Thomas Züfle Foto: Piechowski

Polizeipräsident Züfle zum anstehenden Abbruch des Südflügels und zu weiteren S-21-Einsätzen.

Stuttgart - Der Protest gegen Stuttgart21 ist in der Mehrheit sachlicher geworden, meint Polizeipräsident Thomas Züfle. Trotzdem warnt er vor einer fanatisierten Minderheit. Die Kräfte der Polizei sind ohnehin begrenzt, nicht zuletzt wegen des Papstbesuchs im Herbst in Deutschland.

Herr Züfle, nach längerer Pause hat die Deutsche Bahn die Bauarbeiten für Stuttgart 21 wieder aufgenommen. Prompt gab es Proteste. Wie sehen Sie die momentane Lage?

Die Lage ist verhältnismäßig ruhig. Die Menschen, die jetzt gegen Stuttgart 21 demonstrieren und protestieren, sind offensichtlich lange nicht mehr so hoch emotionalisiert, wie wir das aus der Vergangenheit kennen. Wir treffen heute überwiegend auf besonnene Menschen, denen es um die Sache geht. Das macht die Arbeit für unsere Kollegen einfacher und angenehmer.

Obwohl mit der Verlegung der Rohre für das Grundwassermanagement begonnen wurde - was direkt das heikle Thema Grund- und Mineralwasser betrifft -, haben nur wenige Hundert Menschen protestiert. Überrascht?

Wir wussten nicht, wie viele Demonstranten und Baustellenblockierer es werden, das ist klar. Aber wir sind von vornherein von einer weniger angespannten Lage ausgegangen.

Läuft der Protest aus?

Ich wünsche mir, dass wir es auf Dauer nicht mehr mit der hohen Emotionalisierung zu tun haben, die jedes vernünftige Miteinander im Keim erstickt. Dass wir auf alle Art von Gewalt und Straftaten verzichten können, versteht sich von selbst. Ob der Protest tatsächlich ausläuft, weiß ich nicht. Ich stelle nur fest, dass viele Projektgegner der Sache offensichtlich müde werden, dass sie die politische Entwicklung genau verfolgen und zunehmend Realitätssinn entwickeln. Beim einen oder anderen könnte es sich auch um Resignation handeln. Aber wir legen nicht die Hände in den Schoß, weil...

...weil...

...es auch sein könnte, dass sich das überwiegend bürgerliche Lager zwar zurückzieht, dafür aber eine kleinere Gruppe fanatisierter Projektgegner zurückbleibt, die mit allen Mitteln - und zwar wirklich mit allen Mitteln - doch noch versucht, das Projekt zu stoppen. Kurzum: Wir werden weiterhin wachsam bleiben.

Anfang September möchte die Bahn mit dem Abbruch des Hauptbahnhof-Südflügels beginnen. Was erwarten Sie aus Sicht der Polizei?

Diesen Termin kenne ich nicht.

Womit rechnet die Polizei, wenn die Abbruchbagger eines Tages anrücken?

Das wird den Widerstand gegen S 21 vermutlich deutlich anfachen; was die Zahl der Gegner angeht als auch die Qualität des Widerstands. Mehr Menschen werden härter für ihr Anliegen streiten. Die Bilder, auf denen zu sehen ist, wie Bagger das Gebäude zerstören und unumkehrbar Fakten schaffen, werden wohl viele Menschen aufrütteln und mobilisieren.

Die Bahn rechnet damit, dass der komplette Abbruch mindestens sechs Wochen dauert. Ein sechswöchiger Polizeieinsatz mit vielen Hundert Beamten - ist das möglich?

Offen gesagt: Wir freuen uns nicht auf diese Aufgabe. Der Konflikt um S21 ermüdet und nervt auch manchmal. Aber wir werden sicher unser Bestes tun, die Aufgabe zu meistern. Der Abbruch des Südflügels wird uns personell bis an die Grenzen fordern. Auch körperlich und seelisch werden die Beamten vermutlich arg strapaziert. Ob es tatsächlich sechs Wochen werden, wie Sie meinen, weiß ich nicht. Bisher hat uns die Bahn keinen konkreten Zeitplan übermittelt.

