ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss sich diesen Fragen widmet.

Den aber fordern inzwischen die meisten Anwälte der NSU-Opfer im Münchener Verfahren. Stellvertretend für sie hält es Mehmet Daimagüler „für überfällig, dass sich das Parlament der offenen Fragen annimmt“. Schützenhilfe bekommt er von Clemens Binninger, der für die CDU im Untersuchungsausschuss des Bundestags zu den Spuren und Taten der Rechtsextremisten recherchierte. Gerade einmal zweieinhalb Tage habe das Gremium in Berlin sich mit dem Thema NSU und Baden-Württemberg beschäftigt. Andere Bundesländer, sagt der Christdemokrat, hätten „in einer solchen Situation einen Untersuchungsausschuss gebildet“.