Auf dem Übungsplatz zeigt Simba, dass mit ihm nicht zu spaßen ist. Daheim in Vaihingen gibt er sich friedlicher und will eigentlich nur gestreichelt werden. Foto: Rüdiger Ott

Rainer Kirsch ist Polizist und Herrchen von Simba. Der achtjährige belgische Schäferhund liebt es, Sprengstoff zu erschnüffeln. Zu Besuch bei einem eingespielten Team.

Vaihingen - Simba tut das, was alle lieben Hunde tun. Er stupst mit seiner Schnauze sein Herrchen an, damit der ihn endlich streichelt. Rainer Kirsch ignoriert ihn. Der belgische Schäferhund, ein Malinois, legt den Kopf auf den Schenkel und schaut aus seinen dunklen Augen, als würde er vor Trauer zerfließen. Kirsch ignoriert ihn immer noch.

Also wenden sich die 36 Kilo Muskelmasse dem Gast am Küchentisch zu, um dort stupsend zum Ziel zu kommen. „Er ist extrem anhänglich. Ich kann nicht mal alleine auf die Toilette gehen“, sagt Kirsch. Wahlweise tollt er mit den Kindern im Garten, macht sich auf dem Sofa breit und guckt fern oder legt sich abends quer übers Bett. Das ist seine eine Seite. „Er ist wie Doktor Jekyll und Mister Hyde“, sagt Kirsch und streichelt Simba dann doch noch über den Kopf. „Im Einsatz wartet er bloß auf das Kommando.“

Dann zeigt Simba seine andere Seite und es ist besser, dem acht Jahre alten Rüden nicht mehr über den Kopf zu streicheln. Er ist eines von 40 Tieren, die zur Polizeihundeführerstaffel in Mühlhausen gehören. Er schläft zuhause in Vaihingen, aber wenn Kirsch sich die Uniform anlegt, ist Simba bereit, Einbrecher zu stellen, Schläger zu verfolgen oder Menschen zähnefletschend in die Schranken zu weisen. Auf Befehl verwandelt er sich in eine Waffe auf vier Beinen und ebensoschnell wieder zurück.

Simbas Nase ist ein Naturphänomen

Die dafür nötigen Begriffe kritzelt Kirsch lieber auf einen Zettel, statt sie auszusprechen. Sonst würden mindestens Kaffeetassen und Teller durch die Küche fliegen, vielleicht würde Simba auch zuschnappen. „Das ist das Stichwort“, sagt er und tippt mit dem Stift auf das Papier. Es beginnt, das darf man wohl sagen, mit „Halt Polizei“. Das ist auch sinnvoll, denn der mutmaßliche Täter soll ja stehenbleiben. Der Hund wird zur gespannten Feder. In der zweiten Zeile steht ein weiterer Befehl, quasi die erste Eskalationsstufe. Die dritte Zeile bedeutet Angriff. „Das ist das schlimmste Wort, dann geht’s zur Sache.“

Auf der Riechschleimhaut eines Menschen befinden sich rund fünf Millionen Riechzellen. Ein Hund bringt es auf 200 Millionen Stück. Schon dieser Vergleich zeigt, dass die Spürnase eines Vierbeiners der eines Zweibeiners haushoch überlegen ist. Manche Hunde springen auf Drogen an, andere auf Brandmittel oder auf Blutspuren. Simba ist auf Explosivstoffe spezialisiert. Egal ob Schwarzpulver oder Plastiksprengstoff, aus dem Bergbau oder dem Arsenal des Militärs – alles, was in die Luft fliegen kann, erschnüffelt der Rüde mit erstaunlicher Sicherheit.

„Er ist ein Naturphänomen“, sagt Kirsch. „Simba ist wohl der beste Spürhund in Baden-Württemberg.“ Um das zu beweisen, kramt er eine Pappschachtel mit vor einigen Wochen abgefeuerten Patronenhülsen hervor und gibt dem Gast den Auftrag, zwei davon im Garten in die Wiese zu werfen. Der belgische Schäferhund kennt das Spiel und rennt schwanzwedelnd um sein Herrchen.

Für sein Spielzeug tut der Vierbeiner alles

Kirsch holt Simbas Lieblingsspielzeug, ein gefülltes, zugenähtes Stück Feuerwehrschlauch, tippt damit auf die Nase des Hundes, und schon beginnt die Suchaktion. Eine halbe Minute später sind die Hülsen gefunden. Simba legt sich vor sie ins Gras, berührt sie aber nicht. Darauf ist er trainiert, schließlich könnte es sich um eine Bombe handeln. Zur Belohnung bekommt er seinen Feuerwehrschlauch und verzieht sich in Richtung Kindertrampolin.

