Die Fahrräder sind immer dabei: Entdeckungsreise auf Masurens Kanälen und Seen. Foto: Diemar

Eine Süßwasserkreuzfahrt auf die sportive Tour: Mit Fahrrad und Schiff geht es durch das ehemalige Ostpreußen mit Seen wie aus dem Märchenbuch.

Wilkasy - „Alleen alter Bäume, Traumpfade, Wälder und Seen aus dem Märchenbuch“, schrieb Wolfgang Koeppen in „Es war einmal in Masuren“. Ostpreußen hieß die Region einst. Endlose Wälder mit Kiefern, Birken und Buchen wechseln sich ab mit unzähligen Seen, Weihern und Tümpeln, deren blaue Augen den hohen Himmel spiegeln. Einige der großen Gewässer sind mit historischen Kanälen verbunden.

So ist ein System von schiffbaren Wasserwegen entstanden. Um diesen feuchten Naturraum zu erleben, sind die Passagiere gekommen - und um sich aktiv zu bewegen. Denn nicht nur das Schiff dient der Fortbewegung, sondern auch die Leihfahrräder, mit denen täglich zu Touren zwischen 25 und 70 Kilometern aufgebrochen wird. Die „Classic Lady“ mit Platz für knapp 40 Gäste ist zwar das größte Schiff, das in Masuren unterwegs ist, aber eine Lady ohne jede Allüren, also kein Luxusweibchen.

Die Kabinen sind mit der Nasszelle elf Quadratmeter groß und zweckmäßig eingerichtet. Vor das Klappfenster ist ein Mückennetz gespannt, ein Ventilator wirbelt die größte Hitze weg. „Keine Tortur im Masur“, versichert Reiseleiter Zygmunt Matusak, „meine älteste Radlerin war fast 80 Jahre alt und hat es auch geschafft“. Zygi spricht exzellentes Deutsch und fährt auch bei den Radtouren voraus.

Die Uferlandschaft zeigt sich als pure Idylle

Die meiste Zeit kurvt man auf Forstwegen durch Wald und Wiesen, entlang wie aus der Zeit gefallener Dörfer mit unzähligen Storchenpaaren auf den Dächern. Masuren begrüßt die neuen Gäste mit blitzblauem Himmel. Nach der ersten Nacht an Bord sucht sich jeder Passagier einen passenden Drahtesel aus, der die ganze Woche über das persönliche Gefährt bleibt. Auf einer wenig befahrenen Nebenstrecke geht es an wogenden Kornfeldern vorbei. Bald ist der Spirdingsee erreicht, mit 114 Quadratkilometern das größte Gewässer der masurischen Seenplatte. Die Uferlandschaft zeigt sich als pure Idylle, mal mit Schilfgürtel, mal mit sandigen Stränden, an denen Familien den Sonntag verplanschen.

Am späten Nachmittag legt die „Classic Lady“ zum ersten Mal ab, passiert den lang gestreckten Beldahn-See, zieht eine Schleife durch den Spirdingsee und biegt in den abzweigenden Nikolaiker See ein. Das intensive Licht lässt das Wasser tiefblau und die Wälder sattgrün leuchten. Am Anleger von Nikolaiken, polnisch Mikolajki, wird festgemacht. Bekannt ist das schmucke Städtchen aus dem Buch „Die Reise nach Nikolaiken“ von Arno Surminski, der Masuren als vergangenes Idyll beschrieb: „Land, das ohne Eile beginnt, das gerne die Zeit verschläft“.

Für das heutige Nikolaiken trifft das nicht zu. Kneipen und Cafés reihen sich am Ufer, Sportboote liegen zu Dutzenden an den Stegen. Frühmorgens laufen brummelnd die Motoren an und die Lady legt ab. Hinter den zwei Brücken heißt das Wasser, auf dem die Lady schwimmt, nun Talter See, später Ryn-See. Auf die Radler wartet heute die anstrengendste Tour der gesamten Woche. Rund 70 Kilometer, zum Teil mit in die Waden gehenden Sandpisten, sind zu bewältigen, jedenfalls wenn man den Abstecher zur Ordensburg nach Rastenburg (17 km) nicht weglässt.

