Die Ausblicke während einer Schneeschuhtour sind atemberaubend. Foto: Rettig

Wer im Gorce-Gebirge in Polen unterwegs ist, kann auf eine Begegnung mit Bären hoffen. Ganz sicher trifft er auf einen Musikclub mit Promi-Faktor.

Auf dem Teller liegt eine Art riesiger Reibekuchen, bestreut mit Käse und so viel Soße begossen, dass diese das Fleisch und den zweiten, kleineren Puffer unter sich versteckt. Eine riesige Portion, die beim Abendessen im Dörfchen Jaworki auf den Tisch kommt. Dem ungeübten Magen hilft es nur bedingt, dass nach dem Essen zwei, drei Gläser des hausgemachten Wodkas zur Verdauung nachgeschüttet werden. Stattdessen müssen es wohl die Schneeschuhwanderungen richten, und die sind ja auch der Hauptanlass für diese Winterreise in die Karpaten im südlichsten Polen, nördlich der Hohen Tatra und nahe an der Grenze zur Slowakei. Das Gebiet um den Pieninen-Nationalpark ist eine sehr dünn besiedelte Gegend, erzählt Marcin Kowalczyk, als sich alle hinter dem Dorfausgang die Schneeschuhe unterschnallen. Und schon geht es los, und die Gruppe stapft querfeldein durch den Schnee. Luchse, Wölfe und Bären seien hier nichts Ungewöhnliches, warnt die Tourenleiterin. Plötzlich zieht Nebel auf und taucht die Landschaft in weißes Licht. Eine geheimnisvolle, fast unwirkliche Atmosphäre. Irgendwann stoppt Marcin. „Wisst ihr, wo ihr jetzt gerade steht?“, fragt der 35-Jährige. „Mit einem Fuß in der Slowakei!“ Unter dem tiefen Schnee schaufelt Marcin den Grenzstein frei - für eine kurze Fotopause an der weißen Grenze. Auf dem Rückweg nach Jaworki passiert man die typischen, verzierten Holzhäuser, bevor in der urigen Pension „Mos“ einkehrt wird.

Ein Club am Rande des Nirgendwo

Dort steht Teresa schon in der Küche und bereitet das Abendessen vor: Pilzsuppe, gefülltes Huhn, Rote Bete, Apfelkuchen als Nachtisch und Fruchtpunsch dazu. Nach der abendlichen Fahrt mit dem Pferdeschlitten tun alle so, als hätte es das Abendessen gar nicht gegeben: Erst wird Sliwowitz ausgeschenkt - der brennt, als hätte man etwas von dem Feuer geschluckt, auf dem dicke, polnische Würste braten. Noch ein kleiner Imbiss vor der Nachtruhe. Oh nein. In Jaworki, dem kleinen Ort am Rande des Nirgendwo, werden nicht zwangsläufig mit dem Sonnenuntergang die Bürgersteige hochgeklappt. Wer Unterhaltung sucht, muss nur ein paar Schritte laufen, um auf eine Musik-Institution zu stoßen: den Club Muzyczna Owczarnia. Auf die Frage, warum es diesen ausgerechnet hier gibt, antwortet Betreiber Wieczysław Kołodziejski nur lapidar: „Warum nicht?“ und lacht. Kołodziejski veranstaltet etwa 100 Konzerte im Jahr. Die Besucher kommen aus ganz Polen, manchmal sogar aus dem Ausland. Heute Abend steht Star-Geiger Nigel Kennedy auf der Bühne des ehemaligen Schafstalls. Er hat ein Haus in der Nachbarschaft. In Schneeschuhen geht es auf den Turbacz, den mit 1310 Metern höchsten Punkt im Gorce-Gebirge, in dem viele Tierarten leben. „Manchmal sind auch Bären unterwegs, die aus der Tatra emigrieren“, erklärt Helena Gasienica-Roj, die Marcin als Guide heute ablöst. Die lassen sich aber glücklicherweise nicht blicken - ebenso wenig wie andere Tiere. Man hätte sie wohl auch kaum eines Blickes gewürdigt, so beschäftigt ist jeder damit, die Anstiege zu schaffen. Jeder Ausblick auf die Hohe Tatra ist mit Schweiß hart erarbeitet. Nach fast 900 Höhenmetern erreicht die Gruppe endlich die Unterkunft, eine Herberge aus sozialistischen Zeiten. So hungrig, dass man jetzt locker einen ganzen Puffer verputzen könnte.