Südflügel: Sprengung für die Bahn attraktiv

Stehen in Stuttgart und Baden-Württemberg für diesen Marathoneinsatz genügend Polizeikräfte zur Verfügung? Immerhin erwartet uns Ende September auch der Papstbesuch in Berlin, Erfurt und Freiburg.

Der Besuch des Heiligen Vaters spielt in diesem Zusammenhang eine Rolle, das liegt auf der Hand. Ich möchte das Augenmerk aber zunächst auf einen anderen Aspekt lenken: Oberste Maxime unserer Einsätze bei S 21 ist die Deeskalation. Dabei spielt die schiere Zahl der eingesetzten Beamten eine nicht unerhebliche Rolle: Je mehr Stärke die Polizei zeigt, desto eher werden potenzielle Störer oder Straftäter abgeschreckt und desto mehr Möglichkeiten haben wir, um flexibel zu reagieren. Insofern gibt es für die Polizei einen Zielkonflikt mit dem Besuch des Papstes, der ebenfalls viele Polizeikräfte aus Baden-Württemberg und anderen Bundesländern sowie die Bundespolizei bindet.

Beides gleichzeitig - Papstbesuch und Abbruch Südflügel - geht also nicht?

Aus meiner Sicht geht es eher nicht. Die endgültigen Entscheidungen werden aber auf Ebene der Ministerien getroffen.

Für Bauingenieure gibt es zwei Alternativen zum wochenlangen Abriss mit dem Bagger: Würde man den Südflügel sprengen, müsste der Polizeieinsatz nicht länger als eine Woche dauern. Was halten Sie davon?

Ob das bautechnisch möglich ist, kann ich nicht beurteilen. Ich kann nur sagen, dass ein kurzer Einsatz aus Sicht der Polizei immer besser ist als ein langer und zäher Prozess mit ungewissem Ende. Ein Gebäude, das erst zum Teil abgerissen ist, hat nämlich auch einen hohen Symbolgehalt, der den Widerstand womöglich schürt...

Die Sprengung wäre für die Bahn auch aus Kostengründen attraktiv.

Das mag sein, ist aber nicht unsere Sache.

Die zweite Variante für Bauingenieure wäre ein Teilabriss: Für den Bauablauf im nächsten Jahr könnte es genügen, eine zehn Meter breite Schneise in den Südflügel zu brechen. Das reicht aus für den Zugang zum provisorischen Querbahnsteig. Ein Teilabriss könnte ebenfalls in wenigen Tagen erledigt sein.

Diese Variante ist für mich überraschend. Sie hat in den Gesprächen, die wir mit der Bahn führen, bisher keine Rolle gespielt.

Wer gibt letztlich das Signal für den Abbruch? Die Politik? Die Bahn? Die Polizei?

Das müssen die Projektpartner, also Bahn, Bund, Land, Stadt Stuttgart und Region, entscheiden. Die Polizei ist kein Projektpartner. Wir sagen nur, wie wir das Baurecht der Bahn durchsetzen können und wo dabei die Grenzen liegen. Inwieweit den polizeilichen Einschätzungen Rechnung getragen wird, liegt vor allem in der Verantwortung des Innenministers und der Landesregierung.

Falls die Bahn Ende 2011 mit der Rodung der Bäume auf den Baufeldern im Schlossgarten beginnt, kommt ein weiterer Großeinsatz auf Sie zu. Wie wollen Sie die Lage im Park in den Griff bekommen?

Erste Voraussetzung ist die Räumung des Zeltlagers. Das macht mir aber wegen der Heterogenität der Bewohner weniger Kopfzerbrechen, auch wenn sich diese Situation noch ändern kann. Die größte Herausforderung ist meiner Meinung nach die Größe des Bereichs, den wir im Park sichern müssten.

Würden Sie es vorziehen, den Park im Baustellenbereich weiträumig abzusperren?