„Essen kann man alles, wissen aber nicht“

Dazu kommt ein längerer Spaziergang durch das einstige Führerhauptquartier Wolfsschanze, diesem zu Bunkerbeton geronnenen Irrsinn faschistischen Größenwahns. Küchenchef Pawel serviert zum Abendessen Zander in Mandelkruste. „Essen kann man alles, wissen aber nicht“, meint Reiseleiter Zygmunt und erzählt deshalb noch ein wenig über die Region und die Radroute vom nächsten Tag. Doch bis Mittag kommt die Gruppe aus Lötzen nicht heraus. Zu viel ist hier zu sehen: Die mächtige Festung Boyen, eine Kirche des preußischen Hofarchitekten Schinkel und eine Drehbrücke über den Luczanski-Kanal. Unter tief hängenden Wolken führt die Radroute zum Goldapgar-See und zurück zum Schiff nach Wilkasy.

Auch am nächsten Tag ist der Himmel düster. Der einzig schlimme Guss geht herunter, als die Gruppe in einem Gasthof bei Kaffee und Kuchen sitzt. Das feuchte Wetter scheint großen Tieren jedoch zu gefallen: Auf dem Rückweg zum Schiff nascht ein kapitaler Elchbulle am Rapsfeld und kreuzt die Piste der Radler. Tierisch sind auch die nächsten Begegnungen. Die Nacht über liegt die „Classic Lady“ noch einmal in Nikolaiken. Am Morgen geht es für die Radler am Seeufer entlang nach Süden, mit der Fähre wird bei Wierzba übergesetzt. Der Höhepunkt der Route ist ein Besuch der zoologischen Forschungsstation in Popielno, wo sich Tarpanpferde bewundern und zahme Biber streicheln lassen.

„Der Paddelschwanz ist so warm wie ein Heizkissen“, staunt die Schweizer Radlerin Beate. Die letzte Tour wird die schönste der ganzen Woche. Wald und Wiesen wechseln sich ab. In Eckertsdorf, heute Wojnovo, wird eine bildschön renovierte orthodoxe Kirche besucht, ein Stück weiter ein Kloster. In Kruttinnen geht es mit Stakerbooten auf den Fluss. „Lasst euch einfach treiben“, hat Zygi geraten.

Einem Gondoliere ähnlich steuert Bootsführer Pjotr lautlos durch das Idyll. Wie ein masurischer Amazonas wirkt die Szenerie: Wald wächst bis ins Wasser hinein, ein Eisvogel sirrt durchs Unterholz, Biberburgen sind zu bizarren Gebilden getürmt und Kanuten tummeln sich scharenweise auf dem wohl romantischsten Flusslauf Polens. Kühl und klar fließt die Kruttinna dahin. Rot leuchtende „Blutsteine“ liegen am Grund, Algen treiben wie Nixenhaar im Wasser, das grüngolden die Wildnis am Ufer spiegelt.

Infos zu Masuren

Anreise
Per Zug oder Flug (z.B. Air France, LOT oder Lufthansa) nach Warschau oder Danzig, von dort mit kostenlosem Bustransfer nach Masuren.

Arrangements
Die „Classic Lady“ ist von Frühjahr bis Herbst wochenweise auf der masurischen Seenplatte unterwegs. Zu Beginn und Ende der Saison gibt es auch eine „Schlemmerreise“ ohne sportiven Aspekt. Preis: Die kombinierte Rad-Schiffreise (mit HP ab 855 Euro/Person) ist buchbar über DNV-Touristik, www.fahrrad-und-reisen.de

Reiseliteratur
Travis Elling: „Masuren“ , Komet Verlag, 6,99 Euro. Siegfried Lenz: „So zärtlich war Suleyken - Masurische Geschichten“ , Fischer Verlag, 6,95 Euro.

Allgemeine Informationen
Polnisches Fremdenverkehrsamt, Kurfürstendamm 71, 10709 Berlin, Tel. 030 / 21 00 92-0, www.polen.travel