Rechts wird heute schnell mit Rechtsradikal verwechselt. Aber was ist der Kern des Konservatismus? Foto: Marco2811/Fotolia

Rechts ist, wo der Daumen links ist. Sagt die Oma. Aber was bedeutet der Begriff in der Politik? Eine Erklärung.

Stuttgart - Wo rechts ist, lernen Kinder relativ leicht. „Rechts ist, wo der Daumen links ist“, sagt die Oma. Das prägt sich schnell ein. Wo aber rechts und links in der Politik sind, das ist nicht so einfach zu erklären. Da muss man schon etwas mehr tun, als nur auf die Rückseite seiner Hände zu schauen.

Die Unterscheidung in rechte und linke Politik soll auf die Sitzordnung des französischen Abgeordnetenhauses von 1814 zurückgehen. Von vorne aus betrachtet, saßen damals die Verteidiger der bestehenden Verhältnisse im Parlamentssaal rechts, die Veränderer und Revolutionäre links.

Der Bundestag hat diese Sitzordnung übernommen: Noch heute sitzen die Abgeordneten der CDU im Berliner Reichstag vom Bundestagspräsidenten aus gesehen rechts, die der Linkspartei links.

Die Unterscheidung ist Segen und Fluch zugleich. Ein Segen deshalb, weil man in der politischen Diskussionen jemanden schnell grob einordnen kann: links und rechts – das sind wenigstens ungefähre Richtungsangaben, mit denen man ausdrücken kann, wo jemand in etwa politisch steht. Ein Fluch ist das Ganze, weil die Unterscheidung das Schubladendenken fördert und ablenkt von dem, worum es in der Politik eigentlich gehen sollte: Welche Maßnahmen sind am besten für das Gemeinwohl? Was funktioniert und was nicht? Ende der neunziger Jahre hat der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder mal an seine Politikerkollegen appelliert, vom Rechts-links-Schema beim Betrachten der Wirklichkeit abzulassen. Es gebe keine linke oder rechte Wirtschaftspolitik, sagte er, sondern nur eine gute und eine schlechte.

Gerhard Schröder war rechter als mancher linke CDUler

Schröders Appell verhallte weitgehend ungehört. Zwar werden heute im Bundestag nicht mehr derart ideologisch aufgeladene Schlachten geschlagen wie früher. Ideologisch geprägt sind die Debatten aber noch immer. Rechts und links – Politik ist, was das angeht, in weiten Teilen eine irrationale Veranstaltung.

Der eine ist rechts, der andere ist links – bei näherer Betrachtung lösen sich solche Etikettierungen oft auf. Schröder ist das beste Beispiel gewesen. Er war der Kanzler einer linken Volkspartei, der SPD, aber sicher rechter als so mancher vom linken Flügel der CDU, die wiederum als rechte Volkspartei gilt.

Oder nehmen wir Angela Merkel. Nicht einmal der Arbeitnehmerflügel der CDU würde noch behaupten, die CDU-Chefin und Kanzlerin mache eine rechte Politik – vom konservativen Flügel innerhalb der Partei ganz zu schweigen. Für ihre Flüchtlingspolitik bekommt Merkel gerade laut Umfragen bisweilen mehr Zustimmung von Anhängern der Grünen als von denen der CDU. Sogar einen pragmatischen Sozialdemokraten aus Nordrhein-Westfalen (NRW) müsste man eher rechts von Merkel einordnen. Was auch daran liegt, dass Sozialdemokraten in NRW durch langes Regieren viel realistischer geworden sind als ihre Genossen in Bundesländern, in denen die SPD nie oder nur höchst selten an der Macht war. Ein Genosse aus Bayern und einer aus NRW sind also zwar beide Mitglied einer linken Volkspartei, aber damit noch nicht automatisch beide links. Alles klar?

Rechts klingt nach Neonazis und Ewiggestrigen

Der österreichische Lyriker Ernst Jandl sich hat schon in seinem 1966 veröffentlichten Gedicht „lichtung“ über die vermeintliche Treffsicherheit des politischen Koordinatensystems lustig gemacht: „Manche meinen lechts und rinks kann man nicht velwechsern“, schrieb er. „Werch ein illtum!“

Aber was ist denn nun rechts in der Politik? Nun, rechts ist da, wo keiner sein will. Rechts, das sind im allgemeinen Sprachgebrauch Neonazis, Skinheads, Rechtsradikale, Rechtsextremisten, Ewiggestrige und Reaktionäre. Rechts – das klingt nach Brandanschlägen auf Asylheime, nach Hitlergruß und Verfassungsschutz. „Der Begriff“, sagt Thomas Bareiß, „ist im politischen Alltag verbrannt.“ Kein seriöser Politiker lasse sich mit dem Begriff gerne in Verbindung bringen.

Auf Thomas Bareiß stößt man, wenn man einen rechten Politiker sucht. Man findet nämlich keinen und fängt dann an, nach Konservativen zu suchen. Aber selbst Konservative sind zu einer vom Aussterben bedrohten Minderheit geworden. Nicht einmal der CDU-Fraktionschef im Bundestag, Volker Kauder, will die CDU noch als konservativ bezeichnen. Lieber spricht er von einer christlichen Partei. Dabei ist Kauder ein Konservativer, wie er im Buche steht: Wahlkreis Rottweil-Tuttlingen, wo die Waffenschmiede Heckler und Koch ihren Sitz hat. Ehemals Kernkraftbefürworter. Aber kein bekennender Konservativer mehr? Nun gut. Wer den Job hat, die CDU-Fraktion von Merkels Politik zu überzeugen und dort Mehrheiten für die Kanzlerin zu organisieren, der sollte sich vielleicht in der Tat besser nicht mehr als konservativ bezeichnen.

