Sie bekommen von Facebook nicht selten ein Nein zu hören: Die Internet-Spezialisten Marco Hauke und Oliver Neumann von der Cannstatter Polizei Foto: Lichtgut/Max Kovalenko

28 Millionen Menschen in Deutschland nutzen Facebook. In dem sozialen Netzwerk gilt teilweise US-Recht und die Polizei ist auf das Wohlwollen von Facebook angewiesen. Nämlich dann, wenn sie Hilfe braucht.

Stuttgart - Was macht man eigentlich, wenn man auf Facebook beleidigt, bedroht oder betrogen wird? Man geht zur Polizei, zum Beispiel nach Bad Cannstatt. Dort sitzen – wie auf jedem Revier – sogenannte Sachbearbeiter Cybercrime. Polizisten also, die sich unter anderem um Internetkriminalität kümmern.

Seit 2015 erst wird Internetkriminalität im Land separat erfasst. Laut Stuttgarter Innenministerium weist die Statistik für 2015 knapp 13 000 Fälle von Betrug und genau 1138 Fälle von Beleidigung aus. 2016 seien die Zahlen auf einem ähnlichen Niveau gewesen, heißt es, die offizielle Statistik wird Mitte März veröffentlicht.

Spuren sichern – und dann auf zur Polizei

Betrug wird eher angezeigt als Beleidigung. Denn bei Betrug geht es den Menschen an den Geldbeutel. Das zumindest ist die Erfahrung von Marco Hauke, der sich in Bad Cannstatt seit 2010 um Internetkriminalität kümmert – gemeinsam mit seinem Kollegen Oliver Neumann. Beide empfehlen, erst einmal Spuren zu sichern, bevor man zur Polizei geht. Also zum Beispiel ein Beweisfoto (Screenshot) der Beleidigung machen und die URL-Adresse des mutmaßlichen Täters sichern. Denn ein Name und ein Profilbild können auf Facebook schnell getauscht oder geändert werden. Dann findet man den Account nur noch schwer wieder.

Nach Erstattung der Anzeige kann es schnell gehen. „In 75 Prozent der Fälle, die ich auf den Tisch bekomme, ermittle ich in zwei bis drei Stunden einen möglichen Tatverdächtigen“, sagt Hauke. Die meisten Menschen seien nun einmal auf Facebook, um gefunden zu werden, sagt er. Die kriege man, wenn sie sich aus Dummheit oder Wut zu einer Beleidigung haben hinreißen lassen.

Facebook kann helfen – muss aber nicht

Viele sind auf Facebook allerdings auch mit Fantasienamen unterwegs und wollen ihre wahre Identität nicht preisgeben. In solchen Fällen kann sich die Polizei an Facebook wenden, um mit den dort hinterlegten Daten den Täter vielleicht doch noch identifizieren zu können. Das haben die deutsche und amerikanische Justiz vereinbart.

Auf einem speziellen Facebook-Portal für Polizeidienststellen können Hauke und Neumann ein englischsprachiges Formular ausfüllen und hochladen. Dann heißt es warten. Zwei bis sechs Wochen dauere es, sagen die beiden, bis Facebook antworte. Wobei die Antwort dann oft unbefriedigend ist – zumindest wenn es um Beleidigungen geht. Amerika gewichtet die Meinungsfreiheit nämlich höher als Deutschland.

„Ich habe schon viele Beleidigungsanzeigen gehabt, bei denen Facebook eine Hilfe abgelehnt hat“, sagt Neumann. Oft hänge das auch davon ab, ob der mutmaßliche Täter nach Erkenntnissen von Facebook im Ausland sitzt. Dann gibt das Unternehmen in der Regel keine Auskunft, weil der Fall nicht deutschem Recht unterliege, so die Standardauskunft. Grundsätzlich sei Facebook aber willig und kooperativ, sagt Neumann. Andere Firmen wie Amazon würden der Polizei gar keine Auskunft geben, das müsse über die Staatsanwaltschaft laufen.

