Julian Draxler trägt die Binde in Regenbogenfarben und protestiert damit gegen Homophobie Foto: dpa

Die Fifa duldet keine Botschaften, der DFB lässt mehr zu, der VfB gibt sich neutral – eine Bestandsaufnahme.

Stuttgart - Nächstes Jahr also Russland. Die Weltmeisterschaft. Die größte Bühne des Fußballs. Von Mitte Juni bis Mitte Juli blickt die Sportwelt in Putins Reich. Auf Topstars, Tore und Titelkandidaten. Aber auch darauf, wie sich das Gastgeberland zeigt. Und wie die Gäste sich präsentieren. Ob sie politisch Stellung beziehen. Ob sie klare Haltung zeigen.

Ob sie klare politische Botschaften mit im Gepäck haben.

Korruption, Pressefreiheit, Masseninhaftierungen, große Themen sind das in Russland – zu große für Trainer, Kicker und Funktionäre? Spätestens nach dem vergangenen Wochenende ist die Verbindung zwischen weltpolitischen Themen und dem Fußball auch hierzulande im öffentlichen Bewusstsein. Die Bundesligaprofis von Hertha BSC gingen aus Solidarität mit US-amerikanischen Sportlern, die sich aus Protest gegen Rassismus und Polizeigewalt bei der Hymne vor den Spielen niederknien, vor der Partie gegen den FC Schalke 04 ebenfalls in die Knie – und setzten damit ein großes, öffentlichkeitswirksames Zeichen. Nun drängen sich Fragen auf: Was soll der Fußball auf politischem Feld leisten – und welche Botschaften darf er überhaupt aussenden?

Die deutschen Weltmeister mit zahlreichen Profis mit Migrationshintergrund betonen ja gerne, wie sehr sie für Werte wie Offenheit, Vielfalt, Integration und Toleranz stehen. Wünschenswert sei es, sagt der Bundestrainer Joachim Löw, „wenn solche Werte überall auf der Welt gelten“. Also auch bei der WM im nächsten Jahr. „Wir wissen, dass wir in Russland auch mit Themen des gesellschaftlichen Lebens konfrontiert werden“, sagt Löw – ergänzt aber: „Man sollte vom Fußball nicht erwarten, dass er Probleme und Missstände überwindet, die die Politik auch nicht löst.“

Wenn es um die großen poltischen Themen geht, verweist die sportliche Leitung der Nationalelf gerne auf den DFB-Präsidenten Reinhard Grindel, der offen mit der Problematik umgeht. Mehrfach äußerte er sich zuletzt kritisch zu den WM-Austragungsorten Russland und Katar (2022) und appellierte an die Länder, sich an Menschenrechte zu halten.

Die Mittel der Spieler sind da begrenzter. Selbst wenn sie sich offen politische positionieren wollten – sie dürften es gar nicht. Zumindest nicht auf dem Platz. Denn der Weltverband Fifa duldet weder politische noch persönliche Botschaften. Vor zehn Jahren wurde die Fifa-Regel 4 „Ausrüstung der Spieler“ konkreter gefasst: Demnach dürfen Spieler keine Unterwäsche mit politischen, religiösen oder persönlichen Botschaften, Bildern oder Werbeaufschriften mit Ausnahme des Herstellerlogos zur Schau stellen.

Dass der Kapitän Julian Draxler wie beim Freundschaftsspiel im Sommer in Dänemark (1:1) eine Binde in Regenbogenfarben trägt, als der DFB sich an einer Aktion des dänischen Fußballverbandes gegen Homophobie beteiligte, ist bei einem Fifa-Turnier nicht denkbar. Der DFB übrigens erklärte dazu hinterher, er hätte diese Aktion „selbstverständlich unterstützt, weil sie in unsere Werte passt“. Die Fifa und auch der europäische Fußballverband Uefa überlassen es bei Freundschaftsspielen und nationalen Wettbewerben den nationalen Verbänden, wie sie auf politische Demonstrationen der Spieler reagieren. Das Thema kam in der Bundesliga Ende 2014 auf, als der damals für den 1. FC Köln stürmende Anthony Ujah einen Treffer Eric Garner gewidmet hatte, einem dunkelhäutigen Amerikaner, der von einem weißen Polizisten zu Tode gewürgt wurde. „Eric Garner #cantbreathe #justice“! stand auf Ujahs Textil.

Großes Aufsehen erregte auch der Schweizer Haris Seferovic, damaliger Angreifer von Eintracht Frankfurt, als er fast zur selben Zeit dem Gewaltopfer Tugçe gedachte. Auf seinem T-Shirt hatte er geschrieben: „Tugçe = Zivilcourage, Engel, Mut, Respekt.“ Der DFB wies danach darauf hin, dass die Spieler so etwas künftig zu unterlassen haben.

Obwohl er damit gegen die Fifa-Statuten verstieß und in der Bundesliga religiöse und politische Botschaften grundsätzlich verboten sind, bestrafte der DFB Seferovic jedoch ebenso wenig wie Ujah – stellte aber klar: Mehr Ausnahmen wird es künftig nicht geben. Der DFB-Chefankläger Anton Nachreiner sagte im Dezember 2014: „Wir werden spätestens zu Beginn der Rückrunde Rundschreiben an die Clubs rausschicken, damit diese Dinge aufhören.“

Nun aber, nach dem Kniefall der Profis von Hertha BSC, braucht die Hertha keine Strafe fürchten. Der DFB teilte mit: „Wir sehen die Geste als allgemeines Eintreten für die Wahrung der Menschenrechte.“ Und die deutsche Fußball-Liga twitterte: „Großartige und wichtige Geste.“ Was erlaubt und was verboten ist, bleibt also eine Grauzone. Wenn ein Spieler im Stadion ein politisches Statement abgibt, muss er mit einer Strafe rechnen. Setzt er dagegen mit seinen Kollegen wie nun bei der Hertha ein Zeichen für humanistische Ideale, ist das im deutschen Fußball offenbar erlaubt.

Beim VfB Stuttgart ist man sich der komplexen Gemengelage bewusst. „Der VfB versteht sich als politisch neutraler Verein und verzichtet dementsprechend auf politische Statements“, teilte ein Sprecher auf Anfrage mit: „Den Spielern sind politische Aussagen nicht grundsätzlich untersagt, wir weisen aber auch in diesem Zusammenhang auf die Vorbildfunktion hin und gehen davon aus, dass entsprechende Überlegungen im Vorfeld mit dem Club abgestimmt werden.“ Der Verein betont zudem seine „politische und religiöse Neutralität“. Das sei in der Satzung festgeschrieben.

Aufsehen erregte zuletzt ein Gruppenbild in einer der 18 Lernzentren des Clubs. Das Foto aus der Mercedes-Benz-Arena zeigte einen Mann mit dem Schriftzug „FCK AFD“ auf dem T-Shirt – offensichtlich ein stiller Protest gegen die Alternative für Deutschland (AfD). Für Irritation sorgte später, dass dasselbe Bild auch in der VfB-Mitgliederzeitschrift „dunkelrot“ erschienen war – allerdings hatte der VfB hier offenbar den Schriftzug auf dem Shirt wegretuschiert. „Wir wollen in unseren Publikationen keine Beleidigungen und auch keine politischen Statements zulassen“, sagte ein VfB-Sprecher dazu. Dass das Bild trotzdem auf der Internetseite des Clubs stand, sei ein Versehen gewesen.