Eine klare Trennung zwischen Park und Baustelle wäre immer hilfreich.

"Leute sind rational nicht mehr erreichbar"

Sie haben sich im Gemeinderat kritisch über das "bürgerliche Protestpublikum" geäußert, dessen Sympathien "gewalttätige Übergriffe begünstigen". Erklären Sie das bitte?

Da möchte ich ein wenig ausholen: Die Polizei bemüht sich in der Einsatzplanung wie im Einsatz um ein differenziertes Bild des Protestgeschehens. Es gibt nicht DEN S-21-Kritiker. Manche Bürger, die sich seit vielen Monaten engagieren, pflegen ein fast schon freundschaftliches Verhältnis zu den Beamten, mit denen sie immer wieder zu tun haben. Auch die Masse verhält sich in aller Regel besonnen und fair. Das registrieren wir und finden es gut. Es gibt allerdings eine Gruppe Demonstranten, die meinen Kollegen das Leben wirklich schwermachen.

Unterhalb der Schwelle der Straftat?

Unterhalb dieser Schwelle, und trotzdem ist es teilweise unerträglich. Unsere Kollegen werden auf üble Weise beleidigt, geschmäht und herabgewürdigt. Was würden Sie davon halten, wenn jemand vor Ihnen ausspuckt? Oder wenn jemand ständig "Polizeistaat, Polizeistaat" schreit?

Sind das Provokateure?

Zum Teil. Es sind aber auch Leute, die - nach Einschätzung unserer Anti-Konflikt-Beamten und vorsichtig formuliert - rational nicht mehr erreichbar sind.

Nochmals zu ihrem Zitat: Wie begünstigt ein Protestpublikum Straftaten?

Indem es sich vorschnell mit jedem aus den eigenen Reihen solidarisiert; auch mit solchen Personen, die wir in der Menge klar als Straftäter identifiziert haben und gezielt festnehmen wollen, um Schlimmeres zu verhindern. Diese Solidarisierungseffekte schaden der Polizei und der Demonstration.

Wie sollte sich der Bürger in solchen Ausnahmesituationen verhalten?

Es wäre wünschenswert, wenn Provokateure und Straftäter von der Menge verbal zur Ordnung gerufen werden. Wenn das nicht fruchtet, sollte man sich von solchen Personen zumindest fernhalten und das Einschreiten der Polizei nicht behindern.

Nach dem 30. September 2010, als über Hundert Demonstranten beim Wasserwerfereinsatz im Schlossgarten verletzt wurden, hat ihr Amtsvorgänger selbstkritisch angemerkt, dass die Polizei bis dahin keine Vertrauensbasis zu führenden Köpfen des Protests herstellen konnte. Das wäre aber ein wichtiger Baustein für die Deeskalation. Sind Sie, Herr Züfle, bei diesem Defizit weitergekommen?

Mittlerweile ist viel Zeit vergangen, und wir sind einen großen Schritt weiter. Unser Anti-Konflikt-Team, das auf 15 Beamte aufgestockt wird, hat bei diversen Einsätzen zu vielen Demonstranten eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen können. Das macht uns Mut. Auch die Führungsebene des Polizeipräsidiums hat den Kontakt zum Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 gefunden. Das lohnt sich für beide Seiten.

Worüber reden Sie mit Brigitte Dahlbender und Hannes Rockenbauch?

Diese Gespräche sind vertraulich, da bitte ich um Nachsicht.

Wie stehen Sie als Privatperson zu S21?

Ich habe eine klare Meinung, aber die tut hier nichts zur Sache. Als Polizei sind wir nach Gesetz und Pflicht gehalten, in dem Konflikt aktiv zu werden, und das tun wir. Ich kann Ihnen aber versichern, dass Polizisten bei Dienstschluss nicht das Gehirn abschalten und wir beide Fraktionen in unseren Reihen haben: engagierte Befürworter und engagierte Gegner. Im Dienst haben persönliche Auffassungen aber nichts verloren.