Horst Wanschura geht nie ohne Schal aus dem Haus Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Maximilian Schell ging nie ohne, und für Tenöre wie Enrico Caruso war er fast ein Markenzeichen: Der Schal, aus Seide oder Kaschmir, meist in Weiß, mit elegantem Schwung um den Hals geschlungen, um die kostbare Stimme zu schützen.

Stuttgart - „Nimm einen Schal“, ermahnten besorgte Mütter früher ihre Söhne bei Erkältungswetter. Den hübschen, selbst gestrickten von Weihnachten. Um meist auf entrüstete Ablehnung zu stoßen: Man ist doch kein Weichei! Weiberkram! Wenigstens der Gatte ließ sich das teure Kaschmirteil, vielleicht sogar von Burberry, bereitwillig umlegen. Mit der Sorge um die Gesundheit hat der Siegeszug dieses Accessoires jetzt rein gar nichts mehr zu tun. Denn der Schal, in der üblichen Manier lässig verknotet, ist Trend und verleiht dem Träger fast einen Hauch von piratenhafter Verwegenheit.

„Der Schal komplettiert das Outfit“, erklärt Modeexperte Horst Wanschura kategorisch. Und bekennt sich als passionierter Anhänger: „Ich gehe nie und nirgendwo hin ohne Schal“, versichert er. „Warm eingemummelt im Winter, duftig aufgeputzt mit einem Hauch von Stoff im Sommer.“ Noch haben hauchzarte Tücher wie das eierschalenfarbene von Ann Demeulemeester Saison, doch für die kalten Tage hat Wanschura eine Novität eingekauft: Kaschmirtücher des Labels suzusan von dem japanischen Designer Hiroyuki Murase in der traditionellen japanischen Textilgestaltungstechnik Shibori. 2,50 mal 1,60 Meter groß, schwarz mit dezenten Akzenten in Grau, Weinrot, Braun und Blau – für 725 Euro ein Stück Luxus. „Ich fühle mich mit solchen Schals irgendwie geschützt“, verrät Wanschura. Ein Schutzschild gegen die Unbill der bösen Welt.

Die Herren haben Verständnis verdient, denn die Vielfalt dieser Tücher und Stoffbahnen ist zu schön, um sie den Damen zu überlassen. Tücher waren schon immer deren Domäne, und mit einem Carré Hermès, Kult in gehobenen Kreisen, demonstrierte man gleichzeitig seine Zugehörigkeit zur Oberschicht. Wie auch der Herr von Adel verlässlich erkennbar ist am eleganten Foulard im offenen Hemdkragen. Statt der Krawatte. Casual à la Noblesse.

Der Schal als Blickfang

Dann aber eroberten die Paschminas die europäische Modewelt, die Schals, die aus Indien oder Nepal kommen und mit 70 Prozent Kaschmir und 30 Prozent Seide ein ganz neues Schmeichelgefühl schenkten. So weich, so warm, so dekorativ, ein Stück Luxus und doch bezahlbar. Auf der Expo in Hannover anno 2000 versetzte ein Stand aus Indien in hemmungslosen Kaufrausch: Es war noch die D-Mark-Zeit, und für 100 Mark pro Stück gönnten sich viele Kundinnen ganze Kollektionen von erstklassiger Qualität und exotischem Reiz. In Naturfarben und Mustern von glühender Leuchtkraft. Ein Accessoire, das, lässig über die Schulter drapiert, jedes schlichte Outfit aufputzt und zum Blickfang macht. Gleichzeitig fast eine Renaissance biedermeierlicher Mode: Als über ausladende Roben und Krinolinenröcke noch keine Mäntel getragen wurden, schützten und wärmten sich die Damen des 19. Jahrhunderts mit kostbaren Kaschmirtüchern von tischdeckengroßen Ausmaßen.

Sie kosteten ein Vermögen und werden als Antiquität hoch gehandelt. Ein Glück, dass heute all die Asien-Importe wohlfeil sind. Selbst die Modelle aus Kaschmir oder Seide. Der Museumsshop im Linden-Museum ist dafür eine erstklassige Adresse. Aus Baumwolle sind sie in allen Krimskrams-Boutiquen in der Schulstraße, in den Kaufhäusern, Drogerien und Parfümerien zu finden: Mit Glitzersteinen aufgeputzt, mit Lurexeffekt, Stickerei, klassischem Paisleymuster oder pastelligem Ton-in-Ton-Dessin. Verführerisch in ihrer Vielfalt und eben mal so zum Mitnehmen. Weil es Spaß macht und nicht viel kostet. Von einem Euro bis 1000 Euro, schätzt Wanschura, kann man in Schals investieren.

Wer hat’s erfunden? Die Dandys

Was Lenka Kühnertova entwirft und fertigt, ist von besonderer Klasse. Denn hier kommt der Dandy ins Spiel. Das Lexikon definiert ihn als Geck und Modenarr. Ein Fashion-Victim, würde man heute sagen. Der berühmteste seiner Gattung war der Engländer George Bryan Brummell (1778–1840), bekannt als Beau Brummell und in dem gleichnamigen Film von 1954 genial verkörpert von Stewart Granger neben Elizabeth Taylor und Peter Ustinov. Ein Schöngeist, der bei seinem Outfit nichts dem Zufall überließ und fünf Stunden benötigt haben soll, bis er fertig gekleidet war. Ihm und seinem Wahlspruch „Die Welt gehört den kalten Geistern“ (Machiavelli) huldigte die Grafik- und Textildesignerin Lenka Kühnertova mit ihrer Diplomarbeit an der Kunstakademie Stuttgart. Als Protagonisten und Inspiration für zwölf Schals. Denn die Dandys jener Epoche setzten mit Tüchern Zeichen und rückten dieses Accessoire damit in den Blickpunkt der Mode: „Die Art und Weise, wie sie die Tücher gebunden haben, war eine Art Geheimcode und zeigte, in welchen Club man gehörte“, weiß die Künstlerin aus Prag. Gibt es heute noch Dandys? „Es gibt sicher Dandys, die eine Antwort auf die heutige Zeit darstellen.“ Aktuell erlebe die Bewegung sogar eine Renaissance, stellen Modeexperten wie Robert Herzog, Dozent an der Modeschule Stuttgart, oder Gerd Müller-Thomkins, Geschäftsführer des Deutschen Modeinstituts, fest: Aber weniger opulent, gestylt zwar, aber nicht übertrieben, sondern cool und lässig. Lenka Kühnertova liefert die passenden Schals dazu, handgewebt oder gedruckt. Ihre Entwürfe sind von literarischen Vorlagen inspiriert wie Ernest Hemingways Erinnerungen an die Zeit in Paris („Paris – Ein Fest fürs Leben“) oder dem Roman von Boris Vian „Der Schaum der Tage“. Sie kosten 150 bis 270 Euro, eine Unterweisung in verschiedenen Bindetechniken ist im Preis inbegriffen.

„Ein Schal sollte ein Statement sein“, rät die „Zeit“-Kolumnistin Susanne Mayer in ihrem Buch „Die Kunst, stilvoll älter zu werden“. „Breit. Weich. Üppig. Keine Frage, das wird teuer.“