Foto: dpa

Internationale Denkmalschützer wollen den Stuttgarter Hauptbahnhof zum Unesco-Weltkulturerbe erklären lassen. Der Bonatz-Bau wird damit zum Spielball im Ringen um Stuttgart 21.

Stuttgart - Der vom Abriss bedrohte Stuttgarter Hauptbahnhof könnte möglicherweise Weltkulturerbe der Unesco werden. Das geht aus einem Schreiben des internationalen Denkmalrats Icomos vom Dienstag hervor, der die Unesco in Fragen des Weltkulturerbes berät.

Was halten Sie von der Idee?

Wie es gehen kann, zeigt das Beispiel Niedersachsen: Das von Walter Gropius 1911 geschaffene Fagus-Werk in Alfeld an der Leine soll Weltkulturerbe werden – der entsprechende Nominierungsantrag zur Aufnahme in die Welterbeliste ist wesentlich vom niedersächsischen Wissenschaftsministerium erarbeitet worden.

Leserfotos vom Hauptbahnhof

Kein Gropius-Glück hatte im Juni diesen Jahres die Stadt Stuttgart mit ihrem bereits vorgelegten Antrag, über die Le Corbusier-Bauten der Weißenhof-Siedlung dieses weltweit einmalige Ensemble des Neuen Bauens von 1927 als Welterbe anerkennen zu lassen. Interessant für einen aktuellen Stuttgarter Vorstoß ganz anderer Art ist die für die Fagus-Werke genutzte Argumentation, das Gebäude werde noch heute als Produktionsstätte (unter anderem für Schuhleisten) genutzt. Eben dies, so sieht man es im niedersächsischen Wissenschaftsministerium, unterscheide das Werk von vielen anderen Erbestätten. Und deshalb auch gebe es Chancen für eine Aufnahme in die Erbeliste 2011.

Was halten Sie von der Idee?

Aktuell genutzt wird auch der von Paul Bonatz entworfene, 1928 eröffnete und nach den Kriegszerstörungen zum Teil mit rüden Gebräudeeingriffen wieder aufgebaute Hauptbahnhof in Stuttgart. Dies macht Hoffnung – zumindest den Aktivisten um Matthias Roser. Roser, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Hauptbahnhof Stuttgart, freute sich am Mittwochmorgen ganz offiziell über einen am Dienstag platzierten Appell von Mitgliedern des Internationalen Rates für Denkmalpflege. Darin werden die Politiker in der Stadt Stuttgart, im Land Baden-Württemberg und im Bund aufgefordert, sich dafür zu engagieren, dass der Stuttgarter Hauptbahnhof Weltkulturerbe der Unesco werden soll.

Dem Südwestrundfunk sagte Roser, der Appell solle den Politikern in Stuttgart die drohende „Zerstörung unwiederbringlichen Kulturguts“ bewusst machen. Eine Position die man haben kann – und für die Roser selbst in den vergangenen Monaten heftig geworben hatte, gerade auch beim Internationalen Rat für Denkmalpflege. Unterstützung vor Ort hatte er unter anderem von dem Stuttgarter Architekten Arno Lederer erhalten. Wie auch Roser wendet sich Lederer gegen bauliche Veränderungen, wie sie die im Rahmen des Verkehrs- und Städtebauprojekts Stuttgart 21 vorliegenden Planungen von Christoph Ingenhoven für die Umwandlung des jetzigen Sackbahnhofs in einen Durchgangsbahnhof vorsehen. Der Teilabriss der Seitenflügel, von Bonatz einst vor allem als Lärmschutz gedacht, wird von den Kritikern als „Amputation“ bewertet.

Nun also drehen Matthias Roser und seine Mitstreiter das große Welterbe-Rad. Wohl wissend, dass der Bonatz-Bau mit dem Hinweis auf den einstigen Orient-Express-Anlaufpunkt Stuttgart nichts zu tun hat (der legendäre Zug fuhr noch den alten Hauptbahnhof in der Stadtmitte an). Wohl wissend, dass ein Welterbe-Antrag von offizieller politischer Seite, mithin also von Partnern des Projekts Stuttgart 21, formuliert und gestellt werden müsste. Wohl wissend, dass der lange vorbereitete Vorstoß für Le Corbusier jüngst abgelehnt wurde. Und wohl wissend, welche mediale Wirkung die Verwandlung der eigenen Vorlage, mithin die fremde Bestätigung des eigenen Vorstoßes, entfalten wird – die Berichterstattung auf dieser Seite eingeschlossen. Damit ist Bonatz’ Bahnhofsbau in Stuttgart endgültig Spielball im Ringen um Stuttgart 21. Interessant würde der Welterbe-Vorstoß, wenn er Ausgangspunkt einer grundsätzlichen Debatte über Stuttgart sein könnte – etwa zur Frage, welche Zerstörungskraft die gebaute Realität des Kleinmuts haben könnte.