Über den Spieltrieb lässt sich einem Hund so ziemlich alles beibringen. Manche vollziehen eine Rolle seitwärts, andere laufen auf den Hinterbeinen durch die Manege, Simba erschnuppert TNT. Das Prozedere ist immer gleich. Der Hund bekommt eine Belohnung, wenn er etwas richtig macht. Ansonsten geht er leer aus. Mit Druck lernt kein Hund, sondern aus Spaß.

Das erfordert einerseits Geduld und Konsequenz vonseiten des Halters, und andererseits ein Tier, das weder faulenzend herumliegt noch einen Sturkopf hat. „Ein verspielter Hund ist zu allem tauglich. Wenn er aber nicht spielen will, bekomme ich ihn nicht zum Schaffen“, sagt Kirsch.

Notfalls springen Polizeihunde über zwei Meter hohe Zäune

Ortswechsel, Polizeihundeführerstaffel in Mühlhausen: Eine Woche später ist der Feuerwehrschlauch verschlissen, Kirsch hat ein neues Teil nähen lassen. Das steckt in seiner rechten Hosentasche. Simba fixiert die Beule in der blauen Polizeihose, als könnte er sein Spielzeug mit seinen Blicken herausschneiden. Die beiden laufen über den Übungsplatz so eng beisammen, dass Kirsch beinahe über seinen Malinois stolpert. Das klappt sonst besser, aber heute zeigt sich der Rüde von seiner bockigen Seite. Für ein Leckerli aus der linken Schenkeltasche lässt er sich dennoch bewegen, über einen Zaun zu springen. „Diese Übung ist auch in der Praxis wichtig“, sagt Kirsch. Dann nämlich, wenn ein Einbrecher durch einen Garten flüchtet. Selbst ein zwei Meter hoher Zaun ist dann für Simba kein Hindernis.

Um das zu beherrschen, musste er in die Schule. 13 Wochen dauerte die Grundausbildung, die er im Alter von einem Jahr begann und zusammen mit seinem Herrchen absolvierte. Danach war er gewappnet für den Schutzdienst, konnte Häuser durchsuchen und Leute abdrängen. Damit wurde er offiziell zum Hilfsmittel der körperlichen Gewalt, wie es im Amtsdeutsch heißt, und damit gleichrangig zur Handschelle oder zum Wasserwerfer. Die Spezialausbildung zum Sprengstoffspürhund durchlief er mit zwei Jahren. Auch sie dauerte 13 Wochen. Seitdem wird trainiert, fast täglich, um nichts zu vergessen.

Der belgische Schäferhund hat noch nie verloren

Kirsch ruft das Wort, das besser nicht in der Zeitung stehen soll, und Simba verbeißt sich in Sascha Krügers Arm. Krüger ist Polizist und Ausbilder, ein dicker Schutzanzug bewahrt ihn vor farbig schillernden Hämatomen. Er spielt das Opfer, oder den Täter, je nachdem, wie man das betrachtet. Auf jeden Fall ist er Beute, und Simba im Angriffsmodus.

Geschichten kursieren, man müsse Hunden nur auf die Schnauze hauen oder mit dem Finger ins Auge drücken, dann würden sie schon ablassen. Die Realität ist, dass nichts davon funktioniert. Die Tiere werden darauf trainiert, dass Schmerz und Lärm sie nicht von ihrem Ziel abbringt. „Keiner unserer Hunde hat je in seinem Leben verloren“, sagt Krüger. „Die haben immer gewonnen.“

Ein Selbstversuch soll letzte Zweifel zerstreuen. Die gepolsterte Latzhose angezogen, den linken Arm in das Rohr aus bissfesten, dicken Fasern gesteckt, und Kirsch gibt das Kommando. Ein Sprung und 36 Kilo knurren und zerren und lassen sich auch nicht davon abhalten, wenn man sich im Kreis dreht wie ein Karussell. Ganz ehrlich, angsteinflößend ist das nicht.

Kirsch meint, das liege an dem Schutzanzug. Ohne ihn wäre das ganz anders und wirklich schmerzhaft. Jedenfalls trollt sich Simba irgendwann mit dem künstlichen Arm, kaut auf ihm herum und lässt sich ein paar Minuten später sogar schon wieder auf dem Rücken liegend und alle Viere von sich streckend am Bauch kraulen.