Mühsame Fortschritte

Verweigert Facebook eine Auskunft, ist die Polizei vor Ort oft mit ihrem Latein am Ende. Die Straftat bleibt dann ungesühnt – es sei denn, Thomas Raml kann noch was machen. Raml arbeitet in der Abteilung Cybercrime des Landeskriminalamts (LKA). An ihn können Beamte wie Hauke und Neumann sich wenden, wenn sie meinen, dass Facebook in einem konkreten Fall eigentlich unbedingt Auskunft geben müsste. Denn Raml ist, was die Polizei in Baden-Württemberg angeht, der höchstrangigste und einzige Ansprechpartner für Facebook. „Single point of contact“ nennt sich das. Die Polizei jedes Bundeslandes hat so einen Ansprechpartner, das Bundeskriminalamt (BKA) auch. So hat man es auf politischer Ebene 2011 vereinbart, seit Oktober letzten Jahres läuft es endlich. Die Fortschritte bei der Zusammenarbeit mit Facebook dauern lang und sind mühsam. Oder wie Raml sagt: „Es sind dicke Bretter zu bohren.“

Die Polizeireviere kommunizieren mit Facebook nur über das Portal. Wer ihre Anfragen bearbeitet und wo – das wissen sie allenfalls aus Erzählungen. In Dublin sitzt offenbar ein Team für Behördenanfragen, wahrscheinlich werden manche Anfragen aber auch am Unternehmenssitz in Kalifornien beantwortet.

Keiner kennt die Regeln

Raml hingegen kann mit einer Mitarbeiterin von Facebook in London direkt Kontakt aufnehmen. Raml bespricht mit ihr Probleme und versucht sie dazu zu bringen, dass in bestimmten Fällen doch noch Auskunft gegeben wird. Raml weiß inzwischen besser als die meisten seiner Kollegen, wie Facebook tickt. Aber trotzdem ist der Internetriese auch für ihn zumindest teilweise noch ein Mysterium. Auf die Frage, ob er die Kriterien inzwischen verstanden hat, nach denen Facebook Auskunft gibt, kommt von ihm ein klares Nein.

Raml weiß von Fällen, bei denen Facebook auf Polizeianfragen gar nicht reagiert – nicht einmal negativ. Und wenn eine Antwort kommt, dann dauert sie oft zu lang – zumal die Internetprovider in Deutschland die Verbindungsdaten noch immer nicht speichern müssen. Erst von Juli an soll das Gesetz zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung umgesetzt werden. Oft seien solche Verbindungsdaten der einzige Ermittlungsansatz, sagt Raml. „Wenn dann von Facebook eine Antwort erst nach mehreren Wochen kommt, dann ist Ende Gelände.“ Raml sagt aber auch: „Wir dürfen es mit der Kritik nicht überziehen.“ Das Unternehmen könne, was die Zusammenarbeit angehe, jederzeit den Stecker ziehen. Denn die sei nun einmal freiwillig.

Luigi Pantisano sieht in der Sache die Politik in der Pflicht. Die müsse Gesetze erlassen, „die Facebook dazu zwingen, bei Straftaten nach deutschem Recht Daten rauszugeben“, fordert der SÖS/Linke-Stadtrat aus Stuttgart. Und bis dahin sollten Staatsanwaltschaften auch mal nach dem Münchner Vorbild ein Verfahren gegen Facebook wegen Beihilfe zu einer Straftat einleiten, wenn das Unternehmen hinterlegte Daten nicht herausrückt.

Mordrohungen gegen Stadtrat

Pantisano wird seit Anfang 2016 von Unbekannten auf Facebook bedroht. Nach der Kölner Silvesternacht hat er, der sich dem Kampf gegen den Rassismus verschrieben hat, mit einem Facebook-Beitrag offenbar Rechtsradikale gegen sich aufgebracht. Die Unbekannten veröffentlichen seine Privatadresse, schickten ihm via Facebook Drohmails (Wir kriegen dich, wir stehen bald vor deiner Tür). Doch Facebook weigerte sich, Näheres über die Accounts der mutmaßlichen Täter preiszugeben.

Ende 2016 ging es wieder los. Vermutlich dieselben Täter, wenn auch andere Accounts. Vermutlich sind Profis am Werk, die es verstehen, im Internet anonym unterwegs zu sein. Beim zweiten Mal hätten sich die Täter sogar über seine Strafanzeige lustig gemacht, sagt Pantisano. Selbst wenn Facebook die Daten herausgebe, werde man sie eh nicht kriegen, spotteten sie. Es könne doch nicht sein, meint er, dass auf Facebook Leute ungestraft bedroht würden und die Polizei an der Nase herumgeführt werde.

Beleidigungen zeigt Pantisano übrigens nicht an. Die lösche er. „Beleidigungen“, sagt er, „gehören auf Facebook inzwischen fast schon zum guten Ton.“