Jamaika, Stuttgart-West: Uli Engels (links) und Jascha Aupperle stehen in der Reuchlinstraße Modell und ­zeigen ihre T-Shirts. Foto: Leif Piechowski

T-Shirts für Rastafaris: Aus indischer Bio-Baumwolle in Portugal gefertigt, in Dresden gedruckt - und in Stuttgart entworfen.

Stuttgart - Reggae? Ach ja, Bob Marley! Für viele Mitteleuropäer sind der 1981 gestorbene Sänger aus Jamaika und seine Musik eins. „No Women, No Cry“ hat jeder schon mal mitgesummt. Dass es aber mittlerweile auf SWR 1 gespielt wird, zeigt: Es ist nicht mehr ganz frisch. Bob Marley ist tot. Doch Reggae lebt. Als Ska, Dancehall, Ragga, Rocksteady und vor allem als seine moderne Spielart Dancehall. Und wer ihn liebt, darf auch Schwäbisch schwätzen, den Teint eines Toastbrots haben und die Haare kurz und ungeflochten.

Wie Rastafaris jedenfalls sehen der Heilerziehungspfleger Uli Engels (26) und der Druck- und Medientechnikstudent Jascha Aupperle (27) nicht aus. Dreadlocks tragen sie keine, auch keine Häkelmütze in den jamaikanischen Nationalfarben oder Schweißbänder in den Rasta-Farben Rot, Gelb und Grün. Nur wer sich auskennt, sieht ihnen an, welche Musik sie lieben. Uli Engels trägt ein weißes-T-Shirt, darauf steht: „Ever, Ever, Ever, Ever, Clean“. Das ist keine Anspielung darauf, dass man in Stuttgart mal wieder sauber machen sollte. Sondern ein für Eingeweihte erkenntlicher Verweis auf ein Lied des Sängers Mr. G. Und Aupperle zeigt auf seiner Brust das Bild von Busy Signal, eines Dancehall-Musikers.

Selbst ist der Mann. Er bastelt sich, was er gerne trägt. Angefangen haben sie 2008 aus einem Spaß heraus, mittlerweile haben die beiden gemeinsam mit Khoa Tran, Benjamin Kivikoski und Engels’ Vater Heinz Günther die Firma Pinnacle Clothing gegründet und vertreiben die T-Shirts via Internet. Die Motive entwerfen sie, die T-Shirts werden aus indischer Bio-Baumwolle in Portugal gefertigt und in Dresden gedruckt. Die Welt ist klein geworden.

Man kennt sich

Die Produkte reisen mittlerweile wie die Musik. Reggae hören als Schwabe? Kein Problem. Engels legt auch auf als DJ Swazi, übers Internet versucht er auf dem Laufenden zu bleiben, was in „der kleinen Subkultur“ alles produziert wird. Man kennt sich, man weiß um die Vorlieben, und so trifft man sich immer wieder zum gemeinsamen Musikhören, zum Tauschen von Raritäten. Wie im Jahre 2008 in der Wohngemeinschaft von Engels. Sein Mitbewohner, der Grafiker Kivikoski, malte inspiriert von der Musik eine Collage für die WG. Weil die allen so gut gefiel, druckten sie das Motiv auf T-Shirts und verkauften diese für 20 Euro an Freunde.

Wie gesagt, man kennt sich. Die Szene gruppiert sich in Stuttgart um das Soundsystem Sentinel. Soundsysteme stammen natürlich aus Jamaika, waren einst mobile Discos und bezeichnen heute eine Gruppe von Sängern und DJs, die Altes zu Neuem mixen und sich über alles hermachen, was der Reggae an Spielarten zu bieten hat. Sie messen sich in sogenannten Soundclashes, Wettbewerben, bei denen das Publikum über den Sieger entscheidet. Bei Nichtgefallen können da auch schon mal Flaschen fliegen. Sentinel rund um die Gründer Elmar Jäger und Nadia Hentschel gewann als erstes europäisches Soundsystem 2005 die Weltmeisterschaft in New York. 2010 in Jamaika wurden sie Zweiter.

Das sorgte für Aufsehen. Und weil Sentinel auch Partys veranstaltet, zu denen Gäste von weither anreisen, wurde Stuttgart zum Jamaika der deutschen Reggae-Freunde. Engels: „Hier gibt es definitiv die größte Szene in Deutschland. Auch aus der Schweiz und Österreich fahren sie hierher.“ Größte Szene bedeutet, das zu einer Party gut mal tausend Feiernde kommen.

Jeder der fünf Gründer gab 1300 Euro, und so hoben sie ihre Firma aus der Taufe

Denen Engels und Freunde ihre T-Shirts verkauften. Weil die Käufer zufrieden waren und nach mehr verlangten, dachten sie sich: Jetzt probieren wir das mal und „machen T-Shirts, wie sie uns gefallen“. Jeder der fünf Gründer gab 1300 Euro, und so hoben sie ihre Firma aus der Taufe. Die Motive entwarf Kivikoski. Doch sie wollten nicht einfach weiße T-Shirts bedrucken. Aupperle: „Sie sollten uns gefallen!“ Also tüftelten sie an Länge, Breite, Ärmeln, Kragen, Nähten, ließen von einer Schneiderin Schnittmuster erstellen und gingen dann auf die Suche nach Produzenten. Was nicht einfach war. 400 Stück wollten sie machen, auf Bestellung. „Damit nichts bei uns in Kartons herumliegt.“ Also arbeiteten sie sich durch einen Textilbranchenführer und fanden eine Firma in Portugal, die T-Shirts aus Bio-Baumwolle fertigt. „Das war unser Anspruch“, sagt Engels.

Bestellt nun ein Kunde, werden die Maße nach Portugal geschickt. Von dort reist das T-Shirt nach Dresden und wird dort bedruckt. Über einen Studienkollegen hatte Aupperle Kontakt nach Sachsen, dort hatte sich gerade ein Freund selbstständig gemacht, der gerne auch kleine Mengen druckt. Vorerst gibt’s die T-Shirts zu je 35 Euro, aber nur für Herren. „Bei Frauen ist das komplizierter“, sagt Aupperle, „da musst du mehr Schnitte anbieten und Formen anbieten.“

Ihre Firma haben sie Pinnacle Clothing genannt. Nach der Kommune Pinnacle, die Leonard Percival Howell 1940 in Jamaika gründete. Der Weltenbummler, Bürgerrechtler und Revoluzzer war der erste Rastafari. Er erfand die Heilslehre, erhob den äthiopischen Kaiser Haile Selasie zum schwarzen Messias, predigte vom gelobten Land Afrika, in das alle Schwarzen zurückkehren sollten. Ein zunächst verfolgter Außenseiter, doch mit dem berühmtesten Rastafari Bob Marley und dem Reggae verbreiteten sich seine Ideen. Bis nach Stuttgart.

www.pinnacleclothing.de