Thomas Bareiß gehört zum konservativen Kreis innerhalb der CDU

Es gibt allerdings noch einen konservativen Kreis innerhalb der CDU, dem zum Beispiel Bareiß angehört. Man hört nicht mehr viel von diesem Kreis, es sind auch nicht sehr viele dabei. Vom Selbstverständnis her sehen sich die Mitglieder als die letzten konservativen Kräfte innerhalb der CDU. Der Rest der CDU wäre demnach eigentlich links. Es sind Politiker, die traditionelle Werte wie die Familie hochhalten, aber politisch gerade keine Familie mehr haben. Das heißt aber nicht, dass auch die Werte verschwunden sind, für die sie stehen.

Familie, Recht und Ordnung – konservative Werte stehen hoch im Kurs

Die Familie steht bei den Deutschen immer noch hoch im Kurs. Unter Familie werden heute allerdings auch Lebensgemeinschaften gefasst und akzeptiert, die früher verpönt waren. Der gesellschaftliche Wandel macht da vor den Konservativen nicht halt.

Auch Recht und Ordnung, ein klassisches konservatives Thema, ist vielen Deutschen wichtig, man merkt es in der Flüchtlingskrise. Wenn man sich anschaut, wie sehr SPD und Grüne im Wahlkampf in Baden-Württemberg auf eine starke Polizei setzen, dann gilt wieder das Wort von Jandl: Lechts und rinks kann man leicht verwechseln.

Vor allem, weil die meisten Politiker am liebsten weder rechts noch links sein wollen, sondern die Mitte für sich reklamieren. Der CDU-Abgeordnete Bareiß, bekennender Konservativer, ist da skeptisch: „Die Mitte hat eine gewisse Beliebigkeit“, sagt er. „Ich glaube, die Menschen wollen Politiker, bei denen sie wissen, für was und wo sie stehen.“ Ihm selbst gehe es jedenfalls so, sagt Bareiß. der zugibt, dass er für seine persönliche Einschätzung eines Gegenübers schon mal das Rechts-links-Raster zugrunde lege. Und im Zweifel sei ihm da „ein richtiger Linker lieber“ als einer, bei dem er rätseln müsse, welches politische Weltbild der habe.

Rechts und links sind keine festen Orte

So gesehen, weiß ein Konservativer wie Bareiß mit der Politik von Angela Merkel nicht viel anzufangen. Aber das würde er aus Gründen der Parteidisziplin natürlich nie so deutlich sagen. Er sagt stattdessen: „Frau Merkel ist Naturwissenschaftlerin, und so, wie ich ihren Politikstil bisher kennengelernt habe, trifft sie Entscheidungen pragmatisch und weniger ideologisch.“

Bareiß zeigt ein gewisses Verständnis dafür, dass Regierende eher pragmatisch vorgehen und sich auch öfter an den Mehrheiten orientieren müssen, die es im Volk und Parlament zu einer bestimmten Frage gibt. „Trotzdem sollte man Grundsätze nicht beliebig über Bord werfen, sonst wird man schnell unglaubwürdig und verliert Vertrauen“, sagt er.

Rechts und links – das sind keine festen Orte. Mal rücken die Rechten nach links, dann wieder die Linken nach rechts. Man definiert sich wechselseitig: Wer nicht links ist, der ist rechts. Zumindest aus Sicht der Linken, die es geschafft haben, dass der Begriff „links“ nicht verpönt ist. „Bei links gibt es komischerweise keine Berührungsängste“, sagt Bareiß. „Die Linken haben es geschafft, salonfähig zu sein.“

Bareiß macht dafür auch die Medien mitverantwortlich, die er in ihrer großen Mehrheit links der Mitte verortet. Die Tageszeitungen „Welt“ und „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ würde er noch als konservativ bezeichnen, sagt er. Aber selbst die hätten in den letzten Jahren „einen gewissen Wandel durchgemacht“.

Auch der konservative Bareiß hat eine Scheidung hinter sich

Die Rechten haben es nicht leicht. Skepsis gegenüber Abtreibungen oder gegenüber einer Hervorhebung von Schwulen und Lesben gelten als rückständig. Die Forderung nach mehr Eigenverantwortung und weniger Staatsausgaben werden als „neoliberal“ gebrandmarkt, so dass man als Konservativer plötzlich im Feld der Konkurrenz steht. Deshalb taugt laut Bareiß auch der Begriff „bürgerlich“ nicht – zumindest nicht für eine Volkspartei wie die CDU. Das sei zu eng gefasst, meint er. „Bürgerlich klingt ein bisschen nach großbürgerlich und trifft insoweit eher auf das Klientel der FDP zu.“

Vieles ist auch nur Show bei rechts und links. Krampfhaft versuchen die Parteien, sich zu unterscheiden, obwohl es bei praktischen politischen Fragen nicht selten auf der Hand liegt, was zu tun wäre.

Hinzu kommt, dass nicht wenige rechts reden und links leben – oder umgekehrt. Bareiß zum Beispiel hat eine Scheidung hinter sich. Ist das noch konservativ? Immerhin: Er will dieses Jahr neu heiraten.

Bareiß selbst erzählt lieber die Geschichte von einer Linken-Bundestagsabgeordneten, mit der er mal auf Auslandsreise war. Beim Rückflug habe sich die Dame auf First Class upgraden lassen. „Ich war überrascht und fragte, ob die Linken nicht eher Holzklasse fliegen müssen“, erzählt er. Werch ein Illtum! Die Linke erklärte daraufhin Bareiß, dass er da etwas falsch verstanden habe: „Im Sozialismus fliegen alle First Class.“